Vermeintlich emanzipatorische Vernuttung

Lisbeth N. Tralloris Sammlung „feministischer Interventionen“ beleuchtet verschiedene Varianten des „Körpers als Ware“

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Die Körperlichkeit hat sich verdinglicht“, erklärt die österreichische Sozialwissenschaftlerin Lisbeth N. Trallori in ihrer Essaysammlung „Der Körper als Ware“. Ein Befund, der bei manchen erst einmal Unverständnis, wenn nicht gar Befremden hervorrufen mag. Es sei denn, sie haben parat, dass es sich bei dem Begriff der Verdinglichung um einen Terminus der ökonomisch-philosophischen Theorie marxistischer Provenienz handelt. Genauer gesagt, um einen ihrer Aspekte, der später von Georg Lukács als Theorie der Entfremdung ausformuliert wurde und kurz gefasst ungefähr folgendes besagt: Die Arbeitskraft der Menschen vergegenständlicht sich in den erzeugten Produkten. Handelt es sich um warenförmige Produkte, in denen sich die Arbeitskraft unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen vergegenständlicht, tritt diese Vergegenständlichung als Verdinglichung auf. Denn als Lohnabhängige sind Produzierende von ihrer Tätigkeit, ihren Produkten und schließlich von sich selbst als Menschen entfremdet.

Vermutlich meint die Autorin also mit der eingangs zitierten Sentenz: Der Mensch macht unter den ökonomisch-politischen Verhältnissen der westlichen Welt des 21. Jahrhunderts seinen Körper zum Produkt seiner tätigen Arbeit an ihm. Da dieser Körper gemäß des „Primat[s] der Kommerzialisierung“ wie so ziemlich alles andere auch „in die Gesetze des Marktes hineingezogen wurde“ und er somit als ganzer wie auch in seinen Teilen zu „Objekten des An- und Verkaufs “ – mithin zu Waren – gemacht wurde, ist seine Vergegenständlichung analytisch als Verdinglichung zu konkretisieren. Denn „biologische Grenzen, die das Soma als vitale Ummantelung protegieren, werden kulturell und kommerziell nicht mehr hingenommen – weder von den einzelnen Personen noch von den Körperindustrien und Märkten“.

In ihrer Aufsatzsammlung beleuchtet die Autorin vielfältige Formen des Warencharakters, von denen der Körper in verschiedenen Zusammenhängen jeweils eine angenommen hat. Obwohl Tralloris Aufsätze im Untertitel des Buches als „feministische Interventionen“ firmieren, lassen sie sich mit ebenso viel Recht als marxistisch charakterisieren, wie ihr theoretischer Zugang, ihr Duktus und ihre Argumentationen vielfach belegen. Im Topos der „sexistisch aufgeladenen Klassengesellschaft“ hallt von Ferne sogar noch ein Echo der genuin marxistischen These vom Hauptwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit nach, mit dessen Lösung sich auch die zum Nebenwiderspruch herabgehandelte ‚Frauenfrage‘ gleich mit löse. Dennoch wäre die Autorin mit der Etikettierung „marxistisch“ womöglich nicht ganz einverstanden, spricht sie doch offenbar lieber davon, dass ihre Texte eine „feministisch-materialistische Blickrichtung“ einnehmen, was allerdings wiederum auf den historischen Materialismus verweist, diejenige der beiden erkenntnisstiftenden Methoden des Marxismus also, die sich der Erkenntnis und Erklärung vermeintlich historisch-gesellschaftlicher Gesetze verschrieben hat.

Der vorliegende Band versammelt fünfzehn Texte, die von Trallori im Laufe des letzten Vierteljahrhunderts verfasst und an verschiedenen Orten veröffentlicht wurden. Gelegentlich lesen sich Titel wie die „Ästhetisierung und Pornografisierung von Ich-Verkörperungen“ oder „Hoffnungsträger Bio-Logos“ ein wenig sperrig. Dann enthalten sie wieder originelle Wortspiele wie etwa „Genopoly“. Und im Nachwort brilliert die Autorin sogar einmal mit dem griffigen Neologismus der „biokratischen Experten“.

Trallori hat ihre Texte nicht chronologisch, sondern thematisch geordnet, wobei die Autorin sie unter fünf Abschnitte – „Der Körper als Medium der Kapitalisierung“, Körperwissen in Transition“, „Historische Debatten zu Körper-Sondierungen“, „Körper als Repro-Genetik“ und „Codierte Körper“ – rubriziert. Jedem der Abschnitte ist eine kontextualisierende und erläuternde „Einleitung“ vorangestellt. Da die abschnittstiftenden Themen jeweils zu bestimmten Zeiten besonders virulent waren, liegen die Texte einer der Rubriken auch schon einmal zeitlich dicht beieinander, wie etwa im Falles des Abschnitts „Körper-Wissen in Transition“, dessen drei Aufsätze „Politik des Lebendigen“, „Gene und Geschlecht im Diskurs evolutionärer Theorien“ und „Hoffnungsträger Bio-Logos“ aus den Jahren 1993 und 1994 stammen. Meist erstreckt sich der Veröffentlichungszeitraum innerhalb einer Rubrik jedoch über ein rundes Jahrzehnt. Entscheidend für die Auswahl der Texte war, dass sie „Ereignisse“ diskutieren, „wo ein Crossover zu Rassismus, Sexismus, zu ‚sanfter‘ Selektion und Auslese, zu lebenswissenschaftlichen Neudefinitionen gegeben ist“. So laden sie die Lesenden zugleich zu „einer Zeitreise vom Beginn feministischer Technologiekritik bis in die Gegenwartsgesellschaft“ ein.

Unterwegs richtet Trallori ihr kritisches Augenmerk auf die Eugenik um die vorletzte Jahrhundertwende, austromarxistische Vorstellungen des seit biblischen Zeiten vermeintlich zu erschaffenden „Neuen Menschen“ und andere „Verbesserungsutopien der ‚Menschenmacher‘“. Auch beklagt die Autorin das „Primat der Kommerzialisierung“ aller Lebens- und Körperbereiche und den „Cyborgism“ ebenso wie die „egozentrische Sorge um sich selbst“ oder die als „Ausdruck eines erstarkten weiblichen Selbstbewusstseins“ geltenden „vernuttete[n] Auftritte in öffentlichen Medien“ und die „Manifestationen egomanischer Körperlichkeit“ in Film, Fernsehen und den Straßen der Städte. All dem stellt sie „die Utopie einer feministisch prononcierten Humanität“ entgegen.

Trotz dieses utopischen Impetus prognostiziert die Autorin abschließend wenig optimistisch, dass „jede Alternative“ am „vorherrschenden ökonomischen Wüten“ abprallen werde. Abhilfe könne allein die „Abschaffung differenter Kapitalismen“ schaffen. Auf sie zu hoffen allerdings sei „unrealistisch“.

Titelbild

Lisbeth N. Trallori: Der Körper als Ware. Feministische Interventionen.
Mandelbaum Verlag, Wien 2015.
254 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783854766407

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