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Der Sammelband „Die Rumpelkammer“ bietet die besten Kurzgeschichten von Saki

Von Johannes GroschupfRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johannes Groschupf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In diesem Jahr ist der 100. Todestag eines Meisters der britischen Kurzgeschichte zu begehen, und der Steidl Verlag hat das angemessene Buch zum Jubiläum bereits vorgelegt: Die Rumpelkammer versammelt 22 der besten Erzählungen von Saki. Ein Leben ohne Sakis Geschichten mag möglich sein, doch es ist weder sinnvoll noch wünschenswert.

Saki, als Hector Hugh Munro 1870 im ehemaligen Burma geboren, wo sein Vater als Inspektor der burmesischen Polizei diente, hatte es im Leben nicht leicht. Seine Mutter wurde, als er zwei Jahre alt war, von einer wildgewordenen Kuh getötet. Der Junge wurde nach England verfrachtet und wuchs bei seiner Großmutter und zwei ekelhaften Tanten auf, deren Strenge ihm die Kindheit gründlich vergällte. Nach den üblichen Internatsschulen zog er nach London und begann politische Satiren zu veröffentlichen. Er war einige Jahre als Auslandskorrespondent auf dem Balkan, in Warschau, St. Petersburg und Paris tätig, bevor er 1908 nach London zurückkehrte und literarisch zu schreiben begann. Der von ihm angenommene Künstlername Saki stammt aus dem Rubaiyat des persischen Dichters Omar Khayyam und meint Mundschenk. Als ein solcher kredenzt uns der Erzähler so süffige wie süffisante Kostproben seiner Kunst, die jedoch spürbar der Unbill des edwardianischen Gesellschaftssystems abgetrotzt sind. Sakis kurze Geschichten überstrahlten stets seine Romane und Theaterstücke.

1914 meldete Hector Hugh Munro sich, obgleich mit 44 Jahren bereits zu alt und körperlich kaum geeignet, zur britischen Armee, schlug das Offizierspatent aus und diente als einfacher Soldat. Am frühen Morgen des 16. November 1916 wurde er in einem Granattrichter in der Nähe der französischen Stadt Beaumont-Hamel von einem deutschen Scharfschützen erschossen. Seine letzten Worte galten dem Soldaten neben ihm: „Mach die verdammte Zigarette aus!“

Bis heute werden seine Geschichten im angelsächsischen Sprachraum gelesen und geliebt; sie altern nicht. Saki schreibt gleichsam beiläufig und doch mit schneidender Präzision. Er evoziert mit einem Satz, einem Halbsatz nur, eine lyrische Stimmung, um dann nonchalant zum Spott überzuwechseln. Seine Dialoge sind schlagfertig, sie sprühen vor Witz. Jorge Luis Borges bringt es auf den Punkt: „Saki erzählt seine Geschichten in lockerem Ton, mit einer gewissen Verschämtheit, dabei sind sie eigentlich bitterböse. Diese Zartheit, die unpathetische Leichtigkeit und das Fehlen jeglichen Pathos mögen uns an die geistreichen Komödien Oscar Wildes erinnern.“ Mit Wilde teilt Saki die Neigung zum Bonmot: „Jeder Volksaufstand, mag er auch den respektabelsten Motiven entspringen, hinterlässt zwangsläufig eine Spur von Peinlichkeit.“

Darüber hinaus ist Saki ein wahrhafter Meister des Vergleichs, nur eine kleine Kostprobe: „Die Mahlzeit wurde mit einer unterkühlten Vornehmheit serviert, die einer byzantinischen Tafel zur Ehre gereicht hätte.“

Ein wiederkehrendes Strukturprinzip der Geschichten ist der Streich – je dreister, desto besser. Der Erzähler verliert keine kostbare Zeit; die Beteiligten werden rasch vorgestellt, die Falle vorbereitet, und des Lesers anarchische Schadenfreude darf im weiteren Verlauf genüsslich triumphieren. Vorbildlich durchgespielt ist das in Die Unruhekur. Ein Geistlicher beklagt sich im Zugabteil über sein allzu eintöniges Leben. Prompt erhält er anderntags Besuch vom Privatsekretär des Bischofs, welcher angeblich ein Massaker im Ort plant: „Der Bischof ist auf Blut aus, nicht auf Tee.“ Der Privatsekretär errichtet in Windeseile ein Hauptquartier im Pfarrhaus, um das bevorstehende Blutbad zu koordinieren.

Motor dieser spontanen Machenschaften ist oft der Jüngling Clovis, dessen unbezähmbare Widerspenstigkeit für die Streitlust und Ausbruchssehnsucht einer ganzen Generation junger Bürgers- und Adelskinder um die Jahrhundertwende steht, der Töchter ebenso wie der Söhne. Sakis Abneigung gilt der Starre und Langeweile der herrschenden Klasse, ob deren Vertreter nun strafende alte Tanten, blasierte Adlige oder biedere Geistliche sind. Deren Gier, an Ritualen wie Gartenfesten oder Cricketpartien teilzunehmen, lässt sich schon sprachlich wirkungsvoll verspotten: „Mrs. Stossen und ihre Tochter, angemessen gewandet für ein Gartenfest mit einem Hauch Gotha, segelten über die kleine Weide und den angrenzenden Stachelbeergarten wie Staatsbarkassen, die unangemeldet einen ländlichen Forellenbach hinauffahren.“ Wobei im originalen „rural trout stream“ noch der wenig schmeichelhafte Beiklang „Schnepfe“ oder „alte Schachtel“ mitschwingt.

Die letzte Geschichte dieser Sammlung ist die beste; sie ist in ihrer lakonischen Magie eine der großartigsten Kurzgeschichten überhaupt. Sredni Vashtar erzählt vom zehnjährigen Conradin, der seine Tante aufrichtig hasst und ihr mithilfe eines Frettchens beizukommen sucht. „Jeden Donnerstag, in der dämmrigen und modrigen Stille des Geräteschuppens, huldigte er vor dem hölzernen Käfig mit mystischem und kunstvollem Zeremoniell Sredni Vashtar, dem Großen Frettchen.“ Im Zusammenspiel von kindlicher Tierliebe, subtiler Magie und heftiger Abscheu gegenüber widerwärtigen Erwachsenen ist Sakis Lebensthema entfaltet.

Werner Schmitz und Claus Sprick haben Sakis Erzählungen stilsicher und elegant ins Deutsche übersetzt. Victor Balko hat das Buch liebevoll gestaltet: Titelvignette von Karl Lagerfeld, schöner Leineneinband, Lesebändchen, schweres Papier, angenehme Schrifttype. Mithin eignet es sich auch als Geschenk für Menschen, die ein gutes Buch zu schätzen wissen.

Titelbild

Saki: Die Rumpelkammer. Erzählungen.
Auswahl und Nachwort von Monte Packham.
Übersetzt aus dem Englischen von Werner Schmitz und Claus Sprick.
Steidl Verlag, Göttingen 2015.
198 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783958290518

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