Die Risikoflotte

Eine kritische Sicht auf Flottenbau und Seekrieg (1914–1918)

Von Heribert HovenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heribert Hoven

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Kriegsmarine des deutschen Kaiserreiches war keine Kreuzfahrtgesellschaft. Trotzdem blieb sie ein Luxusunternehmen, das sich überdies als männermordend herausstellte und als ganz und gar gefährlich für den Weltfrieden. Die kaiserliche Flotte war nicht das Kind des Kaisers, wohl aber sein Liebling. Bereits als preußische Flotte in den Einigungskriegen geplant und in Ansätzen geschaffen, unterstand sie, anders als das Feldheer, dem direkten Befehl des Kaisers. Allerdings diente sie unter Bismarck, der sie klein hielt, allein der Küstenverteidigung. Erst nach dessen Entlassung und nunmehr unter dem persönlichen Regiment des jungen Kaisers Wilhelm II. stehend, sollte sie Deutschland zur Weltgeltung verhelfen.

Mit diesem Anspruch traf sie jedoch auf die Gegnerschaft der Royal Navy, die ihrerseits das britische Weltreich zu sichern hatte. Mit dem von ihm neu ernannten Chef des Reichsmarineamtes Alfred Tirpitz verband den jungen Herrscher eine merkwürdige Hass-Liebe zu England. Ebenso wie Wilhelm, der eine englische Mutter und Großmutter besaß, bewunderte Tipritz die Insel und schickte seine Töchter dorthin zur Schule. Zugleich betrieben die beiden mit ihren Plänen zum Aufbau einer Panzerschiffflotte ein riskantes Spiel. Indem sie eine Drohkulisse errichteten, wollten sie England aus der Splendid Isolation locken und zu einem Verständigungsbündnis zwingen. Das ging gründlich schief. Das ungeschickte Auftreten Wilhelms und eine völlig veränderte Weltlage führten 1907 zur sog. Triple Entente zwischen Großbritannien, Frankreich und Russland, die in Deutschland als feindliche Einkreisung empfunden wurde. Dem deutschen Flottenprogramm begegnete England mit einer Modernisierung seiner Schiffe und löste damit einen verheerenden Rüstungswettlauf aus. Innenpolitisch erzielte das Flottengesetz des Kaisers, das für sechs Jahre gelten sollte, allerdings die gewünschte Wirkung, dass der Reichstag mit seiner Zustimmung zum Schiffsbau für lange Zeit auf sein Budgetrecht verzichtete, das eines der wenigen Kontrollrechte gegenüber der semiabsolutistischen Monarchie bildete.

1898 gründete Tirpitz, der „Vater der Schlachtschiffe“ (H.A.Winkler) den Flottenverein, der als Geburtshelfer fungierte, indem er auf eine promaritime Stimmung in Deutschland einwirkte. Außerdem schuf Tirpitz innerhalb des Marineministeriums ein Pressebüro, das den Flottenbau propagandistisch unterstützen sollte. Den Autoren des vorliegenden Bandes jedoch, beide Fregattenkapitäne und wissenschaftlich eng mit der heutigen Bundesmarine verbunden, kann man keineswegs den Vorwurf machen, hier pro domo zu sprechen oder gar eine Flottenbegeisterung schüren zu wollen. Im Gegenteil. Sehr sachlich wird in dem Überblickswerk der Aufbau der Flotte, der Ablauf des Seekrieges 1914–1918 und das Ende der kaiserlichen Marine in Scapa Flow beschrieben. Mehrfach weisen die Autoren darauf hin, dass das Konzept der „Risikoflotte“ bereits vor dem Krieg als gescheitert angesehen werden musste, wie letztlich auch der „Schlieffenplan“, mit dem das Landheer einen Zweifrontenkrieg führen sollte.

Wenn Christopher Clark die Reichs-Diplomatie und die Oberste Heeresführung als „Schlafwandler“ bezeichnet, so gilt dies erst recht für die Flottenleitung und ihren Oberbefehlshaber. Die kaiserliche Flotte konnte die Royal Navy niemals zu der entscheidenden Vernichtungsschlacht zwingen, die wohl auch kaum den Krieg beendet hätte. Die Seegefechte bei Helgoland, an der Doggerbank und im Skagerrak, die sich eher dem Zufall als einer strategischen Planung verdankten, zeigten vielmehr die Verwundbarkeit der Großkampfschiffe auf, die fortan im Hafen blieben. Für längere Unternehmungen über die Nordsee hinaus reichte bei den Monsterschiffen der Dreadnaught-Klasse ohnehin der Treibstoff (d.i. die Kohle) nicht. Die Briten verlegten daher die Blockadelinie weiträumig bis in den Nordatlantik, von wo aus sie sehr wirkungsvoll den Schiffshandel nach Deutschland unterbrechen konnten. Aus der Untätigkeit entflohen einige deutsche Kreuzer in Nadelstichunternehmen, indem sie Ortschaften an der englischen Ostküste beschossen. Gravierender wirkte sich aus, dass die Marineführung nun verstärkt auf den U-Boot Krieg setzte, auf den sie allerdings unzureichend vorbereitet war. Immerhin verstieß der „uneingeschränkte U-Boot Krieg“ gegen internationales Kriegsrecht und war damit einer der Gründe, warum die USA in den Krieg gegen Deutschland eintraten.

Großen Raum in der Darstellung nimmt auch das Leben an Bord der kaiserlichen Flotte ein, weil sich darin das Klassensystem des wilhelminischen Zeitalters widerspiegelt. Die vergleichsweise kleine Zahl meist adliger Offiziere, die weder Juden noch Sozialdemokraten in ihren Reihen duldeten, lebte recht komfortabel, derweil die Mannschaften in primitiven Unterkünften hausten. Wegen des Kriegszustandes durften während der endlos langen Liegezeiten im Hafen nur die Offiziere das Schiff verlassen. Die Mannschaften waren unterdessen einem öden und als sinnlos angesehenen Drill unterworfen, wie etwa das beliebte „rein Schiff machen“, alles Umstände, die nicht zuletzt im November 1918 zu der Matrosenrevolte in Kiel beitrugen, welche schließlich auch zum Untergang des Wilhelminischen Reiches führte. Beim Untergang eines Schiffes indes, der im Durchschnitt 1.000 Todesopfer kostete, waren dann wiederum alle gleich. Gemäß dem Versailler Vertrag musste die kaiserliche Flotte als Kriegsbeute in die Bucht von Scapa Flow überführt werden, wo die Schiffe dann zum Ärger der Sieger von der eigenen Besatzung auf Grund gesetzt wurden und somit ein ziemlich unrühmliches Ende fanden.

Titelbild

Christian Jentzsch / Jann M. Witt (Hg.): Der Seekrieg 1914-1918. Die Kaiserliche Marine im Ersten Weltkrieg.
Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 2016.
184 Seiten, 41,00 EUR.
ISBN-13: 9783806232721

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