Fenster zur Reformation

Ein neuer Reader mit Basistexten, herausgegeben von Matthias Pohlig

Von Hiram KümperRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hiram Kümper

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Reformationsjubiläum wirft seine Schatten voraus – nirgends kann man das wohl so gut sehen, wie am Buchmarkt, der jetzt schon eine kaum mehr überblickbare Flut von Neuerscheinungen bereithält.

Die „Basistexte Frühe Neuzeit“ und ihr älterer Bruder „Basistexte Geschichte“ haben es sich zur Aufgabe gemacht, repräsentative Querschnitte durch Forschungsfelder zu ziehen und damit handliche Textsammlungen – im universitären Alltag würde man wohl „Reader“ sagen – zu zentralen Themen, die regelmäßig Niederschlag in der Lehre finden, zur Verfügung zu stellen. Das ist ein begrüßenswertes Anliegen, die Entscheidung, nun auch einen Band zur Reformation vorzulegen, selbst ohne dämmerndes Jubiläumsjahr sicher eine nachvollziehbare. Er reiht sich gut neben die Vielzahl der Handbücher und die leider in jüngerer Zeit verebbte Zahl der Quellensammlungen, die Lehrenden und Lernenden für den nämlichen Zweck zur Verfügung stehen.

Auf eine knappe Einleitung, die wesentliche Züge der Reformationsgeschichtsschreibung ebenso wie die dann folgenden Aufsätze umreißt, folgen zehn deutschsprachige Beiträge der Jahre 1965 bis 1998, die wesentliche Forschungsdebatten abbilden sollen – und dies, das darf gesagt werden, auch überzeugend tun.

Pohligs Sammlung folgt in zweierlei Hinsicht deutlichen Schwerpunkten, die man bedauern, aber genauso gut auch als exemplarisch für die herrschende Praxis akzeptieren kann: Zum einen bleibt er sehr stark dem Reich verhaftet, zum anderen stehen trotz entsprechender Hinweise auf den traditionellen Lutherzentrismus in der Einleitung auch hier Luther und die Lutheraner merklich im Mittelpunkt der versammelten Beiträge.

Rechts und links von Luther wird dagegen tatsächlich merklich weniger geboten. Hans-Jürgen Goertz mit seinem Beitrag über die „Heterogenität reformatorischer Bewegungen“ (1994) übernimmt geradezu  Containerfunktion für das „Alles andere“, auf das hier ein für alle Mal hingewiesen, das dann aber nicht mehr mit Aufsätzen abgebildet wird, die zum Beispiel die zwinglianischen Impulse, die Rolle der Wiedertäufer oder den Kommunalismus Blickle’scher Prägung nach eigenem Recht zu Wort kommen lassen. 

Solche Kritik allerdings ist natürlich wohlfeil gegenüber einem Band, der – dem überzeugenden Konzept, klassische und exemplarische Texte für die Lehre bereitzustellen folgend – sich zugleich auf eine überschaubare Seitenzahl beschränken muss. Mehr geht immer. Keine Frage. Im Übrigen ist hier auch die Einleitung des Herausgebers eine wertvolle Zugabe, unterfüttert sie doch die Kurzreferate zur Bedeutung der ausgewählten Beiträge zugleich mit Hinweisen auf weitere Literatur, die einzelne Aspekte weiter vertiefen hilft, konzentriert sich dabei aber wiederum auf Klassiker und kontroverse Positionen – genau jene Beiträge also, die für die Lehre besonders interessant sein dürften und aus denen die notwendig begrenzte Auswahl der neu abgedruckten Texte getroffen wurde.

Wohltuend breit ist die Streuung der Zugänge zur Reformationsgeschichte, die durch die versammelten Texte abgebildet wird: Im engeren Sinne theologiegeschichtliche Arbeiten, die lange Zeit noch prägend gewesen sind, werden zwar nicht mehr geboten. Wohl aber dann sozial- ebenso wie politikgeschichtliche, medien- und geistesgeschichtliche Ansätze neben Themen der Geschlechtergeschichte und der Geschichte der religiösen Emotionen. Damit ist die Bandbreite der Fragen und Zugänge überzeugend aufgefächert.

Überzeugend ist auch die Entscheidung des Herausgebers, die synthetisierenden Großdeutungen der Reformationszeit als Epochen respektive ihren Stellenwert für die Epochenbildung der Geschichtswissenschaften stark zu berücksichtigen. Das zieht sich einerseits als „base line“ durch viele, auch die thematisch enger geführten Beiträge, wird aber etwa von Berndt Hamm oder Heinz Schilling – den abschließenden Aufsätzen der Sammlung – noch einmal expliziter als Frage in den Mittelpunkt gestellt. Und genau hier ist natürlich, gerade im Kontext der Lehre, die Meistererzählungen irritieren und kritische Auseinandersetzung mit Forschungstraditionen befördern will, viel zu holen.

Pohlig will Texte zur Verfügung stellen, die „Antworten gegeben haben, die zum Teil bis heute gültig sind, […] aber vor allem Fragen aufgeworfen oder auch provoziert haben, die der Forschung neue Anstöße gegeben haben.“ Das ist ihm gelungen. Gerade die Zusammenstellung von untereinander durchaus kontroversen Beiträgen verleiht dem Spektrum der Fragestellungen und Antwortmöglichkeiten Tiefenschärfe und hohes Diskussionspotenzial im Seminarbetrieb.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Matthias Pohlig (Hg.): Reformation. Basistexte.
Frühe Neuzeit Band 2.
Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015.
252 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783515109253

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