Summum Bonum einer Hörspieladaption

Lauscherlounge und Audible produzieren Rebecca Gablés „Der König der purpurnen Stadt“

Von Benedikt KleinRSS-Newsfeed neuer Artikel von Benedikt Klein

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ausschlusskriterium für die positive Bewertung einer Literaturverfilmung ist in vielen Fällen mangelhafte Werktreue. Ist der Film dem Buch nicht in jeder Hinsicht ähnlich genug, fällt er durch. Basta! Immer gibt es eine hartnäckige Mehrheit von Querulanten, die allen Ernstes sogar behaupten, das Buch gelesen zu haben und deshalb ganz und gar nicht mit der Verfilmung einverstanden sind. Wie sieht es demgegenüber aber mit Hörspielbearbeitungen aus? Gibt es auch hier eine eingeschworene Gruppe halsstarriger Verfechter der Werktreue oder ist man bei der Rezeption von Hörspielen eher gewillt, das Prädikat einer eigenen Kunstform gelten zu lassen? Immerhin war diese dramatische Gattung von den 1920er-Jahren bis in die 1960er hinein eine ernst zu nehmende Konkurrenz für alles, was in Technicolor über Leinwand und Mattscheiben flimmerte. Es war mehr, als fernzusehen mit geschlossenen Augen. Und ist es auch heute noch. Besonders da sich das Hörspiel von der Schirmherrschaft der Radioproduktion emanzipiert hat. Allerdings wird die Gattung aktuell nur wenig bedient. Sieht man mal von einigen Dauerbrennern im Bereich der Kinder- und Jugendserien ab, kommt verhältnismäßig wenig auf den Markt: viele Reihen werden mangels finanziellen Erfolgs vorzeitig beendet, zahlreiche Titel schneiden einfach nur die Tonspur aktueller Kinohits mit (und nennen sich Film- oder Originalhörspiele), andere Neuerscheinungen sind in Wahrheit nur Neuauflagen von Klassikern der letzten 50 Jahre. Vom Hörbuchboom, der seit 2001 zu verzeichnen ist und in den Jahren 2013 und 2014 für Absatzrekorde gesorgt hat, profitiert das Hörspiel nur bedingt. Laut der Bestenlisten vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels sowie der Listen des „SPIEGELs“ werden entweder Lesungen aktueller Buchtitel oder altbekannte Hörspielreihen bevorzugt. Bei den Verkaufszahlen sieht es natürlich ähnlich aus. Die Gruppe der Hörspielliebhaber und -konsumenten scheint demnach klein. Die Gruppe der Hörspielkritiker demnach ebenso. Das mag gut oder schlecht sein. Aus unternehmerischer Sicht jedenfalls birgt eine Hörspielproduktion ein beträchtliches Risiko, vor allem wenn es sich um eine Monumentalproduktion handelt. Aber Amazon-Tochter Audible hat nicht nur das notwendige Kleingeld, sondern auch eine Monopolstellung auf dem Absatzmarkt, und mit der Lauscherlounge holen sich die Produzenten gleich eines der aktuell erfahrensten und erfolgreichsten Hörspielstudios ins Boot – und das ganz ohne Kulturapostel einer staatlichen Rundfunkanstalt. Hier übersteigt eben der Wert der Marktkapitalisierung den Wert des volkspädagogischen Auftrags der öffentlich-rechtlichen Sender. Fehlt nur noch das Buch

Auch bei der Wahl der literarischen Vorlage steht das kommerzielle Interesse vor dem pädagogischen. Da sich Sachbücher schlecht zu Hörspielen verarbeiten lassen, bleibt nur die Sparte der Unterhaltungsliteratur. Serien sind momentan sehr beliebt, auch Trilogien sind immer noch gefragt, das Mittelalter erlebt ebenfalls einen Boom, Rebecca Gablé gilt über den deutschsprachigen Raum hinaus als Königin des historischen (Unterhaltungs-)Romans, mit Schwerpunkt Mittelalter übrigens. Was liegt demnach ferner, als ein dreiteiliges Hörspiel auf Basis einer der erfolgreichsten Romane von Gablé zu produzieren? Zumal bereits zwei ihrer Bücher aufwändig aber nur äußerst gekürzt als Hörspiele inszeniert wurden. Mit blinkenden Dollarzeichen in den Augen fiel die Wahl diesmal auf „Der König der purpurnen Stadt“. Erzählt wird darin die Geschichte vom Aufstieg, Fall und Wiederaufstieg eines Londoner Tuchhändlers um die Mitte des 14. Jahrhunderts. Der Roman aus dem Jahr 2002 hat bereits all das zu bieten, woraus moderne Seifenopern ihr Erfolgsrezept stricken. Zusätzlich bietet er historische Eckdaten, Ereignisse und Personen sowie einen Einblick in den zeitgenössischen Lebensalltag. Durch die Verflechtung empirischer Fakten mit der fiktionalen Wirklichkeit der Erzählung wird zwar nur eine etwaige Historizität suggeriert, die erquickliche Verbindung von spannender Unterhaltung mit einem potenziellen Bildungsimpetus dürfte aber sicherlich schon bei Walter Scott zum Erfolg der Gattung Historischer Roman beigetragen haben.

Was gibt es aber nun an diesem exklusiv für Audible produzierten, knapp 28-stündigen Hörspiel zu beanstanden, das nicht vom Kartellamt zu klären wäre? Die Antwort ist überraschend einfach: nichts! Rein gar nichts! Mit einem für kommerzielle Erfolge unüblichen Feingefühl für die literarische Vorlage ist ein Hörspiel entstanden, das sich vor allem durch eines auszeichnet: Werktreue. Und dieser Befund lässt nicht nur die hier eingangs erwähnten Räsoneure als Kritiker vollständig ausscheiden, sondern zeigt gleichermaßen, dass ein Medium vortrefflich in ein anderes Medium adaptiert werden kann, ohne seine Eigenständigkeit zu verlieren. Erreicht worden ist dieses Summum Bonum im Wesentlichen durch drei Umstände.

Der erste Umstand ist dabei so einfach wie wirkungsvoll zu benennen: es ist nicht gekürzt worden. Vertont wurde das gesamte Werk ohne Wenn und Aber. Das hat nicht nur zur Folge, dass der Handlungsfaden stringent bleibt und keine Sinnbrüche oder Leerstellen entstehen, es hat eben auch zur Folge, dass der Erzähler vollständig erhalten bleibt. Und die Erzählstimme ist eine Stärke des Romans. Für das Hörspiel treffend mit Detlef Bierstedt besetzt, führt der auktoriale Erzähler mit solonischem Habitus und langsamer Intonation durch die Handlung, beschreibt präzise die Schauplätze und Situationen, zoomt bisweilen ganz nahe an die Figuren heran und geht vor Szenenwechseln, oder um den Überblick zu behalten, wieder in die Totale. Ohne aufdringlich zu sein, ist der Erzähler zwar stets präsent, mischt sich aber zwischen den einzelnen Figurenreden nur so weit ein, dass die jeweilige Situation an Plastizität gewinnt und der Zuhörer den bei Dialogen wechselnden Sprechern ohne Mühe folgen kann.

Eine weitere Stärke des Hörspiels ist die nur dezent eingesetzte akustische Paraphrasierung. Es gibt zahllose Produktionen, die Mängel im Handlungsverlauf und an anderer Stelle gerne mit unangemessen übertriebenen Soundeffekten kompensieren, dem Hörer regelmäßig eine auditive Adrenalinspritze verpassen oder mit musikalischem Bombast die Gehörgänge dergestalt durchputzen, dass der Besuch beim Otologen entweder überflüssig oder erst notwendig wird. Bei der Hörspieladaption von Gablés „König der Purpurnen Stadt“ geht man anders vor. Die dramaturgische Funktion der Musik ist hier nur äußerst minimal, es gibt keine Leitmotive oder musikalische Themen, die kurzen zurückhaltenden Musikstücke haben lediglich die syntaktische Funktion, einzelne Szenen fließend miteinander zu verbinden. Die Musik wird dadurch zu einem Paratext, der zwar wesentlich zur Inszenierung nicht aber zur Erzählung dazugehört. Auch die Hintergrundgeräusche überlagern nicht das Erzählte. Manchmal sind das Knistern eines Kaminfeuers, knarrende Treppenstufen oder über Kopfsteinpflaster holpernde Wagenräder nur so subtil eingemischt, dass man sie beinahe überhört. Vorteilhaft ist an dieser Stelle auch, dass die literarische Vorlage keine genreüblichen Schlachtengemälde bietet und somit auch niemand in Versuchung gerät, vielleicht doch noch ein kleines akustisches Testosterongewitter zu beschwören.

Der dritte Umstand, der entscheidend zu einem Maximum an Werktreue beträgt, ist der Besetzung geschuldet. Und diese ist ausnahmslos gut gelungen. Für wirklich alle Protagonisten wurden Sprecher gewählt, deren Stimme nicht nur zum Charakter der jeweiligen Figur passt, sondern die Figur geradezu verkörpert. Dass die Regie an dieser heiklen Stelle mit besonderer Empathie vorgegangen ist und die Produzenten sowohl große Mühe als auch hohe Kosten investiert haben, kann nicht deutlich genug hervorgehoben werden. Oft scheitern ja grundsätzlich solide Produktionen an nur einer Fehlbesetzung. Was nutzt ein begnadeter Hauptdarsteller, wenn die missratenen Nebenrollen zum Ärgernis werden und ständig für Fiktionsstörungen sorgen? Das vorliegende Hörspiel kennt derlei Probleme jedenfalls nicht. Vielleicht ist die durchdachte Besetzung ja der größte Kunstgriff der gesamten Inszenierung. Die Wahl der Sprecher hat jedenfalls eine eindeutig expressive Funktion, auch wenn es zunächst nicht auffällt. Erzähler und Handlung charakterisieren zwar meist zur Genüge die einzelnen Figuren, das Medium Hörspiel kann mit der passenden Stimme allerdings zusätzlich Akzente setzen. Und dieses dramaturgische Potenzial ist bei der Bearbeitung von „Der König der Purpurnen Stadt“ voll ausgeschöpft worden – ohne der Vorlage Gewalt anzutun. Bleibt nur noch zu klären, ob man nicht doch Mitglied der Gruppe halsstarriger Verfechter der Werktreue werden sollte?

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

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Rebecca Gablé: Jonah – Die Lehrjahre. Der König der purpurnen Stadt 1. Hörbuch.
ASIN: B00QQA4162.
Audible GmbH, Berlin 2014.
19,00 EUR.

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Rebecca Gablé: Jonah – Das Imperium. Der König der purpurnen Stadt 3. Hörbuch.
ASIN: B00SX1MZV0.
Audible GmbH, Berlin 2015.
0,00 EUR.

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Rebecca Gablé: Jonah – Der Aufstieg. Der König der purpurnen Stadt 2. Hörbuch.
ASIN: B00SNFBU9Y.
Audible GmbH, Berlin 2015.
19,00 EUR.

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