Studentische Handorakel und akademische Klugheitslehren

Studienratgeber als moralistische Universitätsliteratur

Von Patrick Eiden-OffeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Patrick Eiden-Offe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Der Wunsch, klug und tüchtig zu erscheinen, hindert uns oft daran, es zu werden.“
La Rochefoucauld, Maxime Nr. 199

Wozu Ratgeber-Literatur? Warum schreibt, warum liest jemand einen Ratgeber? – Auf der Produzentenseite, auf der Seite des Schreibens, scheint eine Antwort – vielleicht unterkomplex, aber sicher durchaus zutreffend – schnell gefunden: Es ist der Markt, der dazu drängt, Ratgeber-Literatur zu verfassen. Wer keine Kochbücher schreiben kann, aber trotzdem große Stückzahlen abschlagen will, der verfasst einen Ratgeber.

Wer aber kauft – und, um die Frage noch zu verschärfen: wer liest – diese ganzen Bücher? Und wozu? Das gesellschaftspolitische und bildungshistorische Milieu, in dem all die mehr oder weniger ernst zu nehmenden Universitäts- oder Studien-Ratgeber aus dem Boden schießen, ist noch relativ leicht zu klären: Die Erwartungen und Erwartungserwartungen, mit denen die Akteure im akademischen Raum – Studierende, DozentInnen, nicht zuletzt die Verwaltung – einander begegnen, sind so unklar wie lange nicht mehr; was universitäre Bildung, was akademische Ausbildung heißen soll und wie – und ob überhaupt noch – man sie erwerben soll, weiß kein Mensch mehr zu sagen; die Institution der Universität selbst – die doch qua Institutionalität Stabilität wenn nicht gewährleisten, so doch suggerieren soll – steht auf dem Spiel. Ganz einfach und lebenspraktisch (und darauf wird viel gehalten im Ratgeberdschungel): Heute ist vielfach der Dozent darauf angewiesen, dass seine Studierenden ihm erklären, wie viele ECTS-Punkte eigentlich in der gerade laufenden Veranstaltung wie erworben werden können und welche Studienordnung(snovelle) gerade gilt. Was das alles darüber hinaus überhaupt soll – das fragt kaum noch wer (und alle tun vielleicht – jedenfalls lebenspraktisch gesehen – auch gut daran). Wenn alles so tut, als ob schon viel gewonnen wäre, wenn bloß der alte Trott einfach weitergehen würde, es diesen Trott aber eigentlich gar nicht mehr gibt, dann ist guter Rat teuer. Hier springen die Ratgeber ein.

Die Frage nach dem Ratgeben als Sprechhandlung und „Sprechaktsequenz“ ist umfassend untersucht worden; der Hagener Germanist Michael Niehaus etwa hat 2014 eine „Logik des Ratgebens“ herausgearbeitet, nach der sich die immanenten und kontextuellen Gelingensbedingungen eruieren lassen, die den Sprechakt des Ratgebens ermöglichen.

Aber folgen die im Folgenden zu erörternden Studien- und Universitätsratgeber denn tatsächlicher jener „Standardversion“, die nach Niehaus das Muster jedes „ernsthaften“ beratenden Sprechakts bildet, und wollen sie dies wirklich (d.h.: ernsthaft)? Folgen die in der Ratgeberliteratur kondensierten Beratungshandlungen wirklich jener Sequenz von Problemidentifikation, Beratungsnachfrage, Problemexplikation, „Gabe des Rats“, dessen Annahme und seiner abschließenden Berücksichtigung (bzw. Ablehnung oder Ignorierung)? Geht es, mit anderen Worten, bei aktuellen Universitäts- und Studienratgebern – bei Werken wie Endlich Studium!, Simulieren geht über Studieren, Der Studi-Survival-Guide, Der Campus-Knigge oder Wir werden zu Tode geprüft – geht es hier wirklich um ernsthafte Sprechakte des Beratens? Oder ist es nicht sinnvoller – und dieser Vorschlag soll im Folgenden geprüft werden –, die aktuelle Ratgeber-Literatur als etwas anderes zu lesen: als eine (relativ neue) Form von Literatur in der Tradition der alten Moralistik, der es nicht wirklich um konkrete Akte der Beratung geht, sondern um den Entwurf einer Persona, einer Persona allerdings, die sich selbst als beratbar und beratungsoffen entwirft. Dann ließe sich auch die Frage danach, warum Menschen Ratgeber-Literatur, warum Menschen ausgerechnet Universitätsratgeber schreiben und lesen, noch einmal anders beantworten: Vielleicht geht es hier tatsächlich um den Entwurf einer akzeptablen und sogar bejahbaren Form für das eigene Selbst, um Vision und Selbstversicherung vielleicht gar einer ganzen Existenzweise oder Lebensform. Ich betone den Entwurf, weil unter gegebenen Bedingungen – nach dem Schwund jeder Normalität einer durchschaubaren Ordnung an den Universitäten – eine Ordnung für das eigene Leben als Studentin, als Student, aber auch als Dozent, sich nur noch tentativ, explorativ und prekär, auf Widerruf, umreißen lässt: Es bedarf also keiner bloßen Moral mehr, die Regeln festschreibt und dann deren Anwendung überwacht, sondern einer „Moralartistik“, bei der ein „ludistische[s] Element“ nicht fehlen darf (und man ist geneigt, sich hier paronomastisch ein luddistisches Element zu wünschen: einen Maschinensturm im neoliberalen Herzen der lebenslangen Lernfabrik), wie es Karlheinz Stierle in seinem Aufsatz Was heißt Moralistik? von 2010 darlegt.

Dass es nicht zu hoch gegriffen ist, wenn hier von Entwürfen einer „Lebensform“ gesprochen wird, zeigt ein schon oberflächlicher Blick in unsre Ratgeber: Denn es ist zweifellos das Leben, das „Leben der Studenten“ (Walter Benjamin), das im Zentrum allen beratenden Eifers steht: Das Studium soll per Handbuch zur „beste[n] Zeit des Lebens“ werden, der Survival-Guide will immerhin das Überleben der „Studis“ sichern – und zwar qua richtiger „Study-Life-Balance“ –, und auch Birger Priddat schließt in Wir werden zu Tode geprüft. Wie man trotz Bachelor, Master und Bologna intelligent studiert sein brisantes, insgesamt aber sehr gelungenes Kapitel über den akademischen „Gender Trouble“ mit dem Satz: „Ich rate Ihnen, das Studium und das Leben danach als einen Zusammenhang zu begreifen.“ Wie indes dieser Zusammenhang von Studium und Leben gefasst, und wie also das Leben der Studierenden (und Lehrenden) entworfen wird, das stellt sich in den verschiedenen universitären Lebenslehren sehr verschieden dar.

Beginnen wir mit einem aussagekräftigen (und zum Teil durchaus amüsanten) Etikettenschwindel: Der Campus-Knigge, eine „Publikation der Arbeitsgruppe ‚Manieren’ der Jungen Akademie an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina“ (gefördert von der VW-Stiftung und dem BMBF), tritt – ganz in unserem Sinne – als eine Klugheitslehre auf, die, wie ihr Original, Ueber den Umgang mit Menschen aufzuklären vorgibt. Hinter dieser Maske verbirgt sich indes ein schnödes Glossar: Ein alphabetisch geordnetes und jeweils „witzig“ erläutertes Verzeichnis akademischer Begriffe, Rituale und Worthülsen – „Von Abschreiben bis Zweitgutachten“, wie der Untertitel offen und ehrlich und in wackeliger Grammatik zugibt. Schade ist dabei allerdings, dass die meisten der Beiträge sich im Kopf des Lesenden wenigstens in Umrissen schon fast selbst schreiben, wenn man bloß das Stichwort sieht, um das es gehen soll: „Berufungsverfahren“, „Frauenbeauftrage“, „Nekrophilie“, „PD“, „Professorengattin“, „Ruf“ oder „Sex“ werden routiniert-ironisch durchgenickt (oder durchgekniggt), und dass die meisten BeiträgerInnen Profis vom Fach oder aus dem Feuilleton sind, verstärkt und schmälert das ambivalente Lesevergnügen in Einem. Herauszuheben wäre vielleicht die schöne Glosse des Konstanzer Germanisten Albrecht Koschorke zum „Schweigen“, die nicht etwa bloß wortreich beklagt, dass an den Unis zu wenig oder in den Seminaren zu viel geschwiegen würde, sondern tatsächlich einen Vorschlag unterbreitet, wie mehr heilsames Schweigen im akademischen Betrieb institutionalisiert werden könnte, und zwar unabhängig vom goodwill oder dem guten Geschmack aller Beteiligten: Koschorke regt – angelehnt an die Brachflächenprämie aus dem EU-Agrarhaushalt – einen durchgestuften DFG-Tarif an: „150,- € für jeden nicht gehaltenen Vortrag, 3000,- € für jede aus dem Kalender gestrichene Tagung, einen Orden pour l’humanité für jeden nicht geschriebenen Antrag, nicht zuletzt einen beträchtlichen Overhead für Hochschulen, die so vorausschauend und kühn sind, ihre Sonderforschungsbereiche zu schließen.“

Der Unterhaltungswert der Beiträge unterscheidet den Campus-Knigge von einem Büchlein wie Simulieren geht über Studieren, wo an der Resterampe des Ressentiments bloß die angebliche Unverständlichkeit und Aufgeblasenheit des akademischen Jargons beklagt und ridikülisiert wird. Am Ende reicht schon ein womöglich ausgefallenes „Wort aus der Fremde“ (Adorno), um der Blenderei geziehen zu werden. Überflüssig.

Die Frage des Lebens wird in Martin Krengels Studi-Survival-Guide schon im monströsen Titel als eine solche des Überlebens gestellt. Und ein survival of the fittest darf nur derjenige erwarten, der sein Zeit- und Selbstmanagement am effizientesten optimiert. Dabei hilft – überraschenderweise – „das Buch“, und zwar das Buch, das man mit dem Studi-Survival-Guide in Händen hält. Kein anderes der in Augenschein genommenen Ratgeber präsentiert sich selbst so ungebrochen in der Tradition eines Lebensbuches, eines Buchs, das zum unerlässlichen Lebensbegleiter und damit zum Teil des Lebens selbst wird. Schon in der „Gebrauchsanweisung“ für den Survival-Guide heißt es in den Paragraphen 3 und 4 entsprechend: „Arbeite mit dem Buch! Beim Nachdenken über das Gelesene und der Suche nach eigenen Beispielen setzt du dich intensiver mit den Inhalten auseinander. […] Denke mit Zettel und Stift. […] Sprich über das Buch! Vermittle die Inhalte Freunden, diskutiert gemeinsam darüber. Werde vom Schüler zum Lehrer!“ So, will man meinen, funktionieren Lesen und kollektive Lernprozesse überhaupt – man (der geneigte „Studi“) sollte bloß vielleicht statt irgendwelcher obskurer Guides lieber mal richtige Bücher lesen. Der so zart sich hegende Verdacht, dass sich der Studi-Survival-Guide vielleicht selbst als ein trojanisches Pferd begreift, der orientierungslose „Studis“ in ihrer Orientierungslosigkeit abholt, um sie dann unvermerkt zum Lesen zu bringen, zum Lesen von richtigen Büchern vielleicht sogar, zerstreut sich allerdings ziemlich schnell. Schon in Paragraf 7 der Gebrauchsanweisung macht der Autor klar, dass er eigentlich nur eine Sache bierernst nimmt: nämlich sich selbst und „das Buch“, das er geschrieben hat. Hier heißt es unter der Überschrift „Das Survival Diplom“: „Wenn du das Buch gelesen hast, leg es bitte nicht weg! [Das Wort „bitte“ kommt ansonsten sehr selten vor.] Es sollte ein Begleiter im Studium sein. Nach einmaligem Lesen würdest du vieles wieder vergessen. Deswegen habe ich [das Wort „ich“ kommt sehr häufig vor] das ‚Suvival-Diplom’ (S. 250) als zwölfmonatiges Umsetzungsprogramm konzipiert, das du Monat für Monat abarbeiten kannst.“

Aber wie genau nun sollte das Leben der Studenten according to Krengel aussehen? In einer Sprache, die habituell zwischen Koberer-Sprüchen, Sportstudi-Lässigkeit und Management-Psycho-Enhancement-Talk changiert, „konzipiert“ der Autor das Programm einer „Life-Study-Balance“, in der das Leben stets jenseits oder außerhalb des Studiums verortet wird; eines Studiums, das deshalb wesentlich als leblos oder tot aufgefasst werden muss. In diesem Modell erhebt das Studium permanent Ansprüche, die stets auf Kosten des Lebens gehen; eines Lebens, das hier wesentlich als „Feiern“ oder als Training im Leistungsturnen (20 Stunden die Woche!) gefasst wird. Leben und Studium sind Feinde, Fressfeinde, die um die Zeit des „Studis“ kämpfen; effizientes Selbst- und Zeitmanagement kann, bei diesen Voraussetzungen, nur als Kompromiss gelingen, der beiden strikt getrennten Sphären aber äußerlich bleibt. Als Dozent, der ja qua Position immer schon in der untoten Sphäre des „Studiums“ verortet ist (auch wenn man dort dann seinerseits wieder das Life-Work-Balance-Spielchen treiben soll), kann es einem letztlich nur grauen vor „Studis“, die solcherart gecoached dann in den eigenen Veranstaltungen oder Sprechstunden rumsitzen. Die leblosen Augen sprechen Bände. Aber Gott sei Dank ist es doch – selbst bei hohen Verkaufszahlen (4. Auflage!) – immer noch eine Minderheit, die sich auf Spuk dieser Art einlässt. Ein Spuk, der im besten Fall allerallgemeinsten common sense als neueste Erkenntnis verkauft.

Dass es eine Einheit von Studium und Leben geben könnte – und sei es auch nur so, dass man gleich im ersten Semester zu tief in seinen Rimbaud schaut und dann von Anfang an die Einhaltung der Regelstudienzeit konsequent durch die Billigbier-induzierte „Entregelung aller Sinne“ sabotiert –, dass es, seriös gesprochen, gerade die Utopie des Studiums als Lebensphase sein könnte, dass noch nicht alles, was einem wichtig ist, schon sorgfältig getrennt und eingekastelt werden muss, damit es dann vermittelt und in eine Balance gebracht werden kann, das wäre eine Idee, die erst wieder in Umlauf zu setzen wäre. Wenigstens dem Titel nach leistet dies schon Endlich Studium! Das Handbuch für die beste Zeit deines Lebens. Die Emphase, die sich in diesem Titel ausdrückt, verflüchtigt sich dankenswerterweise im Buch selbst schnell wieder; es bleibt ein denkbar sachlicher, nüchterner Ratgeber, der Einstiegs- und Übersetzungshilfen für EinsteigerInnen bietet, ohne gleich alle institutionellen Schwellen und Idiome schon als solche verteufeln zu müssen. Hier soll insgesamt ein „studentisches Lebensgefühl“ vermittelt werden, und das klingt dann gerade wegen des nostalgischen Touches schon fast wieder visionär. Schön und klar ist, das es auch in Endlich Studium! eine Außenseite des Studiums innerhalb der Einheit „Studium als Lebensphase“ gibt; die heißt hier aber nicht einfach „Leben“ sans phrase, sondern, voilà: „das wilde Leben“. Viel Spaß in der „besten Zeit deines Lebens“!

„Soll man effizient studieren? Gott bewahre. Effizient studieren heißt, Maßstäbe anderer – der Wirtschaft, der Gesellschaft etc. – zu akzeptieren. Ich habe die Wirtschaft noch niemals kennengelernt. Es gibt ein großes Erwartungsspektrum.“ Das schreibt Birger Priddat, Professor für Politische Ökonomie an der Universität Witten-Herdecke, und nimmt so nonchalant allem vorauseilenden Gehorsam gegenüber den vermeintlichen Sachzwängen der modernen Wirtschaft den Wind aus den Segeln. Auch sein Ratgeber Wir werden zu Tode geprüft nimmt schon im Titel das Leben in den Blick, wenn auch negativ. Hier ist es aber nicht das Studium als solches, das „das Leben“ aussaugt, sondern eine bestimmte Organisation, eine bestimmte Form des Studiums, gegen die das richtige Studium als richtige Form des Lebens verteidigt werden soll: Wie man trotz Bachelor, Master und Bologna intelligent studiert. Nicht das Studium überhaut, sondern die willfährige Chimäre des „effizienten Studiums“ wird für Priddat mit „Lebensverlust“ bezahlt – und führt zu einem „unreifen Umgang mit dem intellektuellen Objekt, der Wissenschaft“. Es ist schön und – ja, so muss man es sagen – beglückend zu lesen, wie hier ein Wissenschaftler von Rang gegen alle „Realismen“ und „Realisten“ eine Lebensform verteidigt, die zunächst einmal darin besteht, dass sie kollektiv behauptet wird: Wenn Sie es tun, dann ist es da, so lautet die erste Botschaft. Studentische Lesegruppen gründen; Professoren einfach ansprechen oder anschreiben, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen; schon im Studium eigene Forschungsprojekte verfolgen, auch wenn sie in vermeintliche Sackgassen führen: Wer sagt, dass es das alles nicht mehr gibt oder geben kann? Wer sagt, dass das alles nostalgisch ist? Vielleicht: „die Wirtschaft“ oder „die Gesellschaft“? Oder doch nur der eilfertig besorgte Rektor der eigenen Universität, dem man den eigenen „Lebensverlust“ schon bei der erstbesten Ansprache im Gesicht ansieht? Ehrenwert ist, dass Priddat nicht die allerneueste Studierendengeneration verantwortlich macht für das allgemeine Elend im Studentenmilieu, sondern seine eigenen Statusbrüder und -schwestern. Der Fisch stinkt vom Kopf her, die deutsche Universität wurde von denen ruiniert, die in den 1990er- und 2000er-Jahren in den Gremien saßen und immer schon die Pistolen auf ihrer Brust gespürt haben, unabhängig davon, ob diese tatsächlich dorthin gesetzt wurden oder nicht. Und die Misere aufzuheben, das traut Priddat eher den aufgeweckten, lernbegierigen jungen Studierenden zu, an die zu glauben er nicht aufgehört hat (und die er in Witten-Herdecke, so viel Inner-Ruhrgebiets-Defätismus muss sein, vielleicht tatsächlich häufiger vor Augen hat als andere andernorts); für solche Studierenden wird sogar die Abschlussarbeit zum „Dessert des Studiums“, was nicht mit der desert of the real zu verwechseln ist, zu der die BA- oder MA-Arbeit im gegenwärtigen Betrieb nur allzu oft wird.

Aber Priddat verfährt nicht blauäugig; er weiß – und das sagt ja schon sein Untertitel – dass man hier und heute eher trotz der oder sogar gegen die institutionellen Regeln studieren muss, wenn man dies intelligent: weltoffen, sachorientiert, selbstorientiert, lebensbejahend etc. tun will. Und so wird die neue universitäre Moralistik bei Priddat auch wieder ihrer eigenen Rückseite gewahr, von der sich schon die alte nie lösen konnte und wollte. La Rochefoucauld war pensionierter (und passionierter) Offizier, und Balthasar Graciáns Handorakel war seit seinem Erscheinen nicht nur Politikern, sondern auch Militärs und Strategen aller Couleur – von Carl von Clausewitz bis Guy Debord – stets zur Hand. Es ist ein sanfter, aber unnachgiebiger Guerillakrieg in der Universität gegen die Universität, ein Partisanenkrieg für die Universität (wie sie sein sollte) gegen die Universität (wie sie ist), zu dem Priddat anstiften will und zu dem er eine Klugheitslehre ganz eigener Art vorlegt. Dass Priddat die Sprache des Gegners virtuos beherrscht, versteht sich fast genauso von selbst, wie seine Verabschiedung des „alten“ Bildungsbegriffs schon auf der ersten Seite seines Buches. Die Pointe seiner Ausführungen aber besteht zuletzt in der Feststellung, dass das, was in der Gegenwart am allermeisten nottäte, das allerälteste wäre – altmodisch: „Bildung“ –, und forciert: Dass dies Älteste gerade jetzt erst voll verwirklicht werden könnte (auch wenn es an den Universitäten gemeinhin gar nicht danach ausschaut). Erst im „Zeitalter der Wissensgesellschaft, des digital age“ könnte erneut all das vor den Prüfstand der Vernunft gezerrt und dann umgesetzt werden, was seit jeher im Quellcode unseres Bildungssystems eingeschrieben steht. Um das aber angehen zu können, müsste Universitätsmoralistik wieder überführt werden in eine unfromme, anti-nostalgische Bildungsgeschichte, die von der Erkenntnis und Durchdringung der Bildungsrevolution 1770–1830 dann auch – wie es 2012 Heinrich Bosse in einem so betitelten Buch dargelegt hat – auf die Aufgaben einer Bildungsrevolution 2020 zu schließen bereit wäre.

Die Narren ertragen können

Stets sind die Weisen ungeduldig: denn wer sein Wissen vermehrt, vermehrt seine Ungeduld. Große Einsicht ist schwer zu befriedigen. Die erste Lebensregel, nach Epiktet, ist das Ertragenkönnen, worauf er die Hälfte der Weisheit zurückführt. Müssen nun alle Arten von Narrheit ertragen werden; so wird es großer Geduld bedürfen. Oft haben wir am meisten von denen zu erdulden, von welchen wir am meisten abhängen: eine dienliche Uebung der Selbstüberwindung. Aus der Geduld geht der unschätzbare Frieden hervor, welcher das Glück der Welt ist. Wer aber zum Dulden kein Gemüth hat, ziehe sich zurück in sich selbst, wenn er anders auch nur sich selbst wird ertragen können.

Gracián, Handorakel, Nr. 159

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

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Milos Vec (Hg.): Campus-Knigge. Von Abschreiben bis Zweitgutachten.
Verlag C.H.Beck, München 2006.
240 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-10: 3406550622

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Martin Krengel: Der Studi-Survival-Guide. Erfolgreich und gelassen durchs Studium.
Uni-Edition, Berlin 2012.
252 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-13: 9783942171816

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Philipp Appenzeller / Rieke Kersting (Hg.): Endlich Studium! Das Handbuch für die beste Zeit deines Lebens.
rap verlag, Stegen-Eschbach 2012.
304 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783942733069

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Friederike Ott / Lena Greiner: Simulieren geht über Studieren. Akademisch für Anfänger.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2014.
192 Seiten, 9,99 EUR.
ISBN-13: 9783499622809

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Birger P. Priddat: Wir werden zu Tode geprüft. Wie man trotz Bachelor, Master & Bologna intelligent studiert.
Murmann Verlag, Hamburg 2014.
232 Seiten, 17,99 EUR.
ISBN-13: 9783867743785

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