Eine noch immer erfrischend anarchische Lektüre

Francis Picabias Dada-Texte bieten einen Vorgeschmack auf mehr

Von Martin IngenfeldRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Ingenfeld

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Francis Picabia, 1879 in Paris als Sohn eines Kubaners und einer Französin geboren, gehört sicherlich zu den vielseitigsten und wandlungsfähigsten Vertretern der Kunst der später so genannten Klassischen Moderne. Assoziiert man seinen Namen heute insbesondere mit dem Dadaismus und der künstlerischen Avantgarde der Zwischenkriegszeit, kam er in seinem Leben doch mit allen möglichen künstlerischen Strömungen und Bewegungen in Berührung – angefangen mit dem Impressionismus, der ihn zunächst prägte, bis hin zur Abstraktion. Im Jahr des hier bereits vielfach gewürdigten Dada-Jubiläums kann es allerdings kaum verwundern, wenn sich die Hamburger Edition Nautilus – zunächst einmal – Picabias Dada-Texte vornimmt und sie in einem kleinen Bändchen zusammengefasst neu präsentiert.

Im Jahr 1913 nahm Picabia bei seinem ersten Aufenthalt in New York an der „Armory Show“ teil, auch eine Ausgabe von Alfred Stieglitzʼ Zeitschrift „291“ wurde ihm gewidmet. In Anlehnung daran gründete Picabia später eine eigene Zeitschrift unter dem Titel „391“, die zeitweise zu einem der wichtigsten internationalen Dada-Organe werden sollte – besonders nach dem Ersten Weltkrieg, ab 1919. Nur wenige Jahre – nämlich die Zeit zwischen 1919 und 1921 – bilden den Rahmen für Picabias eigentliche Dada-Phase. Er ist zu dieser Zeit mit Tristan Tzara befreundet, der bekanntermaßen 1916 mit Hans Arp, Hugo Ball, Richard Huelsenbeck und Marcel Janco Dada in Zürich inauguriert hatte und nach dem Krieg nach Paris gegangen war. Picabia wurde so auch zu einem der wichtigsten internationalen Verbreiter von Dada – man könnte ihn wohl einen Multiplikator nennen. Dada als Projekt, Bewegung oder sonst einem Ismus dauerhaft treu zu bleiben, das war seine Sache allerdings nicht.

Im Gegenteil mischte er Kunst und Literatur mittels – je nach Sichtweise – mangelnder Prinzipientreue, überbordendem Ideenreichtum und seiner Neigung zur Subversion auf. Die Erklärungen, Manifeste, Briefe des „Funny Guy Dada“ sind daher auch heute noch eine erfrischend anarchische Lektüre. „DADA ist seit jeher zweiundzwanzig Jahre alt, es ist seit zweiundzwanzig Jahren ein wenig abgemagert. DADA ist mit einer Bäuerin verheiratet, die Vögel liebt.“ Ebenso zeugt sie allerdings von Picabias artistischem Sendungsbewusstsein: Denn mag Dada zwar auch 1916 in Zürich begründet und von „wegen seines Nicht-Ausdrucks“ mit dem bekannten Namen versehen worden sein, war es eben doch Picabia selbst, wie er in einem Text „Über die Herkunft der Dadabewegung“ feststellt, der schon 1914 aus demselben Geist in New York arbeitete – ganz gegen Kubismus und Futurismus. Eine Zeit lang hatte das Gespann Picabia-Tzara so nicht wenig Erfolg, bis Picabia im Mai 1921 ebenso entschieden seine Trennung von den Dadaisten bekanntgab.

All dies kann man nun dank des in der Edition Nautilus erschienenen Bandes nachlesen, begleitet von einem Vorwort des Künstlers Axel Heil, Professor an der Karlsruher Kunstakademie. Picabia selbst gehört seit Jahren fest ins Programm des Hamburger Verlages, der bereits in den 1980er-Jahren dessen Gesammelte Schriften in zwei Bänden – übersetzt von Pierre Gallissaires und Hanna Mittelstädt – herausgebracht hatte. Und entsprechend ist „Funny Guy & Dada“ nun ein Vorgeschmack auf die für den Sommer angekündigte Neuausgabe der Gesammelten Schriften des Autors bei der Edition Nautilus, die wiederum die im Juni im Kunsthaus Zürich beginnende Picabia-Retrospektive, die zum Jahresende nach New York weiterwandern soll, flankieren wird.

Titelbild

Francis Picabia: Funny Guy & Dada.
Mit einem Nachwort von Axel Heil.
Übersetzt aus dem Französischen von Pierre Gallissaires.
Edition Nautilus, Hamburg 2016.
160 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783960540083

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