Funktioniert Existenzialismus als Comic?

Zur Graphic Novel „Sartre“ von Mathilde Ramadier und Anaïs Depommier

Von Anne Amend-SöchtingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anne Amend-Söchting

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Hype um Graphic Novels macht auch vor der Philosophie nicht halt. Wobei der Begriff Graphic Novel die Sache nicht so ganz trifft, denn es geht hier um nicht mehr und nicht weniger als eine Comicfassung der Biografien von Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir.

In einer äußerst knapp gehaltenen Einleitung (eine Seite) weist Marc Crépon, Philosoph und Forschungsleiter an der CNRS, darauf hin, dass Sartres Denken sich nicht nur auf seine Texte reduzieren lasse. Mit seinem „Existenzprojekt“ wähle er sich selbst und damit alle Menschen. Gleichzeitig verwirkliche er damit seine Freiheit. Außerdem seien vor allem Der Ekel sowie Das Sein und das Nichts für Sartre nicht zu trennen von seiner Begegnung mit Simone de Beauvoir. Letzteres, so betont Crépon, sei der Leitfaden für Mathilde Ramadier und Anaïs Depommier. Im Mittelpunkt des Comics steht also Sartres Biografie, dabei jedoch nicht allein seine Beziehung zu Simone de Beauvoir, sondern ebenfalls seine vielfältigen Kontakte zu weiteren Philosophen- und Schriftstellerkollegen.

Auf die Kurzdarstellung von Sartres Stammbaum folgen vier große Teile, die zunächst Kindheit, Jugend, Studium und erste Publikationen („Gehorsam hat man mir nicht beigebracht“), danach die Beziehung zu Simone de Beauvoir und die Aktivitäten im Widerstand gegen die Occupation („Die Castor-Konstellation“) umfassen, bevor die Weiterentwicklung der politischen Positionen und schließlich die Ablehnung des Nobel-Preises in den Blick genommen werden („Die Leidenschaften und das Unmögliche“). Leider endet das biografisch orientierte Panorama im Jahre 1964. Teil vier („Epilog“) wirft lediglich einen kurzen Blick auf Sartres Tod (1980).

Die Bildersequenzen und die gattungstypisch kurzen Texte geben sich von Anfang bis Ende eklektizistisch und lassen keinerlei Vertiefungen zu. Ausgeprägte Sprungraffungen halten schlaglichtartig bei einigen Lebensstationen des Existenzialisten inne und verlangen den Rezipienten höchste Konzentration ab. Dass die Beziehung zu Menschen und das politische Engagement von Anfang bis Ende einen sehr viel größeren Stellenwert einnehmen als die Produktion philosophischer und fiktionaler Texte, mag einerseits berechtigt erscheinen, nimmt dem Buch andererseits aber sehr viel von seiner möglichen Aussagekraft. Einige Werke finden zwar Erwähnung, so etwa Sartres Essay über das Imaginäre, der Roman Der Ekel, sein philosophisches Hauptwerk Das Sein und das Nichts und das noch während der Besatzungszeit aufgeführte Stück Die Fliegen. Obwohl die Autorinnen mehr als einmal die Omnipräsenz des Gefühls von Freiheit in Sartres Leben und seiner Version des Existenzialismus verdeutlichen, versäumen sie es, über die Entwicklung des Konzepts Aufschluss zu geben. Auch die einzelnen Lebensstationen erscheinen in Bild und Text mitunter unmotiviert. Kontextualisierungen fehlen – sieht man von einer holzschnittartigen Skizze der historischen Gesamtsituation ab – zur Widerstandsgruppe „Sozialismus und Freiheit“ genauso wie zu den Publikationsorganen „Combat“ und „Les Temps Modernes“, an denen Sartre maßgeblich beteiligt war. Albert Camus tritt an Sartres Seite ganz stimmig als „Mensch in der Revolte“ auf, weshalb genau es allerdings zwischen den beiden zum Bruch kommt (Camus’ Konzept der Absurdität) – davon ist an keiner Stelle die Rede. Kurzum: Würde man den Inhalt zusammenfassen wollen, käme dabei ein Potpourri von Details zutage, das Lesern ohne Sartre-Vorkenntnisse vermutlich nicht allzu viel sagen würde.

Vor Beginn des Hauptteils ist noch Vorfreude angebracht, werden doch drei Arten von Texten angekündigt: die im Druck weiß unterlegte Rede der Autorinnen, der „Erzähltext“ von Sartre mit gelber und von de Beauvoir mit grüner Einfärbung. Anzugeben aus welchen Werken die jeweiligen Zitate stammen, wäre wünschenswert gewesen. Die Frequenz der Äußerungen von Sartre und de Beauvoir nimmt im Verlauf des Comics kontinuierlich ab – das ist bedauerlich, denn damit ist die Chance vertan eine Art „Zitat-Hopping“ und damit eine besondere Lesart zu ermöglichen.

Die von den Autorinnen gestalteten Dialoge sind oftmals sehr oberflächlich und hölzern. Ob es an der Übersetzung ins Deutsche liegt, wäre zwar stichprobenartig zu überprüfen, zu vermuten ist jedoch, dass der Originaltext für den flachen und parataktischen Stil verantwortlich ist. Er passt zu den wenig aussagekräftigen Illustrationen, die fast ausnahmslos in gedeckten Farben (dunkles Orange, Grün, Braun, Schwarz, alle Grauschattierungen) gehalten sind. Abgesehen von einem comic-untypischen Minimum an Dynamik (fast nur Figuren mit Sprechblasen), ist es mehr als schade, dass Sartre mitunter als eine Art intellektueller Tölpel verniedlicht zu sein scheint.

Ein sehr großes Fragezeichen ergibt sich, wenn man sieht, dass die Ereignisse zwischen 1964 und 1980 lediglich im Telegrammstil aufgelistet werden. Immerhin folgt darauf eine hilfreiche, wenn auch in einzelnen Fällen (so etwa bei Camus) mit sehr summarischen Charakterisierungen versehene Galerie: „All jener, die mit Jean Paul Sartre und Simone de Beauvoir verkehrten…“. Ganz zum Schluss wundert man sich, weshalb die Auswahlbibliografie nur französische Textausgaben, dabei unter anderem von Martin Heidegger und Karl Marx, enthält. Im Comic selbst sind jedoch die deutschen Titel genannt. Und nicht zu vergessen: auch die Jahreszahl der jeweiligen Erstausgaben zu notieren, wäre nicht zu wissenschaftlich gewesen.

Nach erfolgter Anstrengung einen besonderen Comic zu rezipieren, dominiert in diesem Fall leider die Skepsis. Für Sartre-Kenner ist das Buch ein Kuriosum, das sie schnell zur Seite legen werden, da es den großen Existenzialisten doch allzu reduktionistisch behandelt. Sartre-Neulinge tun gut daran, sich von dem Comic fernzuhalten.

Titelbild

Mathilde Ramadier / Anais Depommier: Sartre.
Übersetzt aus dem Französischen von Anna Kootz.
Egmont Graphic Novel, Köln 2016.
160 Seiten, 24,99 EUR.
ISBN-13: 9783770455300

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