Gern habʼ ich die Frauʼn gesägt

Heinz Strunk begibt sich in „Der goldene Handschuh“ auf die Spuren des Frauenmörders Fritz Honka

Von Philipp JakobRSS-Newsfeed neuer Artikel von Philipp Jakob

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nein, eigentlich passt der Titel dieser Rezension nicht zum hier besprochenen Buch. Er spielt an auf ein gleichnamiges Lied von Karl-Heinz Blumenberg alias „Harry Horror“ aus dem Jahr 1975. Dieser besang darin den Serienmörder Fritz Honka, der im Zeitraum zwischen Dezember 1970 und Januar 1975 in Hamburg vier Frauen ermordete. Der Schlager stellt Honka als ein kaltblütiges Monster dar, ein „finstrer kleiner Kerl“, der sich auf St. Pauli nach alten, verzweifelten und hässlichen Damen umsah und diese dann unter der Aussicht auf Alkohol und Obdach zu sich nach Hause lockte. Dort hieß es dann „bum bum bum mit dem Hammer auf den Kopp“. Dieses Image des ‚Monsters‘ Fritz Honka wurde auch durch die „Bild“-Zeitung gefördert, die die Story um den frauenmordenden Nachtwächter damals wegen der Sommerflaute in der Presselandschaft gnadenlos ausschlachtete.

Eine andere Seite von Honka zeigt nun der Schriftsteller Heinz Strunk in Der goldene Handschuh. Bedrückend schildert er Honkas Weg hin zur Katastrophe. Es ist der verzweifelte Kampf um eine bürgerliche Existenz, ein bisschen Glück, das ihm nicht vergönnt ist. Strunk erzählt die Geschichte von Honkas seelischen und körperlichen Narben, von den Schlägen, die er immer wieder einstecken muss, die ausweglose Hölle in die es ihn immer wieder hineinzieht, dem Sumpf aus Alkohol, Verzweiflung und Tod. Doch hier wird nicht einfach der Täter zum Opfer stilisiert. So schonungslos wie das Leid Honkas dargestellt wird, schildert der Erzähler auch dessen Gewalt-, Macht- und Sexphantasien. Dabei entzieht er sich bewusst jeder Wertung, bleibt aber immer nah am Geschehen und den Figuren. Das Erschreckende an Strunks Schilderung sind die plötzlichen Umschwünge, die jedes aufkeimende Fünkchen Hoffnung umgehend wieder zerstören. Honka versucht in einem Moment, seinem Elend zu entkommen, macht eine Hafenrundfahrt, geht in den Zoo, sucht das bürgerliche Glück. Im nächsten Moment versklavt er eine der Damen regelrecht, die er bei sich wohnen lässt. Willenlos und ohne Schutz ist diese seinen Sex- und Gewaltausbrüchen ausgeliefert und der Erzähler beschreibt jeden sadistischen Schritt mit schmerzender Genauigkeit. Durch diese ungefilterte Darstellung schafft es Strunk nachhaltig, dem Leser die Hilflosigkeit und Verzweiflung zu vermitteln. Wie Honka wünscht man sich den rettenden Ausweg, dass sich die Handlung endlich zum Guten wendet, dass der Sumpf aus Elend und Grausamkeiten endlich enden möge. Man möchte Strunk anschreien: „Schreib doch etwas, damit es aufhört!“. Doch diese Befreiung bleibt dem Leser wie auch Honka und den anderen Figuren der Erzählung verwehrt. Und darin liegt das Überwältigende dieser Erzählung. Hier werden die Grenzen dessen, was ein Mensch aushalten kann, gesteckt und überschritten.

Es sei sein erster nicht autobiografisch gefärbter Roman, betont der Autor in Interviews. Sechs Jahre hat er an dem Buch gearbeitet, wofür er für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert wurde. Bei der Titelwahl hat Strunk bereits ein glücklicheres Händchen bewiesen als manch ein Rezensent. Der Goldene Handschuh, eine sieben Tage die Woche rund um die Uhr geöffnete Kneipe am Hamburger Berg, ist der zentrale Handlungsort der Erzählung. Dorthin verschlägt es Honka, den alle hier nur Fiete nennen, und dort lernt er auch seine Frauen kennen. Der Handschuh ist ein Biotop der abgestürzten Gestalten. Hier trifft sich der sogenannte „Bodensatz der Gesellschaft“. Ein Ort, an dem sich die Leute mit Alkohol zu betäuben versuchen, um ihr Leid und das unüberwindbare Elend ertragen zu können. Eindrucksvoll schildert Strunk den Kneipenalltag: Die Darstellung der benebelten Gespräche der Trinker, die flotten Sprüche und Weisheiten, die Typen wie Fanta-Rolf oder Soldaten-Norbert hier immer wieder zum Besten geben, erzeugen eine dichte Atmosphäre. Es ist eine gewisse schauerliche Anziehungskraft, die vom Ort des Geschehens ausgeht, an dem der viele Alkohol das ganze Elend aber doch nie vergessen machen kann. „Der einzige Unterschied zwischen uns und den Leudn aufʼm Friedhof is, dass wir im Sitzen vergammeln. Was ist das eigentlich für ein Gott, der so was zulässt. Grunzend wie ʼne Sau. Eine Sau mit goldenen Flügeln. Nur ʼn Windstoß hoch in die Luft, so schwebt unser Herrgott über uns und guckt runter auf die Schweinerei, die er da angerichtet hat“. So fasst eine der Abgestürzten das Dasein der Gäste der Kneipe zusammen.

In den Goldenen Handschuh verschlägt es auch zwei Mitglieder einer gehobenen Hamburger Reederfamilie, die – wie Honka – ihr Päckchen Elend mit sich herumtragen. Die Geschichte dieser Figuren sind Teil eines Nebenstrangs, mit dem Strunk anscheinend zeigen wollte, dass sich diese Abgründe in jedem Teil der Gesellschaft auftun können. Im Gegensatz zu Honka bleiben diese in der Erzählung jedoch eher farblos und wirken nur wenig originell. Ein sadistischer alter Rechtsanwalt mit kranken Sexphantasien und ein Teenager, mit einem vermorphten, missgestalten Gesicht – beide tragen sie auch Züge Honkas. In der Erzählung wirken diese Figuren leider nur störend, da in den Beschreibungen die Tiefe der Darstellung, wie man sie etwa beim Protagonisten findet, fehlt. Strunk wollte sich hier wohl nicht ganz von seinen autobiografischen Stoffen lösen. Den pickligen Teenager, der verzweifelt versucht, die Gunst eines Mädchens zu erlangen, kennt man bereits aus anderen Werken Strunks wie dem äußerst erfolgreichen Fleisch ist mein Gemüse. Zum Glück kann dieser Strang dem Buch nichts von seiner ganz besonderen Niedergeschlagenheit rauben, und so bleibt Der goldene Handschuh ein todtrauriges, jede Hoffnung vernichtendes, erdrückendes aber gerade wegen dieser literarischen Grenzerfahrung empfehlenswertes Buch.

Titelbild

Heinz Strunk: Der goldene Handschuh. Roman.
Rowohlt Verlag, Reinbek 2016.
256 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783498064365

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