Von toten Igeln und flüchtenden Pinguinen

Ulrike Barows neuer Baltrum-Krimi im Karnevalsmilieu ist kaum spannungsgeladen und höchstens unter dem Regionalkrimi-Aspekt empfehlenswert

Von Christina DittmerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christina Dittmer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Baltrum im Winter. Es ist kalt und ungemütlich, kaum ein Restaurant hat geöffnet und dann hat die einzige offene Bar noch nicht einmal Kölsch. Und das an Karneval. Warum die Belegschaft einer Kölner Firma ausgerechnet zur fünften Jahreszeit nach Norddeutschland fährt, um das Arbeitsklima zu fördern, also in den wohl karnevalsimmunsten Teil Deutschlands, bleibt lange im Dunkeln. Klar wird jedoch schnell, dass das besagte Arbeitsklima noch eisiger ist, als die vereiste Nordsee, die die Urlauber schon bald vom Festland abschneidet.

Ein Tiefpunkt der Stimmung zwischen den Kollegen ist die Karnevalsfeier in einer Bar, in der die Stadtmenschen in Tierkostümen auftauchen. Von den anwesenden Insulanern trägt selbstredend niemand ein Kostüm. Kurz darauf findet der Rettungsboot-Vormann einen toten Igel auf der Straße – oder vielmehr eine Frau in einem Igelkostüm. „Ein Igel ist von der weißen Brücke gefallen und ein Pinguin ist auf der Flucht. Der Igel braucht dringend ärztliche Hilfe.“ So der Notruf des Mannes, der recht gut zusammenfasst, wie unrealistisch und mitunter albern sich Baltrumer Eiszeit liest. Wer ist der als Pinguin verkleidete? Vor diesem Rätsel stehen nun die Kommissare und die Inselbloggerin Helga, denn von den Kölnern hatte niemand ein solches Kostüm.

Der Clou des Falles – das Opfer Sabine wechselte spontan das Outfit mit dem des unangenehmen Chefs Gereon Müller. Galt der Mord also gar nicht ihr, sondern ihm? Dass dieser Feinde hat, möchte niemanden überraschen. So wird bald klar, dass ihn außer Sabine, deren Liebesbekundungen er allerdings verschmähte, niemand leiden kann. Auch der Nachbar seines Ferienhauses scheint ihn regelrecht zu hassen. Die unterschwellig unangenehme Stimmung verstärkt sich, als sich herausstellt, dass eigentlich niemand der Kölner freiwillig auf der Insel ist, jeder jedoch ein Motiv hat. Falsche Fährten legt die Autorin zuhauf, die meisten sind aber durchschaubar. Der Täter ist schlussendlich durchaus überraschend, dafür bleibt das Motiv unbefriedigend.

Soweit der etwas skurrile Fall: Eine Insel, die im Eis einfriert, also ein abgeriegelter Raum, von dem der Mörder nicht entkommen kann, potenzielle Opfer jedoch auch nicht. Das ist ein durchaus klassisches Setting für einen Kriminalroman. Trotzdem überzeugt Baltrumer Eiszeit nicht. Die Figuren, zwischen denen die Perspektive hin und her wechselt, wirken entweder überzeichnet und klischeehaft oder haben keine individuellen Charakterzüge.

Protagonistin Antonia, die wohl als Sympathieträgerin dienen soll, dabei aber glänzend versagt,  wirkt hölzern und naiv. Mal erscheint sie wie eine 13-Jährige, dann wieder wie eine 30-Jährige, aber niemals wie 18. Aktionen, wie der Versuch durch das eisüberzogene Wattenmeer zu laufen, um schneller zurück nach Köln zu kommen, oder das Annehmen ihrer Praktikumsstelle auch nach der versuchten Belästigung durch den Chef beim Vorstellungsgespräch, führen dazu, dass man sie als Person kaum ernst nehmen kann. Die restlichen Figuren sind weder liebens-, noch hassenswert und bieten kaum Identifikationspotenzial. Gleichgültiger könnten sie dem Leser kaum sein, auch wenn die Autorin sich Mühe gibt, ihnen mit mehr oder weniger skurrilen Hobbies Leben einzuhauchen.

Regionalkrimis weisen ein einfaches Erfolgsrezept auf: Lokalkolorit wie Atmosphäre, Dialekt, Sehenswürdigkeiten und konkrete Landschaften, gemischt mit einer spannenden Handlung, bieten ein intensives Leseerlebnis. Umso mehr, wenn man die Gegend kennt. Gerade Krimis aus Urlaubsgebieten wie dem Allgäu oder eben der Nordsee sprechen einen überregionalen Leserkreis an. Wangerooge, Juist, Sylt oder Rügen – es gibt wohl kaum eine deutsche Nord- oder Ostseeinsel, die noch nicht Handlungsort eines Kriminalromans geworden ist. Gerade bei Stammgästen der Inseln erfreuen sie sich durch die konkreten Ortsbeschreibungen großer Beliebtheit. Unangefochtene Expertin für Baltrum auf diesem Gebiet ist Ulrike Barow, die mit Baltrumer Eiszeit ihren inzwischen neunten Baltrum-Krimi veröffentlicht. Seit 2008 mit Endstation Baltrum bringt die Autorin jedes Jahr einen neuen heraus.

Schade ist nur, wenn Storyline und Spannungsbogen neben dem Lokalen verblassen. Barows neuester Roman ist kein anspruchsvoller, fesselnder Krimi – für Fans der Insel aber trotzdem lesenswert. Leider geht dem Roman der Anspruch auf kreative Figurenzeichnung und einen etwas komplexeren Plot ab. Im Gegenzug sorgen die kleinen Details, die liebevollen Beschreibungen der Insel und die vielen Tassen Ostfriesentee, die zur Beruhigung der Nerven gereicht werden, dafür, ein realistisches Bild der Insel zu zeichnen, über das sich der Kenner sicher freuen wird. Insbesondere die Tücken einer im Eis eingeschlossenen Insel, Hamsterkäufe im Supermarkt und die verzweifelten Versuche der Kölner mit dem Hubschrauber zu entkommen, zeigen ein interessantes Bild der Nordsee abseits der Hauptsaison.

Titelbild

Ulrike Barow: Baltrumer Eiszeit. InselKrimi.
Leda Verlag, Leer 2016.
302 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-13: 9783864120961

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