Es fährt ein Zug nach nirgendwo

Lasha Bugadze entwirft mit seinem Roman „Der Literaturexpress“ eine Satire auf den Literaturbetrieb

Von Leonie ReckewerthRSS-Newsfeed neuer Artikel von Leonie Reckewerth

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Zug, besetzt mit genau 100 auserwählten Schriftstellern verschiedener Nationalitäten, fährt von Lissabon quer durch Europa über Moskau nach Berlin. Unterwegs macht er Halt in verschiedenen Städten, in denen die Autoren öffentlich ihre Texte vorstellen, an Podiumsdiskussionen teilnehmen und sich in Hotelbars betrinken. Das ganze dauert vier Wochen und soll gewissermaßen der kulturellen europäischen Verständigung dienen. Was sich etwas skurril anhört, hat im Jahr 2000 tatsächlich einmal so stattgefunden: Der georgische Autor Lasha Bugadze hat seine Erlebnisse als Teilnehmer dieser Reise nun in dem Roman „Der Literaturexpress“ verarbeitet.

Herausgekommen ist dabei eine Satire über den Literaturbetrieb, in der der „Culture Clash“ zwischen Ost- und Westeuropa überspitzt und bewusst mit Länderklischees angereichert dargestellt wird.

Hauptfigur und Erzähler der Geschichte ist der junge georgische, nur mäßig erfolgreiche Schriftsteller Zaza, der eindeutig ein Alter Ego Bugadzes ist. Zaza wird eingeladen, an der einmonatigen Tour des Literaturexpresses teilzunehmen, gemeinsam mit seinem Landsmann Zwiad, einem erfolgreichen aber neurotischen Lyriker. Auf der Reise ereignen sich allerhand absurde Dinge; die Teilnehmer werden von Stadt zu Stadt getrieben und Zaza ist schnell genervt von Zwiad und den anderen eitlen Kollegen um ihn herum. Distanziert und ironisch kommentiert er das Geschehen. Initiiert wird das Projekt von dem schwulen deutschen Paar Heinz und Rudi, das karikaturartig in Lederhosen und beohrringt auftritt.

Überhaupt sind die meisten Figuren in Bugadzes Roman schrullig und etwas überzeichnet. Da gibt es die beiden untertänigen Assistentinnen von Heinz und Rudi, Irmeli und Milena, oder die dickliche kroatische Exilschriftstellerin Danuta, den bulgarischen Autor Borisow, der als einziger der Anwesenden bereits außereuropäischen Ruhm mit einer im „New Yorker“ abgedruckten Kurzgeschichte erlangt hat (was für einigen Gesprächsstoff auf der Reise sorgt) oder das armenische Autorenpaar, das nie lächelt und immer eine tragisch-todernste Miene aufsetzt. Die verschiedenen nationalen Stereotype und ihre Differenzen werden von Bugadze fast bis zur Schmerzgrenze auf die Schippe genommen. Fast immer geht es um die allgemeine Sicht der ehemaligen Sowjetländer auf Westeuropa oder umgekehrt. Oft kommentiert Zaza auch selbstironisch das Verhalten der Georgier im Allgemeinen: „Wie arm wir Georgier doch dran sind! Stets in sorgenvoller Erwartung einer allseitigen Bedrohung, blicken wir schon im Vorfeld finster drein. Im Glauben, uns so besser schützen zu können“. Zum Teil ist das witzig, manchmal aber auch einfach nur platt.

Während der Reise finden so ziemlich alle Veranstaltungen statt, die zum „Literaturzirkus“ dazugehören: Lesungen, Podiumsdiskussionen und auch ein Schreibwettbewerb, zu dessen Teilnahme alle mitgereisten Autoren latent gezwungen werden und dessen Gewinner am Ende der Fahrt gekürt wird. Sogar die Frankfurter Buchmesse wird besucht, was jedoch alle schrecklich ermüdend finden. Sehr schön ist eine Szene, in der sich die Autoren im kalten, verregneten Paris zu ihrer Begrüßung auf dem Bahnhofsplatz eine spontane Performance anschauen müssen, in der weiß gekleidete Schauspieler Textpassagen der Gäste in deren Muttersprachen vortragen. Die pseudokreative Veranstaltung geht ordentlich schief, niemand kann etwas damit anfangen.

Natürlich wird auch der Typus des Schriftstellers persifliert. Etwa wenn alle fieberhaft ihre Laptops und Notizbücher hervorholen und anfangen zu schreiben, sobald sich der Zug in Lissabon in Bewegung setzt. Zaza bemerkt dazu trocken: „Und auf einmal ereignete sich vor meinen Augen ein urkomisches Schauspiel: All diese Menschen verwandelten sich in Schriftsteller! […] Und wie unglaublich gut sich alle diese Menschen in ihrer Schriftstellerrolle fühlten – die Schreibmanie schien ungebremst!“ Unter den Autoren wird außerdem gewissenhaft differenziert zwischen Lyrikern und Prosaisten, denn da gibt es natürlich erhebliche Unterschiede.

All diese Sachen sind nett zu lesen und bringen einen immer wieder zum Schmunzeln. Grundsätzlich fehlt dem Text jedoch der nötige Biss und gute Pointen, um richtig gute Satire zu sein. Die Sprache wirkt oft hölzern und die Pointen sind teilweise so offensichtlich und flach, dass man sich fragt, ob das schon alles war oder ob nicht doch mehr dahintersteckt. Auch die Dialoge sind häufig banal und laufen ins Leere. An der Übersetzung liegt das vermutlich weniger, denn „Der Literaturexpress“ wurde von der ambitionierten Autorin Nino Haratischwili übertragen. Haratischwili ist Georgierin, lebt aber in Berlin und schreibt ihre Theaterstücke und Romane auf Deutsch, weshalb sie für beide Sprachen eigentlich ein besonderes Gefühl haben müsste.

Die Handlung hat keinen besonderen Spannungsaufbau, sie plätschert eher gemütlich dahin und ist streckenweise sogar etwas langweilig. Zwischendurch werden immer wieder Tagebucheinträge der Mitreisenden eingeschoben, in denen die Figuren das Geschehen aus ihrer Sicht reflektieren und kommentieren. Einen gewissen Clou hat jedoch die Machart des Textes: Zaza erwähnt immer wieder, dass er gerne einen Roman schreiben möchte; nach und nach wird klar, dass sein geplanter Text genau der Roman ist, den der Leser gerade in den Händen hält. Das Schreiben über das Schreiben macht Bugadze hier spielerisch zum Thema.

Darüber hinaus gibt es sogar noch eine kleine Liebesgeschichte. Zaza verguckt sich in die wunderschöne Griechin Helena, die als Frau eines polnischen Übersetzers mit an Bord des Zuges ist. Die gesamte Fahrt über versucht er sich ihr zu nähern und am Ende kommt es zu einem kurzen Stelldichein auf der Zugtoilette, was Zaza voller Stolz schildert. Auf der letzten Seite des Romans erfährt man jedoch in Helenas Tagebucheintrag, dass dieses Stelldichein niemals stattgefunden hat. Plötzlich ist völlig offen, was man dem Erzähler überhaupt glauben darf von dem, was er über seine Reise berichtet hat. Diese kleine, überraschende und augenzwinkernde Wendung stimmt einen wieder etwas versöhnlicher mit Bugadzes Buch, das trotz seiner Schwächen empfehlenswert ist.

Titelbild

Lasha Bugadze: Der Literaturexpress.
Übersetzt aus dem Georgischen von Nino Haratischwili.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt a. M. 2016.
315 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783627002237

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