Der ewige Deutsche

Eine zeitgeistgemäße Runderneuerung von Exil und Innerer Emigration

Von Christian KlotzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christian Klotz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die von Frau Schmollinger vorgelegte Heidelberger Dissertation geht von der Entdeckung aus, dass ein wesentliches Motiv der Forschungen zu den Bereichen der Exilliteratur und der Literatur der Inneren Emigration eine Idealkonkurrenz um das Lob des "besseren Deutschen" war. Dieses Vergleichsverfahren der überkommenen Nationalismen erscheint der Verfasserin dem Gegenstand unangemessen und ersetzungsbedürftig durch ein - so von ihr vermutet - entpolitisierendes Kriterium, das sich als epochales Kennzeichen für beide Forschungsgegenstände besser bewähre: orientierende Weltordnungsvorstellungen angesichts krisenhaft erfahrener Existenz.

Die Erwartung des Lesers, dass es dabei sehr Prinzipielles und Elementares zu verhandeln geben werde, sieht sich nicht enttäuscht, wenn der dann durchgeführte Vergleich des Corpusmaterials, das schon im Hinblick auf das gewünschte Ergebnis erstellt wurde, zeigt, "daß man, zumindest vom literaturwissenschaftlichen Standpunkt aus, nicht von einer Literatur des Exils und einer Literatur der Inneren Emigration sprechen kann".

So wünschenswert und willkommen Beiträge zu Epochalisierungsfragen vom Fachstandpunkt aus sind, und so sehr die durchaus lesenswerte Distanzierung von fragwürdigen Selbstverständnissen einen ersten durchaus akzeptablen und lobenswerten Schritt zur verständigeren Sichtung des Materials darstellt, den Schwerpunkt einer triftigen Auseinandersetzung bildet dieser theoretische Ausgangspunkt eben nicht, weil er lieber die kulturkritischen Gestimmtheiten seit dem Ende der Weimarer Republik zur unbefragten Einheits-Garantie macht.

Demgemäß wird in verbosen Collagen aus dem Fundus des "Jargons der Eigentlichkeit" von Jaspers und Jung bis Heidegger in Duktus und Diktion Führung und Geleit der robustesten lebenspraktischen Art angedient. So dringt etwa die Analyse des historischen Romans zu so "aussagekräftigen Einsichten über dieses Genre und seine Gestaltung zur Zeit des Dritten Reichs" vor, wie der, dass es bislang in der Forschung recht simpel zugegangen sei, gegenüber dem anstehenden mutigen "Aufzeigen der Wurzeln der gegenwärtigen Probleme und d[er] Erkenntnis und Darstellung von deren Allgemeingültigkeit" als Krisenbewältigungsverfahren. Da in dieser Nacht der Abstraktion seit Schillers Einsicht alle Katzen grau werden, ist nicht mehr einzusehen, wo die Differenz zu - sagen wir - dem Diktum von Botho Strauß "Krise ist immer" liegt, d. h. die Gegenstände sind um einer falschen Gemeinsamkeit willen endgültig um ihre jeweilige Spezifik gebracht.

Positive Gemeinsamkeiten tauchen dann plötzlich zwischen Bergengruens "Der Großtyrann und das Gericht" und Horvaths "Jugend ohne Gott" auf, die jegliche - dem Wissen durchaus zugängliche - Differenz in der analytischen Qualität der Texte tilgen. Stattdessen bürge die ihnen gemeinsame "Transformation des Detektivromans" für ihre Vergleichbarkeit am Schuldparadigma in der "Grenzsituation". Dass man das so sehen kann, ist unbestreitbar, dass dies aber mehr und anderes darstelle als ein über das etablierte Vorurteilssystem aufgestöbertes zirkuläres Sich-selbst-Einholen, ist zu bezweifeln. Mit dieser Methode ließe sich schließlich nicht nur ein "Ausweg aus der Krise oder Halt im 'Gehäuse'" in den Werken "Der veruntreute Himmel" von Werfel und dem Roman "Das einfache Leben" von Wiechert aufspüren, sondern auch noch jeder gläubige Faschist könnte für sich in diesem Punkt Gesinnungsbruderschaft reklamieren,... und hat das fatalerweise auch oft genug getan.

Ein nachdenklich stimmendes - und von der Autorin freilich so nicht gesehenes und ausformuliertes - Nebenergebnis scheint mir das folgende: Ungewollt geben der Buchtitel und seine Explikation in der Durchführung preis, dass ausgerechnet die Entpolitisierung des Forschungsgegenstands zum gegenteiligen Kern führt, nämlich dem immer mal wieder behaupteten wie abgestrittenen Nationalismus des Materials. Wie der Titel schon sagt, diesseits und jenseits der Mauern ging es immer um Deutschland, und der einschlägige Deutsche blieb außen und innen immer gleich deutsch. In dieser der Seinsanalyse verschwisterten Denkfigur kehrt die geleugnete Ausgangsposition des Moralismus in verschärfter Form wieder. In der vorgelegten Auffassung kann sich logischerweise dem Sein und dem Tod auch eine Sozialistin, die von den Formbestimmungen des gesellschaftlich anberaumten Todes spricht, nicht entziehen.

Anna Seghers' "Transit" wird so vergleichbar mit Hermann Kasacks "Die Stadt hinter dem Strom", wessen sich Frau Seghers lieber nicht versehen hätte. Umgekehrt wird auch ein Schuh draus: Dass der Name Brechts in diesem sehr exemplarischen Vergleich, zu dem normalerweise die Differenzen gehören, nicht auftaucht, spricht weniger für die Unvergleichlichkeit des Mannes als gegen die durchgehaltene These der Identität des konstruierten Gegenstands.

Da sich in dieser Arbeit die in der deutschen Literatur immer mal wieder auftauchende Kultivierung von Innerlichkeit in einen sachfremden Primat praxisferner Pflege von Gesinnungstüchtigkeit in der Inneren Emigration wie im Exil verkehrt sieht, ist als Interessentenkreis noch am ehesten der von kultusbürokratischen und lebenshilflichen Bestrebungen anvisierte meinungsbildende Multiplikator von Gewissheiten vorstellbar.

Titelbild

Annette Schmollinger: Intra muros et extra. Deutsche Literatur im Exil und in der Inneren Emigration.
Universitätsverlag Winter, Heidelberg 1999.
276 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-10: 3825309541

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch