Ei­ne gelungene und gut recherchierte Überblicksdarstellung für Einsteiger

Christian Schön bietet einen Epochenüberblick zur deutschsprachigen Literatur vom Mittelalter bis zur Gegenwart

Von Torsten MergenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Torsten Mergen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Geschichte und geschichtliches Wissen gelten bisweilen als trockene Ansammlung von Daten und Fakten. Eine Beschäftigung mit historischen Gegenständen erweckt oftmals gerade bei der jüngeren Generation geringe Motivation. In Zeiten der Omnipräsenz von digitalen und audiovisuellen Medienangeboten bleibt der sachlich fundierten Darstellung historischer Sachverhalte häufig nur ein zweiter Platz hinter der medienkonformen narrativen Darbietungsweise. Einen Kompromiss stellen – neben digitalen Angeboten – illustrierte Geschichtsdarstellungen in Printform dar, die sich auch vom Layout her den Seh- und Lesegewohnheiten von Schülerinnen und Schülern sowie Studierenden anpassen beziehungsweise annähern. Christian Schön zeigt nun exemplarisch am Umgang mit der deutschen Literaturgeschichte in Form einer vollillustrierten Darstellung, die im renommierten Metzler Verlag erschienen ist, wie zukünftige Überblicks- und Einführungswerke gestaltet sein könnten: Mit einem Umfang von 192 Seiten wird ein ambitionierter Versuch unternommen, Epochen, Werke und Autoren aus über 1.000 Jahren deutschsprachiger Literaturproduktion einem Orientierung und Basiswissen suchendem Leserkreis vorzustellen. Dabei werden zahlreiche Illustrationen, Fotos und historische Bildquellen genutzt, um die Imagination der Leserinnen und Leser zu stimulieren und die Literaturgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart visuell gefällig zu präsentieren. Zugleich haben einige ausgewählte Dokumente programmatischen Charakter, beispielsweise beginnt der Band mit einer Zeichnung von Wilhelm von Lindenschmit der Jüngere, auf der eine Lesung Friedrich Schillers vor seinem Gartenhaus in Jena mit Teilnehmern wie Johann Wolfgang von Goethe, Christoph Martin Wieland sowie Wilhelm und Alexander von Humboldt dargestellt ist.

Im Zentrum des Buches steht eine Leitfrage, die am Anfang der illustrierten Literaturgeschichte mit der Frage nach ihrer Grenze formuliert wird: Wie deutsch ist die deutsche Literatur und wo be­ginnt beziehungsweise endet sie? Die Antwort, die der Autor Christian Schön bietet, lässt aufhorchen: Nach einer Musterung der sprachlichen, geografischen, historischen und kulturellen Merkmale des betrachteten Raums konstatiert er, die deutsche Literatur stelle sich dar als „Geschichte mit ausgefransten Rändern, inneren Brüchen und holprigen Übergängen“. Nur wenige Namen verdeutlichen die Schwierigkeiten einer nationalsprachlich bezogenen Darstellung, wenn man an Andreas Gryphius, Heinrich Heine oder Friedrich Hölderlin erinnert wird oder an deutschsprachige Kulturräume wie die Schweiz oder Österreich denkt.

Von der Darstellungsweise her sind die zwölf Epochenkapitel recht stringent aufgebaut: Zur Li­te­ra­tur des Mit­tel­al­ters, die mit ei­nem Zeit­raum von 750 bis 1500 die größte Zeitspanne umfasst, geht Schön auf wesentliche Merk­ma­le und Tra­di­tio­nen ein, verweist auf die besondere Rolle der lateinischen Sprache als dominanter Ver­stän­di­gungs­spra­che und hebt hervor, dass Dich­tung in Volks­spra­che nur münd­lich existiert, ehe sie a posteriori schrift­lich fixiert wurde.

Schön intendiert, die literarischen Epo­chen mög­lichst präzise abzugren­zen. Beispielsweise endet das Mit­tel­al­ter in dieser Einführung im Jahr 1500, daran schließt sich die Re­for­ma­tion an. Je näher man der Gegenwart kommt, desto vager werden die Epochenabgrenzungen und umso detailreicher die Erläuterungen zu den Epochen. Dies ist sicherlich das klassische Dilemma jeder Literaturgeschichte mit umfassendem Anspruch, da einerseits die Gren­zen der ver­schie­de­nen Strö­mun­gen ge­rade im 20. Jahr­hun­dert fluide werden, andererseits eine Reflexion über die Ein­tei­lung der Li­te­ra­tur­ge­schichte in die Epo­chen den Charakter eines Einführungswerkes wohlmöglich überstrapazieren würde.

Zu jeder Epoche, von der Literatur des Mittelalters über die der Reformation und des Barocks, der Aufklärung, des Sturm und Drangs und der Weimarer Klassik, der Romantik, des Vormärz, des politischen Realismus, des Naturalismus, der Moderne, des Expressionismus, der Neuen Sachlichkeit und der Exilliteratur bis zur Literatur des geteilten Deutschlands und der Literatur der Gegenwart, werden einführend Entstehung und literarische, ästhetische und kulturelle Besonderheit im Überblick erläutert, Begrifflichkeiten definiert und durch Illustrationen Autoren und Meilensteinwerke veranschaulicht. Wichtige Strömungen innerhalb einer jeden Epoche werden gleichfalls beschrieben und zumeist nachvollziehbar beschrieben, ferner werden wesentliche Textgattungen und Werke in ihren historischen und kulturellen Bezügen vorgestellt und inhaltlich knapp umrissen. Ein genauer Blick zeigt bei einer solchen Fülle an Informationen und Daten kleinere Ungenauigkeiten, die in Folgeauflagen problemlos korrigiert werden können, etwa wenn die Lebensdaten von Johann Christoph Gottsched irrtümlich mit „1597–1639“ angegeben oder Bertolt Brechts „Leben des Galilei“ ungenau mit dem Entstehungsjahr „1943“ datiert werden.

Das Layout der einzelnen Kapitel ist gelungen und weckt durch den Abdruck der Titelbilder wichtiger Werke sowie durch die farblich abgehobenen (insgesamt rund 40) „Infoboxen“ zu prägnanten Autorinnen und Autoren einer Epoche Interesse für eine vertiefende Beschäftigung. Die in den „Info-Boxen“ ge­nauer vorgestellten Literaten wer­den oftmals auch mit Bild präsentiert, dabei entdeckt man selten etwas Neues: Beispielsweise wird Walt­her von der Vogel­weide in der klassischen Dar­stel­lung aus dem Co­dex Ma­nesse präsentiert.

Abgerundet wird der Band durch einen übersichtlichen Zeitstrahl, auf dem Ereignisse, Autoren und ihre Werke chronologisch zugeordnet werden. Zudem findet sich am Ende des Buches eine Empfehlungsliste mit weiterführender Literatur zu den einzelnen Epochen, die Schöns Publikation als Nachschlagewerk für Schüler und Studierende ausweist. Resümierend betrachtet ist die illustrierte Li­te­ra­tur­ge­schichte von Chris­tian Schön ei­ne gelungene und gut recherchierte Überblicksdarstellung zum etablierten Kanon der deutschen Literaturgeschichte, die dem Trend zur knappen Information folgt.

Titelbild

Christian Schön: Illustrierte Geschichte der deutschen Literatur. Epochen – Autoren – Werke.
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2016.
192 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783476026477

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