Der Kegelbruder als Lustmörder

Elisabeth Lenks und Katharina Kaevers "Vampir von Düsseldorf"

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Kürten - seinerzeit in Düsseldorf - von 7 bis 9 abends Lustmörder, im übrigen Kegelbruder und Familienvater", spottete einst Gottfried Benn über den deutschen Jack the Ripper, den man den "Vampir von Düsseldorf" hieß. Kein paranoider Amokläufer wie der Hauptlehrer Wagner, sondern ein größenwahnsinniger, sadistischer Triebtäter. Dessen Mordserie hielt die Weimarer Republik in Atem: Neun Menschen - ein Mann, vier Frauen und vier Kinder - mußten sterben, ehe Kürten im Mai 1930 durch Zufall gefaßt wurde; 32 weitere überlebten Kürtens Attacken nur durch Glück.

Anhand der Aktenbestände des Düsseldorfer Hauptstaatsarchivs haben Elisabeth Lenk und Katharina Kaever die Geschichte dokumentiert, angefangen von der Medienkampagne, über Fahndung, Ergreifung und Geständnis bis zum Prozeß und zur Hinrichtung. Bis dahin nahm der Fall ungeheuerliche Dimensionen an: 12 000 Hinweise liefen bei der Polizei ein; 200 Personen, die alle der Düsseldorfer Mörder sein wollten, stellten sich freiwillig. 300 Hellseher und Okkultisten boten den Behörden ihre Hilfe an. Die zwei Briefe Kürtens an Zeitungen, in denen er die Verstecke von Leichen verriet, riefen eine ganze Flut ähnlicher Mörderbriefe hervor.

Doch nicht um den Nervenkitzel geht es den Herausgeberinnen; auch ihr historisches Interesse ist nur sekundär. Was Kürten von anderen Triebtätern unterscheidet, sind seine gewissenhaften Selbstdarstellungen, die das Gros der umfassenden Dokumentation bilden. Wer wissen möchte, was einen Lustmörder zu und bei seinen Untaten bewegt und sich nicht mit boulevardjournalistischem Hetzgeschwätz zufrieden geben will: hier findet er Antworten. Zwei Psychiater befragten Kürten in Dutzenden von Gesprächen. Der Verbrecher, sonst ein stummer Universalbehälter für die Obsessionen der Öffentlichkeit, spricht. Erstmals hört ihm jemand wirklich zu. Die Aussagen des belesenen Mörders bestürzen durch ihre Eloquenz. Und nötigen, durch das glaubhafte Ringen Kürtens um die Wahrheit, zu Respekt. "Das Erstaunliche ist", so die Herausgeberinnen, "daß der, der spricht, sich, indem er spricht, selbst verändert und also mit dem Täter nicht mehr identisch ist."

Kürten erzählt von seiner Kindheit bei einem gewalttätigen, trinksüchtigen Vater. Von seinem von Beginn an verkorksten Leben, das ihn wegen Einbruchs- und Gewaltdelikten immer wieder ins Gefängnis führt. Wo barbarische Zustände ihn in megalomane Vergeltungsphantasien treiben: Rache nehmen will er an den Gefängniswärtern. Als Werkzeug der ausgleichenden Gerechtigkeit sucht er mit seinen Taten bei seinen Peinigern ein schlechtes Gewissen und eine Reform des Strafvollzugs zu bewirken.

Schreckliche Kindheit, inhumaner Strafvollzug, "göttliche" Mission - all dies mag stimmen und scheint doch nur rationalisierender Überbau, der die Untaten legitimieren und vor sich und anderen das wirkliche Motiv verbergen soll. Denn das Ausüben von Gewalt, ob fiktiv oder real, bereitet Kürten Lust. Schon als Pubertierender beißt und schlägt er seine ersten Freundinnen beim Geschlechtsakt. Einem Schwan beißt er den Kopf ab und trinkt das Blut. Im Gefängnis kann sich der Eidetiker durch Gewaltphantasien Triebabfuhr verschaffen, später kommt es beim Zustechen und -schlagen zu Ejakulationen. Alles, was ihn omnipotent zeigt, beschert dem Geltungs- und Großmannssüchtigen, ohne daß er Hand an sich legen muß, sexuelle Befriedigung. Sogar der groteske Tagtraum, er selbst würde den Vampir von Düsseldorf in gefahrvollem Kampf überwältigen und so zum umjubelten Retter der Stadt werden. Die Erleichterung, die ihm nach bedrückenden Spannungszuständen durch die Gewalttaten zuteil wird, ist ungetrübt; singend und jodelnd tanzt er hinterher durch den Wald: "Ich habe kein Gewissen. Niemals habe ich Beschwerden geistiger oder seelischer Art empfunden."

"Ernüchterung" nennt Kürten den Prozeß der Selbstdarstellung und (auch ästhetischen) Distanzierung von seinen Taten. Fremd erscheinen sie ihm jetzt. Bereitete ihm früher sogar die masochistische Phantasie, eines Tages als gefürchtete Bestie geköpft zu werden, sexuelle Befriedigung, lernt der Mensch werdende Kürten jetzt, vor der Hinrichtung, erstmals Schuldgefühle kennen. Und findet, erstaunlich genug, zu Gott.

Titelbild

Elisabeth Lenk / Katharina Kaever (Hg.): Peter Kürten, genannt der Vampir von Düsseldorf.
Eichborn Verlag, Frankfurt 1998.
346 Seiten, 25,30 EUR.
ISBN-10: 3821841567

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