Marionette Ich?

Über Philipp Hübls „Der Untergrund des Denkens. Eine Philosophie des Unbewussten“

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das weiß doch jeder: Wichtige Entscheidungen wollen gut überlegt sein! Am besten wägt man das Für und Wider gründlich ab, vielleicht sogar in Form einer Pro-und-Contra-Liste. Oder hört man doch besser auf sein Bauchgefühl? Das behauptet jedenfalls der niederländische Psychologe Ap Dijksterhuis: „Je komplizierter die Wahl ist, desto unbewusster sollte man sich entscheiden.“

Eine Botschaft, die viele erleichtern dürfte. Denn Entscheidungen kosten oft viel Zeit und Energie. Wie schön wäre es da, brauchte man wirklich nur seiner Intuition zu vertrauen, seinem „Unbewussten“. Dijksterhuis‘ Experimente scheinen diese These zu belegen: Seine Versuchspersonen sollten sich zum Beispiel für ein Auto entscheiden – und wer einfach nur eine Nacht lang darüber schlief, fällte anderntags prompt die für ihn optimale Entscheidung.

Jedoch: Inzwischen haben Kontrollexperimente und Folgeversuche Dijksterhuis‘ Ergebnisse entweder relativiert oder sogar widerlegt. Macht aber nichts: Dijksterhuis avancierte mit seinen steilen Thesen dennoch zu einem der bekanntesten Psychologen der Gegenwart. Für den Stuttgarter Philosophen Philipp Hübl sind Forscher wie Dijksterhuis oder auch sein deutscher Kollege Gerd Gigerenzer, der die „Intelligenz des Unbewussten“ entdeckt haben will, exemplarisch. Weil sie zeigen, wie erfolgsträchtig es heute sein kann, als Wissenschaftler möglichst provokante Behauptungen über die angebliche Macht unbewusster Faktoren aufzustellen. Die Aufmerksamkeit von Medien und Publikum ist dann fast schon garantiert.

Natürlich weiß auch Philipp Hübl, Jahrgang 1975, sich außerhalb des akademischen Elfenbeinturms Gehör zu verschaffen. Schon 2012 erhielt er viel Lob für seine bei Rowohlt erschienene Philosophieeinführung „Folge dem weißen Kaninchen“, seitdem publiziert er in der „FAZ“, der „taz“ oder bei „Spiegel online“. Mit seinem smarten Aussehen und seiner gut lesbaren Art zu schreiben tritt er quasi in die Fußstapfen von Richard David Precht. Für die Philosophie können solch medienversierte Vertreter nur gut sein, führt sie doch seit langem nur noch ein Schattendasein gegenüber den auftrumpfenden Naturwissenschaften. Dabei sind philosophische Argumente und Denkwerkzeuge nötiger denn je, wenn es darum geht, empirische Experimente und ihre Ergebnisse richtig einzuordnen – das ist heute nicht anders als zu Zeiten Immanuel Kants, auf den Hübl sich unter anderem beruft.

So arbeiten die wenigsten der von Hübl kritisierten Forscher mit einem klaren Begriff vom Bewusstsein oder von seiner „kleinen Schwester“, der Aufmerksamkeit. Und völlig verwirrend wird es, wenn mit dem Begriff „unbewusst“ jongliert wird: Gerade in seiner Bedeutungsvielfalt liegt für Hübl einer der Gründe für seine Popularität. Ebenso muss man unterscheiden, wo das „Unbewusste“ eigentlich stecken soll: Sigmund Freud suchte es in unseren verdrängten Wünschen und Leidenschaften, seine Nachfolger fanden es unter anderem in der Sprache, der Tiefenstruktur der Grammatik, die unser Denken bestimme. Oder in der Gesellschaft, in Klassen und Milieus, die unser Verhalten prägen würden. Und neuerdings vor allem im Gehirn, den Neuronen, die schon feuern sollen, bevor das Ich seine bewusste Entscheidung gefällt hat.

Wo auch immer das Unbewusste gesucht wird, die Argumentation ist letztlich immer gleich, betont Hübl: Das klassische Menschenbild vom autonomen Subjekt sei falsch, behaupten die „Jünger des Unbewussten“, das Ich sei letztlich nur eine Marionette, etwas anderes ziehe heimlich die Fäden. Die Konsequenzen all dieser Theorien vom Unbewussten sind weitreichend: Denn wer glaubt, dass der Mensch nicht frei sei, sondern determiniert, stellt automatisch Ethik und Moral in Frage. Oder auch unser Rechtssystem: Der Bremer Hirnforscher Gerhard Roth etwa hält den freien Willen für eine „nützliche Illusion“ und fordert ein Strafrechtssystem ohne Schuldprinzip, das primär auf Therapie setzt.

Warum einen diese Thesen nicht allzu sehr beunruhigen müssen, zeigt Hübl in seiner überfälligen Verteidigung des autonomen Subjekts überzeugend auf: Forscher wie Roth oder Dijksterhuis ziehen aus Einzelfällen unzulässige Verallgemeinerungen oder übertreiben mit ihren Folgerungen maßlos. Unbefriedigend fällt dagegen – ausgerechnet – Hübls Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse aus: Wer glaubt, dass man aus Träumen nicht mehr erfahren kann als die Funktionsweise des assoziativen Gedächtnisses, sollte sich vielleicht doch einmal auf die Couch eines Analytikers legen. Und sei es nur aus experimentellen Gründen.

Titelbild

Philipp Hübl: Der Untergrund des Denkens. Eine Philosophie des Unbewussten.
Rowohlt Verlag, Reinbek 2015.
480 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783498028114

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