Nicht mehr als seichtes Kaspertheater

Andrea De Carlo begibt sich in seinem viel zu langen Roman „Villa Metaphora“ auf die Suche nach gesellschaftlicher Relevanz, verliert sich dann aber doch nur in Klischees

Von Sebastian MuschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sebastian Musch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Beinahe 1.100 Seiten umfasst der neue Roman Villa Metaphora von Andrea De Carlo in der deutschen Übersetzung. Der Mann muss also etwas zu sagen haben, denkt sich der geneigte Leser und wirft sich voller Elan in eine wilde Achterbahnfahrt, reich an Klischees, aber arm an Originalität. Denn schon nach wenigen Seiten stellen sich Zweifel ein, ob sich De Carlo mit diesem vermeintlich großen Wurf nicht zu weit vorgewagt hat. Der Ausgangspunkt ist so uninspiriert wie abgegriffen: Ein Sammelsurium von Antipathen wird auf engem Raum aufeinander losgelassen: der deutsche Banker ohne Moralkompass, die Hollywood-Diva mit Alkoholproblem, der hitzköpfige Südländer, der substanzlose Lifestyle-Guru, der exzentrische Starkoch, der vulgäre Milliardär aus Russland und so weiter und so fort. Gemeinsam werden sie von De Carlo in der Titel gebenden Villa Metaphora, einem neueröffneten Luxushotel auf der fiktiven Insel Tari, ausgesetzt.

Eine ähnliche Versuchsanordnung hatte De Carlo bereits in Giro di Vento (deutsch: Wenn der Wind dreht, 2007) fabriziert: Großstadtbürger treffen dort auf hippieske Bewohner einer Waldkommune, diskutieren, streiten, bis die Lage eskaliert und sich der Leser am Ende wünscht, alle miteinander mögen doch am besten im Wald bleiben, auf das man nie wieder von ihnen hören müsse. Dem gleichen Muster folgt nun auch Villa Metaphora, nur auf noch mehr Seiten und mit noch mehr und noch nervigeren Charakteren. Denn es kommt, wie es kommen muss. Durch persönliche Animositäten und die zunehmend brenzlige Situation fliegen bald die Fetzen, es gibt mehrere Tote, und von der Villa Metaphora bleibt auch nicht viel übrig, denn das Hotel liegt unglücklicherweise neben einem Vulkan. Klar, dass der Vulkan letztendlich ausbricht und die Villa zerstört (Vorsicht, Metapher!), aber das hat der Leser bereits 1.000 Seiten vorher geahnt.

Das alles ist unterhaltsam, flott geschrieben und schlecht editiert. Man braucht sich daher auch nicht zu wundern, dass der Diogenes Verlag, vollkommen ungeachtet der Ironie, mit dem Slogan „Ein Buch für Ferien im Kopf“ wirbt, und damit ungewollt den Nagel auf den Kopf trifft.

Das ist auch das eigentliche Problem des Romans: Was hier als großes Gesellschaftspanorama  daherkommt, ist nicht mehr als seichtes Kaspertheater, in dem die einzelnen Figuren nicht über ihre grob skizzierten Rollen hinauswachsen. Der Inhalt bleibt hinter dem Anspruch zurück, und was als eine Art intellektuelles Kammerspiel geplant war, wird zum grobschlächtigen Rugbyspiel mit Klischees und Metaphern. Dies zeigt sich auch in der Sprache: De Carlos Versuch, die überzeichneten Manierismen seiner Figuren in jeweils alternierenden Kapiteln stilistisch auszudrücken, ist weder originell noch sonderlich gut gelungen, und wirkt bald selber wie ein Manierismus, zumal ihm auch das wieder nur mit dem Holzhammer gelingt. So zum Beispiel der von Anglizismen durchzogene Slang von Carmine Alcuanti, einer der Angestellten der Villa. Den auf diese Art stilistisch aufgebauschten Passagen gelingt es nicht, ein Charakterbild zu vervollständigen oder aus einer exemplarischen Figur einen Vertreter einer bestimmten Schicht, Klasse oder sonstigen Gruppe zu formen, nein, es wirkt einfach nur gekünstelt und geht rasch auf die Nerven.

Als reine Karikatur scheitert die Figur des Carmine aber auch, wie das ganze Ensemble, an der Berechenbarkeit und Oberflächlichkeit der Beschreibungen. Die Klischees verlaufen in so ausgetretenen Bahnen, dass eine karikaturistische Brechung mal eine Befreiung wäre. Doch dazu kommt es nicht. Stereotyp reiht sich an Stereotyp, sodass die nächsten Handlungenen der Figuren meist keine Überraschung mehr bieten. Hollywood-Diva Lynn Lou macht diese und jene Extravaganzen? Carmine handelt mal wieder ohne zu überlegen? Nun ja, wenig überraschend, denn auf den vorherigen 800 Seiten haben sie ja genauso gehandelt. Die Figuren sind mit Details überhäuft um charakterliche Tiefe zu suggerieren, bleiben aber dennoch flach, da ihnen De Carlo außerhalb des Klischeekatalogs keine Eigenschaften zugesteht. Die Villa macht so ihrem Namen alle Ehre, Metapher häuft sich auf Metapher, doch leider bleiben die Gemäuer ansonsten ziemlich leer.

Letztendlich liegt die Problematik von Villa Metaphora darin, was der amerikanische Literaturkritiker James Wood als Merkmal eines hysterischen Realismus ausgemacht hat. Die Figurenparade wird mit dem obsessiven Aufzählen von biografischen Fakten überfrachtet. Detailreichtum erstickt hier literarische Kraft und verdreht den realistischen Ansatz ins Hysterische. De Carlo gelingt das leider auch, nur ohne den Einfallsreichtum zu entwickeln, der die anderen großen Vertreter des sogenannten hysterischen Realismus – Salman Rushdie, Thomas Pynchon, Don DeLillo und David Foster Wallace – auszeichnet. Er erzählt eine Geschichte voller Wendungen und Wirrungen, die aber dennoch so geradlinig, so wenig überraschend heruntergerasselt wird, dass man euphemistisch von Routine sprechen kann, ehrlicherweise aber von literarischer Allerweltsware gepaart mit intellektueller Lustlosigkeit sprechen müsste. Die wilde Handlung ist letztlich nur vorgetäuschte Lebhaftigkeit und De Carlos Gesellschaftskritik nur ein Spiel mit Abziehbildern. Wer wann wo wie stirbt, ist eigentlich egal, wer es am Ende von der Insel schafft, ist für den Leser ohne Belang, genauso wie die Frage, was uns der Autor mit der Auswahl der Überlebenden sagen möchte. Sein Personal nimmt er nur als Kunstgriffe ernst. Tödliche Unfälle und Morde sind weniger an sich bedeutsame Ereignisse als eine Abfolge von Eskalationsstufen. Der tödliche Unfall eines Hubschrauberpiloten wird hier zur Nebensache und in ein paar Sätzen abgehakt. Keine der Figuren scheint sich wirklich um das Schicksal des Piloten zu kümmern; offensichtlich auch nicht der Autor, denn außerhalb des üblichen Schwalls an nebensächlichen Details bleibt das Bild des Piloten unscharf. Er hat, wie die meisten von De Carlos Figuren, eine Biografie, aber kein Leben. 

Es scheint, als würde De Carlo seinen Lesern nicht zutrauen, eine doppeldeutige Herangehensweise zu verstehen. Überdeutlich muss jede Charakteristik erst aus sich heraus und dann nochmals im Kontext erklärt werden, bis es auch der Letzte verstanden hat. Wieder und wieder gelingt es dem Autor weder auch nur den kleinsten Funken an Mitgefühl für eine seiner Figuren zu erzeugen noch seine Botschaft an den Leser zu bringen. Angesichts des experimentartigen Aufbaus der Handlung und seinem unübersehbaren Zorn gegenüber einer diffusen gesellschaftlichen Elite möchte De Carlo sicherlich eine Botschaft von höchster Wichtigkeit loswerden. Wie aber soll das gelingen wenn die Figuren konturlos bleiben und die Handlung Inhalt nur vortäuscht? Und was soll überhaupt die Botschaft des Romans sein? Dass Reiche dekadent sind? Dass unsere heutige Gesellschaftsordnung dem Untergang geweiht ist? Dass wir alle auf einem Vulkan hocken? Irgendetwas in diese Richtung, aber auch hier bleibt jede vermeintliche Botschaft ohne Tiefe. Somit krankt Villa Metaphora an dem, was er seinen Protagonisten vorwirft: Oberflächlichkeit und Narzissmus. Verliebt in seine eigene Bissigkeit, vergisst der Autor, dass zu einem gelungenen Roman mehr gehört als verbale Kraftmeierei und ein plakatives Figurenkabinett.

Anstatt ein Zeitgeistpanorama à la Der Zauberberg malen zu wollen, hätte sich De Carlo auf seine Stärken besinnen sollen: satirische Schärfe und parodistische Zuspitzung. Doch am eigenen Anspruch scheiternd, bleibt Villa Metaphora auf halber Strecke liegen, nämlich als Abklatsch einer Parodie, als moralisierende Satire ohne Feingefühl, und als hysterische Gesellschaftskritik ohne Botschaft.

Titelbild

Andrea De Carlo: Villa Metaphora. Roman.
Übersetzt aus dem Italienischen von Maja Pflug.
Diogenes Verlag, Zürich 2015.
1088 Seiten, 26,00 EUR.
ISBN-13: 9783257069389

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