Visuelle Kulturen der Katastrophe

Ein Sammelband und ein Katalogbuch widmen sich deren bildlicher und medialer Darstellung im Kulturvergleich

Von Verena KuniRSS-Newsfeed neuer Artikel von Verena Kuni

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zwei Bilder. Zwei Fotografien. Bei beiden handelt es sich um Bilder der Zerstörung. Beide berichten von den Auswirkungen einer vernichtenden Flut. Trümmer, die von der Gewalt des Wassers dort zurückgelassen wurden, wo einst Menschen lebten. Im einen Fall türmen sie sich so hoch, dass man die junge Frau, die im Vordergrund kauert, vielleicht erst auf den zweiten Blick entdeckt. Im andern Fall formen sie eine Landschaft der Leere und der Versehrung, die sich im Gesicht der alten Frau zu spiegeln scheint, die sich uns, die wir das Bild betrachten, zuwendet und uns ebenso wie die Landschaft entgegenblickt.

Zwei Bilder, die an unterschiedlichen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten entstanden sind. Das eine wurde vom japanischen Presse-Fotografen Toshiyuki Tsumenari am 13. März 2011 in den Ruinen der Stadt Natori aufgenommen, unmittelbar nachdem ein Tsunami die japanische Küste verheerend traf, und über Associated Press an die westlichen Medien weitergereicht. Das andere trägt den Titel Flooded with Memories und gehört zur Serie der Portraits of Inundation from Assam, die der indische Anthropologe und Künstler Kazimuddin Ahmed 2008 in einem Gebiet von Bangladesh fotografiert hat, das in den letzten Jahrzehnten zunehmend von den immer gewaltigeren Flutmassen bedroht ist, die der Brahmaputra in und nach der Regenzeit mit sich führt.

Zwei Bilder, die viel miteinander gemeinsam haben. Und die sich doch wesentlich und wesenhaft voneinander unterscheiden. Vom einen wie vom anderen, von den Gemeinsamkeiten über Räume und Zeiten hinweg ebenso wie von den feinen Unterschieden von Bildern, die sich Menschen von Katastrophen machen, handeln die Beiträge, die der von der Kunstwissenschaftlerin Monica Juneja und dem Historiker Gerrit Jasper Schenk herausgegebene Band Disaster as Image. Iconographies and Media Strategies across Europe and Asia versammelt.

Zu den Gemeinsamkeiten der beiden Fotografien gehört ihr Anlass, eine „große Flut“. Sie stehen damit stellvertretend für einen der zentralen Motiv-Komplexe, die das Buch in den Blick nimmt. Kaum zufällig sind in zahlreichen Kulturen Erzählungen von vernichtenden Fluten überliefert – die Sintflut des Alten Testaments ist nur eine unter vielen: Seit je sind menschliche Ansiedlungen an Flüssen und Küsten von den Naturgewalten bedroht. Zusammen mit Erd- und Seebeben, Vulkanausbrüchen und Wirbelstürmen, Erdrutschen, Steinschlägen und Lawinen zählen Flutwellen und Überflutungen zu dem, was man bis heute „Naturkatastrophen“ nennt – auch wenn sich längst die Erkenntnis durchgesetzt haben mag, dass der Mensch auf vielfältige Weise Anteil an den Ursachen und Folgen hat. In jedem Fall verlangt die Katastrophe, die sich nicht zuletzt dadurch auszeichnet, dass sie „zu groß“ ist, um sie in Gänze fassen und begreifen zu können, nach einer individuellen wie kollektiven Bewältigung. Hierbei wiederum spielen Bilder eine wichtige Rolle, nicht erst in Zeiten ihrer massenmedialen Multiplikation und Kommunikation. Sie dienen nicht nur der Dokumentation des Ereignisses und seiner Folgen, sondern auch der Verständigung über das, was geschehen und das, was zu bewältigen ist. Es geht letztlich weniger um Zeugenschaft als um Deutung. Eben deshalb kommt ihnen auf gesellschaftlicher und politischer Ebene eine eminente Bedeutung zu. Dieses Spektrum loten die versammelten Aufsätze in unterschiedlichen historischen und kulturellen Perspektiven aus.

Der Band ist in drei Sektionen gegliedert. Die erste ist den Ikonographien der Katastrophe („Iconographies of Disaster“) im Europa und Asien der Vormoderne gewidmet. So befassen sich etwa der Historiker Charles Zika und die Germanistin Rosemarie Zeller mit mittelalterlichen Darstellungen, zu denen neben wortwörtlich ikonischen Ensembles einstürzender Türme und in Fluten treibender Leiber vor allem Sammlungen von als Vorzeichen von Katastrophen gedeuteter Himmelserscheinungen und Missgeburten zählen. Ihr besonderer Stellenwert spiegelt sich nicht zuletzt in der Etymologie des Begriffs wider, den sich der Mensch dem Stand der Wissenschaft entsprechend von der Katastrophe machte: Desaster („disaster“, „desastre“, „disastro“) meint, aus dem Lateinischen „astrum“ („Stern“, „Gestirn“) abgeleitet, den „Unstern“, der über dem Ereignis steht. Zugleich lassen sich bereits in dieser Epoche jene Doppelbilder mit Darstellungen einer Landschaft vor und nach der Katastrophe entdecken, deren temporale Rhetorik bis heute weithin gebräuchlich ist. Auch sie sind nie allein Bericht, sondern getragen von einem moralischen Impetus: Vor dem Hintergrund ihrer religiös-kulturellen Verankerung betrachtet wollen die versinkenden und ausgelöschten Siedlungen als Sinnbilder göttlicher Vergeltung menschlicher Verfehlungen gelesen werden, in denen der geordnete Kosmos der Schöpfung ins Chaos beziehungsweise eine primordiale Leere zurückgeführt wird.

In diesem Kontext ist der vergleichende Blick interessant, den die Japanologin Anna Andreva mit ihrem Beitrag zu einem merkwürdigen Mischwesen bietet, das in unterschiedlichen Variationen im vormodernen Japan begegnet: Das „Erdbeben-Insekt“ ist nicht nur in seiner Gestalt mit jenen Drachen, Ungeheuern und Riesen-Fischen verwandt, die auch in anderen Kulturen als Vorboten wie als Verkörperungen von Naturkatastrophen erscheinen können. Auf seine Weise ordnet es sich ebenfalls in die Ikonographie einer Kosmologie von Ordnung und Chaos ein – die ihrem buddhistischen Ursprung entsprechend allerdings andere Konzepte transportiert als jene der christlichen Religion. In seinen unterschiedlichen Erscheinungen kommen zudem nicht nur Sinnbilder verschiedener kultischer und religiöser Provenienz zusammen, die es für die Bedrohung durch die Katastrophe ebenso wie den Schutz vor ihr stehen lassen. Ablesbar wird an ihnen auch das Bemühen, solche Synthesen für die Stärkung des nationalen Selbstverständnisses einzusetzen.

Insofern verwundert es wenig, einem direkten Nachfahren des „Erdbeben-Insekts“ in der zweiten Sektion des Bandes wieder zu begegnen, die den Komplex „Politics and Visual Culture“ fokussiert: Als welsartiger Fisch taucht es in den Bildsatiren auf, anhand derer die Kunstwissenschaftlerin Gennifer Weisenfeld die politischen Diskurse untersucht, die im Nachhall des „Großen Kantō-Erdbebens“ von 1923 geführt wurden. Wenngleich es in den Cartoons und Karikaturen um höchst weltliche Perspektiven auf Verlierer und Gewinner der Katastrophe und der in ihrer Folge angestrengten „Aufbaupolitiken“ geht, wird das mythische Mischwesen traditionsbewusst revitalisiert, nämlich für eine konservative Kritik am moralischen Verfall des modernen Japan – und namentlich der modernen japanischen Frau.

Dass sich umgekehrt aus dem Umgang mit breit publizierten Bildern post-katastrophaler urbaner Landschaften kollektive ebenso wie individuelle Bewältigungsstrategien nachvollziehen lassen, zeigt der Historiker Jeffrey H. Jackson in seinen Betrachtungen an und zu den Postkarten, die von Fotografien des 1910 von der Seine überfluteten Paris angefertigt und massenhaft in Umlauf gebracht wurden. Während die Stadt selbst für ihre Bewohner nur mehr partiell und unter Mühen zugänglich war, erlaubten es die Postkarten, in einer „Flânerie der Erinnerung“ der Ruinenromantik zu frönen und im Angesicht der Zerstörung des realen Paris dessen unvergängliche Schönheit als „versunkene Stadt“ zu feiern.

Während hier die Fotografien vor allem der Selbstverständigung der von der Katastrophe Betroffenen dienen, kommt ihnen dort, wo es sich um global verbreitete Pressebilder handelt, besonders in der Außenpolitik eine zentrale Bedeutung zu. Wie in diesem Zuge – verstärkt durch gezielte Auswahl und rahmende Kommentierungen – Stereotypen eines kulturellen Anderen bedient werden können, zeigt der Medienwissenschaftler Kay Kirchmann am Beispiel der westlichen Berichterstattung zu Fukushima. Aufbauend auf Analysen der Japanologin Lisette Gebhardt findet auch Kirchmann zahlreiche Belege dafür, dass gleichsam unisono ein Bild gezeichnet wird, das eine besondere Ruhe und Gefasstheit der von der Katastrophe Betroffenen suggerieren soll, welche wiederum als spezifisch asiatisch beziehungsweise als Charakteristikum des Japanischen identifiziert wird. Eines seiner Exempel ist eben jene Fotografie einer jungen Frau, die weinend vor den Trümmern ihrer Heimatstadt Natori sitzt. Zwar könnte gerade diese Aufnahme seinen Thesen zunächst widersprechen – der eigentliche Widerspruch liegt indessen in den Zeilen, mit denen die britische Daily Mail das Bild bei seiner Publikation kommentierte. Dort stand zu lesen, die Aufnahme bezeuge den außerordentlichen Geist, mit dem die Japaner ihrem Schicksal begegneten. Kaum einen halben Monat später legten die Agenturen dann mit einem Foto nach, das die junge Frau in glücklicher Umarmung zweier ihrer überlebenden Hunde zeigt. Bedenkt man, dass das von der Flutwelle ausgelöste Reaktorunglück zu diesem Zeitpunkt längst in der Medienlandschaft angekommen ist, wird die mediale Zurichtung des Japan-Bildes einmal mehr offenkundig. Eine Zurichtung freilich, von der inzwischen auch die japanische Presse reichlich Gebrauch gemacht hat – was der Essay in diesem Zusammenhang allerdings nicht weiter diskutiert.

In jedem Fall lässt sich Kirchmanns Beitrag auch als Brücke zur dritten Sektion des Bandes lesen, dessen Beiträge um die medialen Strategien im Umgang mit Katastrophen kreisen. Während die Medienwissenschaftler Jianxiu Hao und Peter Ludes anhand der TV-Berichte chinesischer und deutscher Sender zu verschiedenen Naturkatastrophen im asiatischen Raum interessante Einblicke in den unterschiedlichen Umgang mit dem Material und mithin unterschiedliche Konstruktionen von Narrationen auf der Basis von Ein- und Ausblendungen geben, stehen in den Beiträgen der Amerikanistin Alexa Weik von Mossner und der Medien-Kulturwissenschaftlerin Birgit Schneider eben jene (Un)Sichtbarkeiten im Mittelpunkt, die das Thema Klima(-katastrophe) allein schon aufgrund seiner schwer fassbaren zeitlichen Dimensionen nahezu unvermeidlich generiert. Denkt man von hier aus an die Bildwelten des Mittelalters zurück, können die Kategorien, mit denen man sie üblicher Weise bedenkt, fast ins Wanken geraten: Drachen, Riesenschlangen und -fische mögen spektakulärer in ihrer Erscheinung sein – die vorzugsweise in alarmierendem Rot gehaltenen Grafen möglicher Klimaentwicklungen sind, unabhängig von der in jedem Fall alles andere als optimistisch stimmenden Realität der Messungen, auf denen sie basieren, leider kaum weniger spekulativ. Beide haben die Aufgabe, schwer Begreifbares in der menschlichen Vorstellung zu verankern – was sie voneinander unterscheidet, sind indessen nicht allein die gewählten rhetorischen und medialen Strategien. Sondern auch der geografische und damit letztlich auch ihr politischer Radius, der nunmehr unmissverständlich anzeigt, dass (Natur‑)Katastrophen weder in ihren Ursachen noch in ihren Effekten isoliert zu betrachten sind.

Insofern bildet der Essay des Soziologen David Levy, der sich mit den medialen Vermittlungen von Katastrophen vor dem Hintergrund dessen beschäftigt, was er im Anschluss an Ulrich Beck als „Kosmopolitisierung“ der Zeit und der Erinnerung bezeichnet, einen nachgerade idealen Schluss des Bandes. Levy macht nämlich deutlich, dass eine Epoche globaler medialer Präsenz, die es ermöglicht, Bilder von Katastrophen nicht nur in Realzeit aufzurufen, sondern zugleich mit Inszenierungen aller nur denkbaren Vergangenheiten und Zukünfte zu versetzen, auch ein neues Verständnis erfordert: Katastrophen können nicht länger allein im Bezug auf nationale Konditionen hin gedacht werden – so sehr sich, wie dies auch aus den Beiträgen des Bandes hervorgeht, bis heute darum bemüht wird, an entsprechende, tradierte Deutungsmuster von Katastrophen-Bildern anzuknüpfen und diese in den Dienst nationaler Interessen zu stellen. Auch wenn diese wortwörtlich historischen Perspektiven gerade dann, wenn man lokale, regionale und nationale Gedächtnis- und Erinnerungskulturen – und mit diesen die aus ihnen hervorgehenden sozialen und politischen Praktiken – verstehen will, nach wie vor relevant sind: Gerade weil, wie Levy schreibt, Katastrophen zu einem durchgängigen, konstitutiven Bestandteil unserer kosmopolitischen „24/7-Gegenwart“ (Jonathan Crary) geworden sind, müssen wir umso aufmerksamer und bewusster mit der Tatsache umgehen, dass es nicht eine allgemein gültige Erzählung, nicht nur eine Deutung der Bilder gibt, sondern wir es mit einem komplexen, vielfältig über Räume und Zeiten hinweg verflochtenen Gewebe von Narrationen und Narrativen zu tun haben.

Genau dies ist auch eine der zentralen Botschaften, die bereits eingangs des Bandes in der ebenso umfangreichen wie vielschichtig und differenziert argumentierenden Einführung von Monica Juneja und Gerrit Jasper Schenk übermittelt wird. Die Vorstellung der versammelten Beiträge findet sich dabei eingebunden in grundlegende, systematische und methodische Überlegungen zum Thema. Ihr klar strukturierter Aufbau in einzelnen Kapiteln trägt wesentlich dazu bei, das komplexe Feld in seinen weit gefassten historischen, geografischen und kulturellen Dimensionen zu erschließen und dabei herauszustellen, welche besondere Bedeutung den Bildern zukommt, die sich Menschen von Katastrophen machen. Tatsächlich lässt sich sie sich insofern ohne Abstriche als Grundlagentext zu Gegenständen und Methoden der Visuellen Kultur empfehlen, der am Beispiel eines konkreten Themenkomplexes zeigt, wie leistungsfähig eine Verschränkung disziplinärer und transdisziplinärer Perspektiven gerade dann sein kann, wenn es das Ziel ist, ein vertieftes Verständnis unserer zeitgenössischen, „globalisierten“ Bildwelten zu gewinnen.

Eben dieses methodologische Interesse, das sich wie ein roter Faden durch die Beiträge des Bandes zieht – und mit der Rahmung durch die Einleitung von Juneja und Schenk und den abschließenden Essay von Levy jeweils eine besondere Betonung erfährt – macht das Buch insgesamt zu einem wertvollen Beitrag zum Thema, der weit über den konkreten Fokus auf „Naturkatastrophen“ hinaus wichtige, grundsätzliche Denkanstöße bietet.

Nicht nur eine gute Ergänzung zur Lektüre des Sammelbandes, sondern weitere erhellende Perspektiven bietet der Katalog zur Ausstellung Mensch – Natur – Katastrophe. Von Atlantis bis heute, die von Monica Juneja und Gerrit Jasper Schenk gemeinsam mit dem Mannheimer Kurator Christoph Lind realisiert wurde und 2014 im Reiss-Engelhorn-Museum zu sehen war. Als solcher ist der Band, obgleich er dasselbe Thema behandelt und aus demselben Forschungsprojekt hervorgegangen ist, aus naheliegenden Gründen anders konzipiert und natürlich auch opulenter gestaltet; er wendet sich an ein breiteres Publikum, jedoch ohne deshalb den Verführungen zu erliegen, die Katastrophenbilder im Spannungsfeld von Schrecken und Schaulust zweifelsohne entwickeln können. Insofern diese Friktionen nicht erst für die Rezeption, sondern bereits bei der Produktion der Bilder eine bedeutende Rolle spielen, werden sie vielmehr bereits in den Exponaten evident und in den Katalogbeiträgen dementsprechend bewusst thematisiert.

Wie seinerzeit die Ausstellung ist auch das Katalogbuch in Kapitel gegliedert, die (Natur‑)Katastrophen nach jenen Elementen fassen, mit denen sie primär assoziiert werden: Vulkanausbrüche mit dem Feuer, Beben mit der Erde, Fluten und Stürme mit Wasser und Luft. Hinzu kommt, gleichsam als „fünftes Element“ und die zeitgenössische Sicht auf das Thema betonend, der „Faktor Mensch“. Unter dem Dach dieser schlichten Zuordnungen entfaltet sich indessen ein breites Spektrum an historischen, geografischen und kulturellen Zugängen zur Materie. Eingeleitet von einer kompakten Übersichtsdarstellung, die Faktenwissen zum Schwerpunkt bietet, versammelt jedes Kapitel eine ganze Reihe kurzer Essays, die ihren Ausgangspunkt jeweils in einem konkreten, prominenten Katastrophen-Ereignis und seinen bildlichen Überlieferungen nehmen, um es dann anhand dieser für kulturwissenschaftliche Fragestellungen zu erschließen. Welche vielfältigen Einblicke sich dabei gewinnen lassen, mag stellvertretend bereits im ersten Kapitel der Beitrag des Kunsthistorikers Beat Wyss belegen, der seine Reise in historische Imaginationen des legendären Atlantis mit seinen persönlichen Erinnerungen an die gleichnamige, nicht weniger legendäre Jazz- und Künstler-Kneipe im Basel der Nachkriegszeit beginnen lässt. Ihm folgen Berichte über archäologische Spurensuchen, die am Material selbst auf Katastrophen und ihre Folgen rückzuschließen versuchen (Diamantis Panagiotopoulos), ebenso wie Beiträge, die anhand der Darstellungen des ausbrechenden Vesuv in Gemälden des 18. Jahrhunderts Einblick in die Verschränkung von Religion und Naturwissenschaft geben (Valerie Hammerbacher) oder die aufzeigen, welche eminente Bedeutung Bildmedien und Medientechnologien für die Erforschung der Explosion des Krakatau im Jahr 1883 besaßen (Matthias Dörries).

Im letzten, dem „Faktor Mensch“ gewidmeten Kapitel wiederum, finden sich nicht nur – korrespondierend zum letzten Part des Tagungsbandes – Beiträge zum Klimawandel. Fukushima, das sich im Tagungsband vornehmlich im Bezug auf die unmittelbaren Folgen der Flutwelle beziehungsweise deren Rezeption in den westlichen Medien thematisiert findet, wird hier mit Fokus auf die Reaktorkatastrophe zum Exemplum der Sektion. Im Anschluss an das einleitende „Fact Sheet“ von Constantin Canvas, das bereits auf die besondere Komplexität der Verkettung von Natur- und Technikkatastrophe verweist, unternehmen Christian Numrich, Wiebke Grimmig und Gerrit Jasper Schenk unter der in mehrfacher Hinsicht treffenden Überschrift „Sichtbares und Unsichtbares“ den nicht eben einfachen Versuch, verknüpfende Fäden im Stückwerk nationaler und internationaler Berichte und Bilder, Reaktionen und Deutungen aufzuspüren. Unter den Bildern, die den Beitrag begleiten, findet sich auch eines, das an den Beitrag von Kay Kirchmann zurückdenken lässt, auch wenn es dort nicht verhandelt wird. Es zeigt ein Grillfest, im Vordergrund sind zwei ältere Frauen zu sehen. Sie lachen. Eine von ihnen so sehr, dass sie den Kopf mit geschlossenen Augen zurückwerfen muss – und die andere, die in die Kamera blickt, wie zum Beleg der besonderen Heiterkeit auf sie deutet. Das Bild hingegen erhält auch hier seine spezifische Bedeutung durch die Unterschrift. Aus dieser ist zu entnehmen, dass das Grillfest im August 2011 in der Präfektur Fukushima, „im radioaktiv verseuchten Iitate“ stattfand.

Wenn man im Zuge der Zimmerreise durch die Kunst- und Kulturgeschichte der Katastrophenbilder an anderer Stelle natürlich auch Bildern wieder begegnen mag, die ebenso im Tagungsband vertreten sind, so werden sie in und mit den durchgehend lesenswerten Essays des Kataloges, die oftmals materialreich ins Detail gehen, in neue, auf ihre Weise weiterführende Zusammenhänge gebracht. Zugleich bieten die Einführungen des kuratorischen Teams, ganz ähnlich wie im Tagungsband, eine Einordnung in übergreifende Perspektiven an, die den Komplex der Katastrophen-Bilder anhand systematischer und methodischer Fragen fundiert erschließen.

Auf ihre je eigene Art und Weise führen beide Bände – zumal mit den vielfältigen Perspektiven, welche die in ihnen versammelten Beiträge auf ihren höchst komplexen Gegenstand eröffnen – nicht zuletzt anschaulich vor, was Monica Juneja und Gerrit Jasper Schenk im Ausblick ihrer Einführung zu Disaster as Image zu Recht hervorheben: Wenn es um Katastrophenprävention geht, mögen Historiker/innen, Kunstwissenschaftler/innen und Medienwissenschaftler/innen – anders als Ingenieur/innen, Techniker/innen oder Naturwissenschaftler/innen mit einschlägigen Spezialisierungen – in der Regel nur wenig Gelegenheit haben, sich praktisch einzubringen. Und doch dürften ihre Kompetenzen nicht nur dann eine Rolle spielen, wenn es um das Verständnis der Bilder geht, die über Katastrophen und ihre Folgen, die Versuche ihrer individuellen und kollektiven Bewältigung Auskunft geben. Auf Dauer überlebensfähig ist allein eine Gesellschaft, die aus der Geschichte für die Gegenwart und für die Zukunft zu lernen vermag.

Der Sammelband „Disaster as Image. Iconographies and Media Strategies across Europe and Asia“ (2014) dokumentiert die Beiträge zur gleichnamigen Tagung, die 2012 im Rahmen des von Monica Juneja und Gerrit Jasper Schenk geleiteten Forschungsprojekts „Images of Disasters“ am Exzellenzcluster Asia and Europe in a Global Context an der Universität Heidelberg ausgerichtet wurde. Die ebenfalls aus dem Forschungsprojekt hervorgegangene Ausstellung „Mensch – Natur – Katastrophe. Von Atlantis bis heute“ war von September 2014 bis März 2015 im Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museum zu sehen.

Titelbild

Monica Juneja / Gerrit Jasper Schenk (Hg.): Disaster as Image. Iconographies and Media Strategies across Europe and Asia.
Verlag Schnell und Steiner, Regensburg 2014.
232 Seiten, 29,95 EUR.
ISBN-13: 9783795427085

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Gerrit Jasper Schenk / Monica Juneja / Alfried Wieczorek / Christoph Lind (Hg.): Mensch. Natur. Katastrophe. Von Atlantis bis heute.
Begleitband zur Sonderausstellung.
Verlag Schnell und Steiner, Regensburg 2014.
280 Seiten, 34,00 EUR.
ISBN-13: 9783795428808

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