Grandios am Leben gescheitert

Eine lebensgeschichtlich orientierte Biografie und ein Sendschreiben aus dem Totenhaus widmen sich dem Phänomen Fallada

Von Heribert HovenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heribert Hoven

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was begründet eigentlich das wachsende Interesse am Leben von Rudolf Ditzen (1893–1947), der sich als Schriftsteller Hans Fallada nannte und über den nun nach zahlreichen biografischen Studien eine weitere umfangreiche Biografie erschienen ist? Dabei garantiert seine Etikettierung als Erfolgsautor keineswegs auch literarische Qualität. „Ich bin in die seichte Unterhaltung abgesackt“, vertraut er selbstkritisch seinem Tagebuch an. Tatsächlich wurden seine Werke oft zunächst als Fortsetzungsromane in Tageszeitungen veröffentlicht. Sein größter Erfolg zu Lebzeiten, Kleiner Mann – was nun? aus dem Jahr 1932, schrammt hart am Kitsch vorbei, ist über weite Strecken Betroffenheitsprosa, die zu Tränen rühren soll. Erst in letzter Zeit wertet die Wissenschaft, die Fallada viele Jahre ignorierte, Teile seines Werkes als Ausdruck „der Ästhetik der literarischen Moderne“ (Reinhard Zachau).

Während die 2002 erschienene Fallada-Biografie von Jenny Williams (zuerst auf Englisch 1998) etwas buchhalterisch vor allem das Werk beschreibt und analysiert, geht es in der nun im selben Verlag herausgekommenen Biografie des Berliner Publizisten Peter Walther eher darum, so der Autor, „ein lebendiges Bild des Schriftstellers in seinen alltäglichen Bezügen zu vermitteln“. Der Alltag Rudolf Ditzens allerdings hatte es, selbst in allgemein bewegten Zeiten, in sich. Und es scheint, als ob gerade die heftigen Ausschläge in Ditzens Leben, die steilen Aufstiege und mehr noch die grandiosen Abstürze das Interesse des heutigen Lesers an dem bestens dokumentierten Lebensweg begründen.

Dabei kam Ditzen zunächst aus einer hoch angesehenen Familie: Der Vater, ein Reichsgerichtsrat und Richter am höchsten preußischen Gericht, war befreundet mit dem Reichskanzler von Bethmann-Hollweg. Dennoch: Von Jugend an verbringt Rudolf Ditzen viele Jahre in Heilanstalten und Gefängnissen. Aus den zahlreichen Fotografien lässt sich kaum erschließen, dass uns hier ein gewalttätiger Alkoholiker, ein hoffnungsloser Junkie, Tierquäler, sogar ein Mörder entgegenblickt. Ebenso wenig verraten die Familienbilder, die einen zärtlichen Vater zeigen, den notorischen Fremdgänger und Frauenhelden, der schließlich auf seine erste Frau, die er in Kleiner Mann – was nun? liebevoll als „Lämmchen“ porträtiert hatte, eine Pistole abfeuerte. Sein Biograf verfolgt Ditzens Leben bis in letzte Winkel seines Charakters, Betrügereien und menschliche Niedertracht durchaus eingeschlossen. Nicht selten macht ihn das Verhalten und Denken seines Protagonisten, wie es sich etwa aus seinen zahllosen Briefen erschließt (circa 8.000 umfasst das Fallada-Archiv in Carwitz), ratlos. „Was geht in Fallada vor… Wieso glaubt er…?“, heißt es dann. Und oft entlarvt Walther die Aussagen des Porträtierten als „halbe Wahrheit“.

Bei seiner Untersuchung kann Walther auf eine große Anzahl erst jüngst entdeckter und publizierter Fallada-Quellen zurückgreifen, darunter zahlreiche wichtige Briefwechsel und Krankenakten sowie das bis 2009 nur in stark redigierten Auszügen bekannte Gefängnistagebuch, auf das später noch eingegangen wird. So kann manche Lücke geschlossen werden, etwa die Zeit Falladas beim Reichsarbeitsdienst oder die letzten Lebensmonate im SED-Ghetto Pankow. Deutlicher als bisher treten jetzt die Widersprüche hervor in der Persönlichkeit eines Menschen, der wie kaum ein anderer die eigenen Schwächen und Niederlagen, seine Süchte und Grausamkeiten zum Thema seiner Arbeiten und Briefe machte und der dennoch so viel Sinn für die Schattenseite des Daseins und das Elend anderer entwickelte, dass man seine Werke als authentische Spiegelungen ihrer Zeit verstand. Prompt bescheinigt Walther Fallada, nichts erfunden, sondern alles gefunden zu haben. Das Schreiben wurde ihm darüber zur Therapie und geriet ihm inhaltlich nicht selten zur Idylle. Es scheint, als ob der Vielschreiber, der allein in den Jahren von 1933 bis 1944 20 Romane verfasste, zeitlebens gegen die vernichtende Diagnose angeschrieben hat, die 1912 ein gewisser Dr. Arthur Tecklenburg, Schüler des berühmten Psychiaters Otto Binswanger, stellte: „Degenerierte psychopathische Minderwertigkeit“. Was Falladas Leserschaft bis heute fasziniert, ist das, was Walther als „Glutkern“ des Romans Wer einmal aus dem Blechnapf frißt offen legt: Chronist einer Zeit- und Lebenskrise zu sein mit dem „Leitmotiv vom Kämpfen und Resignieren, um die lähmende Furcht und Ahnung, letztlich doch zu unterliegen, um die Sehnsucht nach dem Vergessen, nach dem Rausch oder nach der Zelle, wo alles einfacher ist.“

Auf der anderen Seite steht der Drang nach Anerkennung und Erfolg, den er schließlich auch erreichte, und ein gewisser Größenwahn, den er mit seinem Verleger-Freund Ernst Rowohlt teilte. Daraus entwickeln sich eklatante Kontrollverluste und absurde Fehleinschätzungen: „Wir werden eines Tages die Herren Europas sein, vielleicht auch der ganzen Welt“, schreibt er noch 1943 an seinen Sohn Uli. Auch Falladas Zusammenwirken mit dem Propagandaministerium, dem er einen antisemitischen Roman versprach, um seinerseits vor Verfolgungen geschützt zu bleiben, wertet Walther als eine für Fallada typische Double Bind-Situation. Tatsächlich gehörte Fallada während der Zeit des Nationalsozialismus, obwohl er nicht Mitglied der Reichsschrifttumskammer war, auch als lediglich geduldeter Autor „zu den Spitzenverdienern in Deutschland“. Dies mag ihn unter anderem dazu bewogen haben, Deutschland nicht den Rücken zu kehren. Er selbst stilisierte sich gerne, darin einem häufigen Narrativ der sogenannten Inneren Emigration folgend, als Opfer des NS-Regimes; nachzulesen in seinem erst jetzt vollständig entzifferten und edierten Gefängnistagebuch aus dem Jahr 1944 mit dem Titel In meinem fremden Land. Das allerdings ist eine echte Sensation. Die komplexen Umstände seiner Entstehung sind erschöpfend und aufschlussreich beschrieben in dem umfangreichen Nachwort der Herausgeberinnen Jenny Williams und Sabine Lange und sollen hier nicht referiert werden. Obwohl ein Rechtfertigungsdrang für das Verharren im Unrechtsstaat vielfach und durchaus unangenehm zu spüren ist, verdeutlichen die zahlreichen Anekdoten aus dem Alltagsleben der NS-Zeit, darin durchaus Victor Klemperers Tagebüchern oder den Erinnerungen Sebastian Haffners zu vergleichen, die moralische Verkommenheit der angeblichen Volksgemeinschaft. Außerdem lässt Falladas unter Todesgefahr entstandene Abrechnung mit Hitler-Deutschland die Mechanismen des Terrorstaates erkennen und offenbart, wie früh bereits entgegen den landläufigen Beteuerungen die Einsicht in den blutrünstigen Charakter des Nationalsozialismus vorhanden war. Daneben mag jedoch verwundern, welchen großen Wert Fallada, trotz der ständigen Gefahr, dass seine Niederschrift in die falschen Hände gerät, und trotz des Zeit- und Papiermangels, auf die aufwendige literarische Gestaltung des Tagebuches legt. So begegnen wir nicht nur brillanten literarischen Porträts von Ernst Rowohlt, e.o. plauen oder Peter Suhrkamp, dem er Anbiederung an den Faschismus vorwirft, sondern gewissermaßen auch dem ganzen Fallada – mit seinem feinen Humor, seiner Selbstironie, seiner Fähigkeit zur Charakterzeichnung.

Am Ende seiner Darstellung des „bewegten und verwickelten Lebens“ von Hans Fallada bekennt Walther, dass sich „die verschiedenen Bilder nicht zur Deckung bringen lassen“. In Falladas Leben kann man versinken, ebenso wie in sein Werk. Jetzt aber wissen wir genauer, auf was wir uns dabei einlassen.

Titelbild

Peter Walther: Hans Fallada. Die Biographie.
Aufbau Verlag, Berlin 2017.
527 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783351036690

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Titelbild

Hans Fallada: In meinem fremden Land. Gefängnistagebuch 1944.
Herausgegeben von Jenny Williams und Sabine Lange.
Aufbau Verlag, Berlin 2017.
333 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783351036782

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