Die Bombe und die Kamera

Tobias Nanz und Johannes Pause versammeln Beiträge zum nuklearen „Weltenbrand“ im Kino

Von Jan-Christoph MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan-Christoph Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die vorliegende, von den Medienwissenschaftlern Tobias Nanz und Johannes Pause (beide gegenwärtig an der Technischen Universität Dresden tätig) kompilierte und 2013 herausgegebene Anthologie „Das Undenkbare filmen“ versammelt insgesamt sechs Beiträge zum Themenkomplex des Nuklearen. Ihm kommt gerade in der heutigen Zeit im akademischen Diskursrahmen eine ungebrochene Aktualität zu, auch und gerade, weil sich der Atomunfall von Fukushima derzeit zum fünften Mal jährt.

Der Untertitel „Atomkrieg im Kino“ gibt die Richtung vor, an der sich die besprochenen Filmbeiträge orientieren. So geht es den Herausgebern nicht etwa um die Auswirkungen menschlicher Fehlhandlungen im Zusammenhang der Beherrschung von ziviler Atomkraft und deren Repräsentation im Kino, sondern um imaginierte Welten einer „nuklearen Postapokalypse“, hervorgerufen durch den Einsatz von Kernwaffen. Dabei werden schwerpunktmäßig filmische Werke aus der Hochzeit des Kalten Krieges zwischen den beiden ideologischen Weltlagern zur Analyse herangezogen, wobei explizit kanonische Werke wie etwa Stanley Kubricks „Dr. Strangelove or: How I learned to stop worrying and love the bomb“ (1964) ausgespart bleiben.

Der rote Faden, den die Forscher unterschiedlichster akademischer Disziplinen (von der Medienwissenschaft bis zur Slawistik) dabei verfolgen, spannt sich um die Arbeitsbegriffe „Wissen – Macht – Medien“, die – wie die Herausgeber einleitend erläutern – als einende Faktoren einen reflexiven Blick befeuern, die Eigenschaft der Filme, „selbst aktiv an der Geschichte mitzuschreiben“, anstatt sich bloß an der Historie abzuarbeiten. Indem ein hypothetisches Wissen vom Untergang produziert werde, werde zugleich die Voraussetzung geschaffen, zum Zweck der Disziplinierung und Kontrolle Macht ausüben zu können. Diese Macht wiederum kann sich erst aus der Existenz technischer Medien generieren, die postapokalyptische Schreckensszenarien überhaupt erst möglich machen.

Exemplifiziert wird dies sogleich im ersten Beitrag von Sascha Simons zum 1982 entstandenen Found-Footage Film „The Atomic Cafe“ der Regisseure Jayne Loader und Kevin und Pierce Rafferty. Der Film besteht ausschließlich aus montierten Fragmenten „bereits bestehender Darstellungen der Bombe“, seien es Exzerpte amerikanischer Propaganda-Truppenübungsfilme oder Interviews mit Zeitzeugen. Unter Rückgriff auf drei theoretische Montagekonzepte von Theodor W. Adorno, Peter Bürger und Hanno Möbius wird der dem Film in der zeitgenössischen Kritik oftmals gemachte Vorwurf entkräftet, er tradiere durch seine fehlende Kommentierung und scheinbar willkürliche Aneinanderreihung filmischer Fragmente die Propaganda lediglich weiter. Simons zufolge sei es doch vielmehr so, dass der Film gerade durch seine mediale Reflexivität im Formprinzip der Montage sein kritisches Potenzial entfalte und die historische Qualität der bruchstückhaften Dokumente dekontextualisiere. Dem Medienwissenschaftler Simons gelingt es zwar, sein Anliegen plausibel auf die ihm zugrundeliegenden Theoreme zu beziehen, doch sein Schreibstil macht sich in seiner Sperrigkeit – gerade im Vergleich zu den übrigen, dem Leser sich bereits auf den ersten Blick erschließenden Beiträge des Sammelbandes – eher unangenehm bemerkbar.

Johannes Pauses Artikel zu Peter Watkinsʼ Film „The War Game“ (1965) befasst sich mit der Funktion des Mediums Fernsehen, den Privatraum zu „politisieren“. Anhand Watkinsʼ ursprünglich für die BBC – also zur Ausstrahlung im britischen Fernsehen – produziertem Dokudrama, in dem ein nuklearer Angriff auf Großbritannien und die gesellschaftliche Reaktion darauf geschildert wird, zeigt er im Vergleich mit Zivilschutzfilmen des Kalten Kriegs, inwiefern es das Fernsehen als ein „Medium des virtuellen Krieges“ vermag, den Zuschauer politisch zu instrumentalisieren und ihn somit in das „nationale Sicherheits- und Verteidigungssystem“ zu integrieren. Paradoxerweise wurde der Film ob seiner drastischen Darstellungen allerdings erst 20 Jahre nach seinem Entstehen im britischen Fernsehen ausgestrahlt.

Tobias Nanz stellt in seinem Beitrag zu Sidney Lumets „Fail-Safe“ (1964) die Fatalität der Abhängigkeit von technischen Medien in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen. Diese sei dann gegeben, wenn eine Störung dieser Medien einen Macht- und Kontrollverlust der Autoritäten bewirke. Exemplarisch wird dies auf der Handlungsebene des Films verdeutlicht, wo es ein Computerfehler ist, der einen nuklearen ‚Erstschlag‘ der USA auf Moskau auslöst, und dieser, sobald die Piloten mit ihren Atomraketen an Bord den sogenannten „Fail-Safe-Point“ (Punkt der Ausfallsicherung) passiert haben, auch durch telefonische – das Rote Telefon als Machtinstrument – Intervention des amerikanischen Präsidenten nicht mehr verhindert werden kann.

In den Überlegungen der Slawistin Barbara Wurm zum einzigen nicht-englischsprachigen Film der Anthologie, Konstantin Lopušanskijs „Briefe eines Toten“ (1986), steht zunächst die historische und politische Kontextanalyse des Perestroika-Films im Vordergrund, bevor dann unter Rückgriff auf Giorgio Agamben und Günther Anders das messianistische und anti-apokalyptische Element analysiert wird. Der in einem national und lokal nicht näher spezifizierten Zukunftsszenario angesiedelte Film erzählt von dem Protagonisten Dr. Larsen, der sich in einer postnuklearen Umgebung stets auf der Suche nach Überlebenden, insbesondere seinem Sohn, befindet. Nicht ein „Zeitenende“ im apokalyptischen Sinne (der Offenbarung des Johannes), sondern ein „Ende der Zeit“ als Gegenfigur zur Überwindung des nuklearen Winters wird als Hoffnungsschimmer aufrechterhalten. Die titelgebenden Briefe (des Vaters an den Sohn) bilden hier das Medium, mit dem eine spezifisch zeitliche Komponente einhergeht. Die Briefe eines Toten (eines dem Untergang Geweihten) an einen (vermutlich) Toten, seinen Sohn, bilden eine unheimliche Dichotomie.

Der Filmwissenschaftler Lars Nowak befasst sich mit Chris Markers nahezu ausschließlich aus Standbildern bestehendem Kurzfilm „La Jetée“ von 1962, der neben Lopušanskijs „Briefe eines Toten“ der einzige Filmbeitrag in diesem Band ist, der eine Zeit nach der nuklearen Vernichtung als filmische Umwelt bereits zu Beginn voraussetzt. Die Hauptfigur reist in einer Zeitmaschine zunächst in die Zukunft, um dort nach einer Lösung zur Verhinderung des Atomkriegs in der Vergangenheit zu suchen. Die lediglich indirekte Erwähnung eines Atomkrieges beziehungsweise seine Erwähnung als ein Ereignis der Vergangenheit offenbart das ihm innewohnende Darstellungs- und Repräsentationsproblem. Jedoch erwirke gerade daraus, so Nowak, sein „traumatischer Status“. Darüber hinaus kontrastiert Nowak hier die Gegensätze zwischen der auf der einen Seite aufgrund der Zeitverschiebungen bestehenden temporalen Mobilität und auf der anderen Seite der spatialen Fixierung durch die Verwendung von Fotografien (Standbilder) als die dem Film zugrundeliegende mediale Qualität.

Zuletzt wird mit Eva Kernbauers Artikel „Krieg spielen“ zu Bruce Conners „Crossroads“ (1976) ein Ausflug in das Genre des Experimentalfilms gewagt. In diesem Kurzfilm zeigt Conner, der auch als bildender Künstler tätig ist, aus wechselnder Perspektive die immer gleiche Explosion der Atombombe „Baker“ im Rahmen der Operation Crossroads im Bikini-Atoll 1946. Ergänzt wird diese visuelle Komponente durch psychedelische Musik und künstlich generierte nondiegetische Soundeffekte. Im Beitrag Kernbauers wird erneut auf Montagetechniken rekurriert, um die populärkulturelle Entwertung der zerstörerischen Macht des Atompilzes kritisch zu hinterfragen.

Die Herausgeber haben es geschafft, durch die Auswahl der Filme aus so unterschiedlichen Genres wie dem Spielfilm, dem Dokudrama oder dem Experimentalfilm, und darüber hinaus solcher Werke, die sich nicht in den „Kanon der Atomfilme“ einreihen und akademisch bisher selten bis gar nicht im Hinblick auf die Trichotomie „Wissen – Macht – Medien“ analysiert wurden, eine innovative Herangehensweise an den wissenschaftlich bereits breit rezipierten Themenkomplex der Atombombe im Film zu finden. Unverständlich bleibt jedoch, wieso keine japanischen Filmbeispiele ihren Weg in die Anthologie gefunden haben. Als der Staat, der bisher als einziger in kriegerischer Auseinandersetzung die schmerzlichen Folgen einer Atombombenexplosion unmittelbar miterleben musste, sind gerade in Japan fiktionalisierte „nukleare Szenarien“ in seiner Filmgeschichte im Überfluss anzutreffen – man denke hier etwa an „Akira“ (1988) oder Kurosawas „Bilanz eines Lebens“ (1955). Eine regionale Beschränkung bei der Filmauswahl auf die ideologischen Blöcke der USA – sowie Großbritanniens – und der Sowjetunion ist zu kurz gegriffen.

Titelbild

Tobias Nanz / Johannes Pause (Hg.): Das Undenkbare filmen. Atomkrieg im Kino.
Transcript Verlag, Bielefeld 2013.
176 Seiten, 26,80 EUR.
ISBN-13: 9783837619959

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