Zappen durch die Literaturgeschichte

Epochen der deuschen Literatur für den Computer

Von Alexander BergerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexander Berger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Von einem Boom für literaturwissenschaftliche CD-Roms kann keine Rede sein, auch wenn sich in letzter Zeit einiges in diesem Gebiet bewegt hat. Gelungene Projekte sind z.B. Texteditionen mit beliebigen Suchmöglichkeiten. Unangefochten thront die "Digitale Bibliothek" über allen anderen vergleichbaren Projekten. Sie ist nicht nur Spielerei für besonders technikfreundliche Studierende oder Computerfetischisten, sondern sinnvolle und wünschenswerte Arbeitshilfe. Die bisweilen frustrierende Suche nach Textstellen, die man beim Lesen doch anzustreichen vergessen hat, kann so unglaublich verkürzt werden. Denkbar sind auch historisch-kritische Ausgaben, die per Hypertext Varianten, Bedeutungshilfen und andere Zusatzinformationen direkt im Text anbieten. Neben solchen Texteditionen gibt es sicherlich noch vielerlei, was das Herz erfreuen könnte. Bibliographien, Lexika und ganze Enzyklopädien sind mittlerweile verfügbar, doch ist dabei oft der Vorteil gegenüber dem Buch nicht so recht ersichtlich. Reclam hat sich nun vorgenommen, eine Literaturgeschichte als Hypertextsystem für den Computer zu herauszugeben. Autor der ersten CD-ROM ist Rainer Baasner, der - und das läßt die Erwartungen an das Projekt steigen - als Professor für Neuere deutsche Literatur am neu gegründeten Institut für Multimedia und Datenverarbeitung der Universität Rostock arbeitet.

"Diese Literaturgeschichte ist revolutionär" - so bewirbt der Verlag sein Produkt, und sofort keimen erste und ernste Zweifel. Denn nicht der Inhalt soll so bahnbrechend sein, daß er alles bisher Bekannte in den Schatten stellt. Weder ist ein neuer Ansatz am Himmel der Literaturgeschichtsschreibung aufgetaucht, noch wird sie plötzlich aus einer ganz neuen Perspektive betrachtet. Nein, allein die 'Klickbarkeit', das Zappen durch die Stich- und Schlagwörter soll die lesbaren und Regale füllenden Bände mit ihren verschiedenen Gewichtungen und Tendenzen vom Schreibtisch verbannen.

Die Fülle der Informationen scheint groß zu sein, da nur die Epochen Aufklärung und Empfindsamkeit auf einer CD-ROM Platz finden. Genau betrachtet passen die Texte und das Programm der vorliegenden Ausgabe auf zwei Disketten. Die CD-ROM dient nach der Installation nur mehr als Speicher für die zahlreichen Abbildungen. Da die meisten Bilder Bücher abbilden oder Büchern entnommen sind, liegt hierin sicherlich kein besonderer Vorteil einer Literaturgeschichte für den Computer, zumal die Qualität am Bildschirm nicht mit einem Druck vergleichbar ist. Rainer Baasner legt hier eine Art Lexikon über die Literatur der Aufklärung und der Empfindsamkeit vor. In 148 Artikeln, die allesamt eher knapp gehalten sind, werden die Epochen Aufklärung und Empfindsamkeit anhand von übergreifenden, sozial-, wirtschafts-, kultur-, gattungs- und rezeptionsgeschichtlichen Artikeln vorgestellt. Achtunddreißig dieser Artikel sind Autorenportraits, wobei neben einigen unbekannteren Autoren auch Matthias Claudius, Jung-Stilling oder Wieland nicht erwähnt werden.

Die einzelnen Texte sind knapp und beschränken sich auf Wesentliches, was der Arbeit am Bildschirm entgegenkommt. Zum schnellen Nachschlagen im Studium aber auch in der Oberstufe ist die Textgrundlage gut geeignet. Das Programm und damit die Benutzerführung sind zwar einfach und klar, wie es sein soll, doch besonders gut oder schnell sind sie nicht. Insgesamt ist die Literaturgeschichte eher ein Versuch als ein gelungener Wurf.

Titelbild

Rainer Baasner / Georg Reichard: Epochen der deutschen Literatur - Aufklärung u. Empfindsamkeit. Ein Hypertext-Informationssystem.
Reclam Verlag, Leipzig 1998.
25,50 EUR.
ISBN-10: 3151002021

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