Lachen über den Schock

"KulturSchock China" von Hanne Chen - eine humorvolle Absage an China-Klischees

Von Benjamin SpechtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Benjamin Specht

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kulturschock - so nennt man ein Phänomen, das Reisende bei längeren Aufenthalten in fremden Kulturen ergreift. Man stellt nach und nach fest, dass das Verstehen von Menschen und kulturellen Gegebenheiten einfach nicht gelingen will. Soziologischen Studien zufolge tritt der Kulturschock nach durchschnittlich zwei Monaten ein und bewirkt einen rapiden Stimmungsabfall nach der anfänglichen Begeisterung für all das Neue im fremden Land. Nach einem weiteren Monat beginnt die Kurve sich allmählich wieder zu heben und pendelt sich etwas über der normalen Stimmung im eigenen Lande ein. Man hat den Kulturschock überwunden. Soweit die Statistik.

Diesem Phänomen wendet sich auf einer konkreteren Ebene die Reihe "KulturSchock" des "Reise Know-How-Verlages" zu, mit der Absicht "den Kulturschock abzumildern oder ihm gänzlich vorzubeugen". Es geht darum, dem Reisenden praxisnahe Verhaltensregeln zu geben - ein Angebot, das viele gerne annehmen, so dass die "KulturSchock"-Bände in vielen deutschen Reiserucksäcken ihren festen Platz haben. Der Band "KulturSchock China (VR & Taiwan)" von Hanne Chen wird wegen dieses Erfolges zum dritten Mal neu aufgelegt. Die meisten Europäer empfinden keine Kultur als so fremd und unverständlich wie die chinesische und belegen sie mit einer derart unklaren Gefühlsmischung aus Respekt für die hohen Errungenschaften und Angst vor der scheinbar fehlenden Individualität der Menschen dieses Riesenreiches. Deshalb lässt sich an keinem Kulturkreis besser die Zielsetzung der KulturSchock-Reihe überprüfen.

Zwei Erlebnisse, die so oder etwas modifiziert schon viele Chinareisende hatten:

1. In einer gemütlichen Abendrunde bei gutem Essen sagt ein chinesischer Bekannter, der noch nie im Ausland war, auf einmal völlig ohne Anlass: "Deutschland hat zwar viele Fabriken, aber China dafür viel Kultur". Bin ich beleidigt oder argumentiere ich?

2. An der Haltestelle fährt ein Bus vor und alle stürzen sich auf den Eingang. Einige ältere Damen und eine schwangere Frau kommen schon zum wiederholten Mal nicht in den Bus. Soll ich für sie drängeln oder höflich bleiben?

Kann die KulturSchock-Reihe in diesen Situationen konkrete Hilfe geben?

Hanne Chen, Sinologin aus Kiel, nähert sich dem Thema in drei Schritten: Zunächst erklärt sie pointiert den kulturhistorischen Rahmen, von der chinesischen Philosophie bis zur Sprache. Anschließend schildert sie in wohlgesonnener Distanz den chinesischen Alltag in Familie, Arbeitseinheit und Freizeit. Im dritten Schritt greift sie das Thema Fremde im chinesischen Kulturkreis zwischen Kulturchauvinismus und Gastfreundschaft auf. Ihr Verfahren ist äußerst anschaulich und profitiert von ihrer hohen Sachkenntnis. Am Anfang jedes Kapitels stehen anregende Zitate von chinesischen Schriftstellern oder ausländischen Beobachtern quer durch die Zeiten. Auch die Kapitel selbst sind mit Zitaten und Photomaterial bestückt, in denen der Leser vieles wiedererkennen kann, was ihm auf der Reise begegnet ist. In gut lesbarem Stil deckt sie ein großes Gebiet ab und verbindet Lesegenuss mit Information - einer Mischung, die in anderen Reiseführern nur selten gelingt.

Dabei konzentriert sich Chen mit ihren Beispielen aus Alltagsleben und Literatur vor allem auf südchinesische und taiwanesische Quellen, da sie während ihrer viereinhalbjährigen Aufenthalte mit diesen beiden Gebieten besonders vertraut geworden ist. Das reiche Taiwan, das von der Kulturrevolution verschont blieb und somit mehr Traditionen bewahren konnte, erscheint dabei als kleine Alternative zur Volksrepublik.

Besonders in dem Teil, der sich mit dem chinesischen Alltag befasst, wird ein Stilmittel deutlich, das Information und Lesegenuß besonders reizvoll verknüpft: der herzliche und doch kritische, aber niemals zynische Humor der Darstellung von Kleinigkeiten, die den Kulturschock ausmachen. Zum Beispiel im Kapitel "Höflichkeit" in der Geschichte von Frau Li, die mit dem Sprachaustausch mit der Autorin nicht zufrieden war, es aber nicht übers Herz brachte, sie anzusprechen. "Am Mittwoch morgen rief sie an und sagte, sie käme am Nachmittag bestimmt. Ich atmete auf. Meine Geduld hatte sich also gelohnt. 'Außer' fuhr Fräulein Li fort, 'es regnet'. Es war Regenzeit". Trotzdem sind alle Beispiele verbunden mit einer guten Portion Selbstironie. Zum Beispiel bedauert die Autorin aufrichtig, durch ihre andauernde Begriffsstutzigkeit Fräulein Li, das keineswegs unehrlich, sondern nur höflich war, wochenlang gequält zu haben.

Aber was ist mit den eingangs geschilderten zwei Situationen? Gibt das Buch neben viel Hintergrundwissen und amüsanten Geschichten auch eine Anleitung zum Umgang mit Fragen dieser Art? Hanne Chen lässt sich auf keine Chauvinismen ein, weder von europäischer noch von chinesischer Seite. Die mitleidige Arroganz der Chinesen anderen Kulturen gegenüber wird nicht beschönigt, aber dennoch mit dem Hinweis auf die enormen Privilegien, die Ausländer in den 80ern in China genossen, und auf die Spätfolgen der Kolonialzeit verständlich gemacht.

Bezüglich der zweiten Situation kann auch Chen kein Verständnis aufbringen: "Nirgendwo im friedlichen Asien erlebt man eine Öffentlichkeit von so asozialem Verhalten wie ausgerechnet hier im Stammland einer einzigartigen Hochkultur." Die Autorin weist aber darauf hin, dass sich die Unhöflichkeit in Chinas Straßen erst seit einigen Jahrzehnten dramatisch häuft und von nicht wenigen Chinesen mit großer Beunruhigung beobachtet wird. Häufige Vorfälle, wie die Blockade von Rettungswagen oder Gelächter über den Unfall eines Unbekannten, sind insofern nicht 'typisch chinesisch'.

Hanne Chen gibt viele erklärende Hinweise, aber keine Handlungsanweisungen, wie es die der Reihe "KulturSchock" programmatisch fordert. Insgeheim hat die Autorin deren Zielsetzung - der Vorbeugung des Kulturschocks durch Information - beiseite gelassen und ihr eigenes, bescheideneres Programm aufgestellt. Nur indem sie an das Einfühlungsvermögen der Reisenden in die konkrete Situation appelliert, kann das Unterfangen gelingen. Vor der Reise wird der Leser das Buch allenfalls amüsant finden, aber bestimmt nicht gegen den Kulturschock immunisiert. Hanne Chen hat das erkannt und ein Buch geschrieben, das während und nach der Reise versöhnt und die oft ärgerlichen Erfahrungen von einer humorvollen Seite beleuchtet. Dieser Humor wird dem Leser vor der Reise entgehen. Das Buch "kann dem Kulturschock nicht vorbeugen, denn davon wird niemand in China verschont, aber es kann Verständnishilfen anbieten, die ihn abmildern." Im Fazit des Buches wird die tiefe Sympathie, die Chen für China hegt, deutlich: "Manche sind am Ende überrascht, wie schwer ihnen der Abschied fällt und wie lange ihnen einzelne persönliche Begegnungen noch nachgehen."

Titelbild

Hanne Chen: Kulturschock China- Kultur und Tradition in der Volksrepublik China und Taiwan.
Peter Rump Verlag, Bielefeld 1999.
264 Seiten, 12,70 EUR.
ISBN-10: 3894164506

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