Pop-Literatur, Kitsch-Literatur

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Von Patricia NickelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Patricia Nickel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine Road-Novel im wahrsten Sinne des Wortes. 205.293 Zeichen wurden von den beiden Autoren Matthias Edlinger und Jörg Steinleitner verfasst. Edlinger führt Regie bei Kurzfilmen, Musikvideos und Fernsehspots, Steinleitner verdiente sich als Moderator und Seemann sein Geld, bis er 1999 den ersten Verlag gründete, der nur auf Pop-Literatur ausgerichtet ist.

Es geht um Vinzent, der in einem Z3 Richtung Süden unterwegs ist, neben sich die aufregende Scotty auf dem Beifahrersitz. Vinzent studiert in München Medizin, ist im 3. Semester und stammt aus einem Dorf im Ostallgäu.

In seinem Pflegedienst-Praktikum hat Vinzent Frau Mühler betreut. Nach ihrem Tod hinterlässt sie fast eine Million Mark in einer Plastiktüte, die Vinzent zufällig beim Aufräumen ihrer Sachen findet. Er reißt sich das Geld unter den Nagel, ohne die "rechtmäßigen" Erben zu informieren. Über die daraus entstehenden Konsequenzen denkt Vinzent in seiner Naivität nicht nach, und so beginnt eine mehr oder weniger spannende Verfolgungsgeschichte.

Die weibliche Hauptrolle darf in der Geschichte nicht fehlen, und so lassen die Autoren Scotty und Vinzent zusammenkommen. Scotty ist eine gut aussehende, sexy Mittzwanzigerin, die auf dem Weg in den Süden ist, um einen Sprachkurs in Italien zu absolvieren.

Beide wollen sich nicht eingestehen, dass sie ineinander verliebt sind, und so beginnt das altbekannte Versteckspiel, das sie schließlich doch noch zueinander führen wird. Da die Familie der alten Frau scharf ist auf das Millionenerbe, setzt sie drei Killer auf Vinzent an. Auf der Flucht lernt er einen "schmierigen Mafiosi-Koch" kennen, der ihn und Scotty auf eine "Ital-Show" einlädt. Dort amüsiert sich Vinzent mit der vollbusigen Schwedin Anna, die ihn zu einer Nase Kokain verführt. Völlig verkatert macht er sich mit Anna auf den Weg zur Côte. Dabei sind ihm wieder einmal seine Verfolger auf den Fersen.

An dieser Stelle gelingt es den Autoren, eine gewisse Spannung zu erzeugen. Vinzent flieht vor seinen Verfolgern über Dächer und landet dabei auf einer Hotelveranda. Dort fällt ihm nichts anderes ein, als einen Witz zu erzählen. Mit dieser Episode sprengen Edlinger und Steinleitner die Spannung, da etwas Unrealistischeres kaum hätte passieren können. Letztendlich kommt es zu einer Schießerei. Vinzents Verfolger bekommen ihn zu fassen und verprügeln ihn ordentlich. Doch an das Geld kommen sie nicht ran, da Vinzent den Schlüssel des Schließfaches hinunterschluckt. Seine Verfolger werden als Schwerverbrecher enttarnt, die aufgrund "einiger schwerer Delikte über den halben Globus verfolgt" worden sind.

Vinzent wird als Held in Südfrankreich gefeiert, und so entdeckt Scotty ihn in den Zeitungen wieder. Überglücklich schließen sie sich in die Arme und machen sich steinreich auf den Weg in den Süden.

In dem Roman fehlt einfach nichts, Schießerei, Sex, Drogen und Alkoholexzesse inklusive.

Die Geschichte wird aus der Ich-Perspektive beschrieben. Dialoge sind eingebaut, und gegen Ende findet ein Perspektivenwechsel statt. Hier berichtet dann Scotty.

Interessant ist das Design des Buches mit der Nachrichtenzeile am unteren Seitenrand. Der Inhalt dieser Zeile ist realistisch, völlig unsinnig oder einfach nur lustig. Häufig lenkt sie eher vom Buch ab, was der Sache nicht dienlich ist.

Der Leser der Geschichte wird direkt in das Geschehen und in Vinzents Flucht involviert. Durch Rückblenden und Erzählungen - in denen man den filmischen Aspekt dieses Buches wieder erkennt - erfährt der Leser, warum Vinzent sich auf der Flucht befindet, wer Scotty ist und was ein "Twen" so alles denkt.

Es ist offensichtlich, dass die Autoren aus der Filmbranche stammen. Das Buch ist in knappen Sätzen, einer bildhaften und einfachen Umgangssprache geschrieben. Die übertrieben lockere Sprache der Figuren wie auch die Auswüchse ins Fäkale rangieren an der Grenze zur Geschmacklosigkeit. Zu viele Klischees werden aufgefahren: Vinzents Eltern leben in einem Reihenhaus und sind daher spießig, italienische Partys werden grundsätzlich nur von Mafiosi gefeiert, und dicke deutsche Metzgersfrauen tragen rote Lack-Minis von Beate Uhse. Die rasante Schreibweise baut zwar abschnittsweise Spannung auf, jedoch ist die Lösung des Konflikts zumeist voraussehbar. Das Happy End schließlich ist auch der Schlusspunkt dieser Vorhersehbarkeit.

Titelbild

Matthias Edlinger / Jörg Steinleitner: 205.293 Zeichen Die Garnitur.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 1999.
163 Seiten, 8,60 EUR.
ISBN-10: 3462028529

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