Wenig Phantastisches

„Der Haschischklub“ versammelt Erzählungen von Théophile Gautier

Von Johannes SchmidtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johannes Schmidt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer etwas über Théophile Gautier erfahren möchte, kann allerhand Biografisches nachschlagen, Wikipedia durchsuchen oder einen Blick in einschlägige Literaturlexika werfen. Alternativ besteht aber auch die ungleich reizvollere Möglichkeit, im Tagebuch der Brüder Edmond und Jules de Goncourt zu blättern, wo man neben allem möglichen Klatsch und Tratsch aus der „Hauptstadt des XIX. Jahrhunderts“ auch eine kleine Charakteristik des Schriftstellers lesen kann, datiert auf den 12. Mai 1857:

Gautier – für den Bourgeois, der Stilist im roten Gewand: der erstaunlichste gesunde Menschenverstand in literarischen Dingen, das gesündeste Urteil, eine schreckliche Luzidität, die in kleinen, ganz einfachen Sätzen aufblitzt, mit einer Stimme, die einer verhüllten Zärtlichkeit gleicht. Dieser Mann, anfangs verschlossen und gleichsam in sich selbst versunken, hat entschieden großen Charme und ist im höchsten Grade sympathisch.

Die „Phantastischen Erzählungen“ dieses sympathischen Herrn, die Markus Bernauer und Sven Brömsel nun im Ripperger & Kremers Verlag unter dem Titel „Der Haschischklub“ herausgegeben haben, sind zum Teil mehr als 20 Jahre vor dieser Tagebuchnotiz entstanden, die jüngsten stammen aus dem Jahr 1846. Man findet in ihnen das, was man „Esprit“ nennt, und viel „Witz“. Aber der „gesunde Menschenverstand in literarischen Dingen“, der dem 1811 geborenen Gautier von den Goncourts attestiert wurde, blitzt in den Geschichten nur vereinzelt auf. Was damals noch schockierte – die Erotik, die Exotik, das Dekadente und Ungeheure – kann dem Vergleich mit jüngerer Literatur nicht standhalten. Und an anderen Qualitäten, die die Lektüre heute noch lohnenswert machen würden, mangelt es Gautiers Stil ebenso wie seiner Handlungsführung, die zwar die ironisch-absurde Wendung des Finales von E.T.A. Hoffmann und Heinrich Heine übernimmt, aber nicht zu etwas Eigenem auszubilden vermag.

So bleiben diese Erzählungen, die hauptsächlich darum kreisen, dass verliebte Jünglinge der (jeweils) schönsten Frau der Welt hinterherjagen und allerlei Aufgaben erfüllen müssen, um sie zu gewinnen, meist recht blass. Gautier nimmt seine Figuren nicht einmal ernst genug, um ihnen das Leben einzuhauchen, dessen es bedarf, um sie am Ende ironisch brechen zu können. Wenn aber weder ein Alcindor, der in das Verwirrspiel um ein kleines Hündchen verstrickt wird, noch ein Meïamun, der immerhin für seine Liebe stirbt, als Protagonisten glaubhaft erscheinen, muss der Versuch, beide am Ende der Lächerlichkeit preiszugeben, scheitern – ihr Tun präsentiert sich von vornherein als töricht, der intendierte Effekt bleibt aus. So zieht es sich durch den ganzen Band, was die Lektüre zu einer etwas quälerisch-redundanten Angelegenheit macht.

Im Vergleich mit den Zeitgenossen (Charles Baudelaire etwa), erst recht aber gegenüber den folgenden Generationen (Comte de Lautréamont, Guy de Maupassant, Gustav Meyrink, Hanns Heinz Ewers; letzterer zeichnet gemeinsam mit seiner Frau und seiner Mutter für die Übertragungen der Texte verantwortlich) fällt Gautier weit zurück. Seine Phantastik – so man denn überhaupt davon sprechen kann – ist noch ganz den Modellen der deutschen Spätromantik verbunden, über die die anbrechende Moderne bereits hinaus war; auch dort noch, wo das Unwirkliche, Übersinnliche durch Drogeneinfluss hereinbricht, fehlt die Kraft, es in bleibender Form zu übermitteln.

Die große Ausnahme ist die Erzählung „Die verliebte Tote“, eine klassische Vampirgeschichte. Hier zielt Gautier nicht auf die Lächerlichkeit und behandelt seinen Protagonisten nicht wie ein Ironiker. Und schlagartig erfüllt sich die Handlung um einen Pfarrer, der von einer Vampirin verführt wird, mit dem Leben, das den übrigen Texten abgeht. Man ahnt, was die Goncourts in ihrem Tagebuch am Verfasser rühmten, wenn man sich dem lustvollen Schrecken hingibt, der sich beim Lesen langsam entfaltet. „Die verliebte Tote“ ist eine gelungene Variation des Vampirmotivs, die sich nicht hinter den großen Erzählungen des Genres, etwa von John Polidori oder Bram Stoker, verstecken muss.

Stünde diese Erzählung am Ende der Sammlung, der Leser ginge versöhnt aus der Lektüre; dass sie am Anfang steht, schürt Erwartungen, die das Folgende nicht einlösen kann. Die Nachbemerkungen der Herausgeber, die Hoffmanns Einfluss auf Gautier und die Übersetzungstätigkeit der Familie Ewers thematisieren, sind informativ, wenngleich sie natürlich darüber hinweggehen, dass hier keine Perle der Phantastik im Leineneinband daherkommt und dass die Übertragungen auch sprachlich nicht zu Ewersʼ besten Produkten zählen. Dieser Umstand ist seinerseits nicht ohne Ironie, war Ewers doch in seinen guten Momenten ein ungleich besserer Phantastiker als Gautier, einer, der seinerseits „gesunden Menschenverstand in literarischen Dingen“ an den Tag legte.

Titelbild

Théophile Gautier: Der Haschischklub. Erzählungen.
Übersetzt aus dem Französischen von Hanns Heinz Ewers.
Ripperger & Kremers Verlag, Berlin 2015.
240 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783943999310

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