Burgherr Ceauçescu

Franz Hodjaks Roman "Der Sängerstreit"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Schriftsteller Franz Hodjak verließ 1992 Rumänien, jenes Land, in dem er als Siebenbürger Sachse zur verfolgten Minorität gehörte, in Richtung Westen. Doch richtig heimisch geworden ist der 56-jährige Autor, der in einem kleinen Taunusstädtchen nördlich von Frankfurt lebt, in seiner neuen Umgebung auch nicht.

Von den Traumata der Flucht und Heimatlosigkeit, aber auch von fürchterlicher Barbarei handelt Hodjaks neuer Roman "Der Sängerstreit", der als eine Mischung aus Märchen, Allegorie und historischer Anekdote auftritt. Klingsor aus Siebenbürgen verlässt seine ihm verhasste Heimat, um zu einem Sängerwettstreit nach Thüringen aufzubrechen. Wir befinden uns im 13. Jahrhundert, und Klingsors Ziel ist selbstverständlich die Wartburg. Da uns der "Fremde" als geborener Verlierer präsentiert wird ("Glücksgefühle sind Schwächeanfälle des Bewusstseins"), kann es auch nicht verwundern, dass er viel zu spät zum Sängerwettstreit kommt.

Stattdessen darf er dem despotischen Burgherrn, Landgraf Hermann, über sein bisheriges Leben in der Ferne erzählen. Was bei Autor Hodjak mit geradezu pathetischer Bildhaftigkeit bis ins kleinste Landschaftsdetail hinein ausgemalt wird, kann den Burgherrn nicht erfreuen, denn er schläft bei Klingsors Vortrag ein.

Dieser Gefahr sieht sich der Leser nicht ausgesetzt; es könnte sich allerdings - je nach Mentalität - ein gewisses Unbehagen über die geschilderten Umgangsformen und die Omnipräsenz der Toten einstellen. Eine Prise Luther und eine gehörige Portion Ceau?escu hat Hodjak zu einer fast märchenhaften Textur vereinigt.

Es wird gerülpst, geschnarcht, gekotzt und gefurzt und vor allem: gemordet. Drei Burgwächter werden erhängt, zwei erschossen, sieben ertränkt, 18 zu Tode gepeitscht, vier vom Felsen gestoßen und 71 verbrannt. Patriarch Hermann von Thüringen liefert sogar eine Begründung für seine Untaten: "Immer mit der gleichen Unordnung zu leben stumpft den Geist ab." Zufälle sind es, die bei seinen Untergebenen über Leben und Tod entscheiden. Und immer ist der Landgraf bestrebt, seine Brutalität (wenn auch moralisch höchst fragwürdig) zu begründen und ihr eine Art Theorie der Barbarei beizugeben. Die allzu theatralisch inszenierte Mittelalterbühne dient Hodjak als Spiegelbild für die eigenen Erfahrungen im totalitären Rumänien; der Landgraf und Ceau?escu könnten - losgelöst von Raum und Zeit - eineiige Zwillinge sein.

Was sie so gefährlich macht, ist nicht nur ihre unmenschliche Brutalität, sondern - so will es der Roman suggerieren - ihre ausgeprägte Intelligenz und ihr rhetorisches Geschick. So misst der Burgherr seine Gefolgsleute daran, wieviel Unsinn sie zu tolerieren bereit sind. Die Todeskandidaten hocken dann in den Verließen und erzählen sich gegenseitig die hanebüchensten Geschichten - verbunden mit der vagen Hoffnung auf eine Begnadigung.

Sind es letzte Kraftakte der Fantasie, um dem drohenden Tod eine lachende Grimasse entgegenzuhalten? Das wirkt so wenig überzeugend wie Hodjaks Versuch, unter dem märchenhaft-historischen Mäntelchen eine Allegorie auf das Vorwende-Rumänien zu inszenieren. Der Allgegenwart der Gewalt wird auf diese Weise der Schrecken genommen, die blutige Tyrannei auf den Status der historischen Anekdote reduziert.

Am Ende ist man als Leser hin- und hergerissen: vom Inhalt aufgewühlt, aber von der künstlerischen Umsetzung nicht restlos überzeugt. Bei Franz Hodjaks anspielungsreichem Rollenspiel weiß man auch nie so recht, wer gerade spricht. Ist es Wanderer Klingsor oder der Autor selbst, der befindet: "Der Ekel ist die einzige Heimat, die ich kenne."?

Titelbild

Franz Hodjak: Der Sängerstreit.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2000.
192 Seiten, 18,40 EUR.
ISBN-10: 3518411241

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