"Clash of Cultures"?

Karen Michels' Studie über die deutschsprachige Kunstgeschichte im amerikanischen Exil

Von Claus-Dieter KrohnRSS-Newsfeed neuer Artikel von Claus-Dieter Krohn

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die auf eine Habilitationsschrift zurückgehende Studie legt die Ergebnisse eines Teilprojekts vor, das von der DFG im Rahmen ihres Forschungsschwerpunkts Wissenschaftsemigration gefördert worden ist. Wie die anderen bereits vorliegenden oder kurz vor dem Abschluss stehenden Arbeiten belegen auch die Recherchen von Karen Michels einen weit größeren personellen und intellektuellen "brain drain" als bisher angenommen wurde und die bisher bekannten biographischen Daten vermuten ließen. Daher ist es müßig, darüber zu streiten, ob die Kunstwissenschaft, wie die Autorin vermutet, mit rund 250 vertriebenen Repräsentanten, d.h. etwa einem Viertel der Fachvertreter, zu den am stärksten von den NS-Verfolgungen betroffenen Disziplinen zählte. Solche Vergleiche wären darüber hinaus auch kaum valide, weil die Auswahlkriterien und -daten in den einzelnen Fächern jeweils andere sind.

Selbst lässt die vorliegende Studie hier einige Transparenz vermissen. Der Leser erfährt lediglich, dass die vorgestellte Personengruppe im Fach Kunstgeschichte promoviert hat oder unpromoviert in einem kunsthistorischen Arbeitsfeld tätig gewesen ist. Ob sich bestimmte akademische Milieus, Schulen oder Institutionen mit besonderer Vertreibungsintensität ausmachen lassen, bleibt daher, mit Ausnahme der ausführlich vorgestellten Gruppierung um Erwin Panofsky aus Hamburg, offen. Immerhin ergibt sich aus der Vielzahl der angeführten biographischen Beispiele im Verlauf der Darstellung, dass zu den Kunsthistorikern auch Archäologen, Islam- und Ostasienwissenschaftler sowie einzelne Musikologen gehören. Nicht wenig erstaunt allerdings, dass der gelernte Architekt und Soziologe Siegfried Kracauer ebenfalls dazu gezählt wird.

Die Autorin konzentriert ihre Untersuchung sinnvollerweise auf das kunstwissenschaftliche Exil in den USA, wohin rund die Hälfte ihrer Personengruppe geflohen ist. Vorgestellt werden die äußeren Merkmale der Integration und beruflichen Neuorientierung durch eigens gebildete Hilfskomitees, durch akademische Netzwerke oder die Engagements der bereits erfolgreich platzierten Emigranten, sodann die wichtigen Zentren der Aufnahme von Emigranten wie das Institute for Advanced Study in Princeton und das Institute of Fine Arts an der New York University, dessen engagierter Leiter Walter S. Cook zeitweise mehr als fünfzig Prozent des Lehrkörpers aus Kreisen der Emigranten angeworben hatte. Im Mittelpunkt aber stehen die intellektuellen Botschaften der Emigranten, die dazu beitrugen, aus dem "gelehrten Dilettantismus" der amerikanischen Kunstwissenschaft jener Jahre, trotz hervorragender Sammlungen und Leistungen einzelner Gelehrter dort, eine wissenschaftliche Disziplin zu machen. An den Universitäten gelang das durch Erschließung neuer Gegenstandsfelder wie der Renaissance- und Manierismusforschung oder der Kunstpsychologie, vor allem aber durch die "Ikonologie", jenes integrierte Theorie- und Methodenkonstrukt, Interpretationsschema und Deutungsinstrument, das sich als Alternative zu den überkommenen stilkundlichen Forschungen verstand. Dieser als "Königsweg der Interpretation" beschriebene Ansatz markiert den Kern der wirkungsgeschichtlichen Analyse des Bandes. Er ist an der von Aby Warburg gegründeten Kulturwissenschaftlichen Bibliothek in Hamburg entworfen worden und wurde von Erwin Panofsky - dem verklärten Helden der Autorin und Gewährsmann der meisten ihrer analytischen Befunde - in die USA gebracht, von wo er nach dem Zweiten Weltkrieg dann als "internationaler Stil" nach Deutschland und Europa zurückwirkte.

Kontrastierend zu dieser Erfolgsgeschichte an den Universitäten gewannen Kunsthistoriker an den zumeist privat organisierten und finanzierten amerikanischen Museen keinen vergleichbaren Einfluss. Nicht von ungefähr sind dort lediglich zwölf Emigranten untergekommen, von denen gerade zwei eine leitende Position erreichten. Weitere Wirkungsstätten macht die Autorin im Verlagswesen, in den Medien und im Kunsthandel aus. In allen Berufsfeldern konnten sich die Emigranten augenscheinlich eine zweite Existenz aufbauen, so dass nach 1945 nur vier der ursprünglich 125 Geflohenen nach Europa zurückgekehrt sind. Abgerundet wird der Band mit Hinweisen auf die verbreiteten Akkulturationsprobleme, so beim Spracherwerb, bei den Lehr- und Vermittlungsstilen oder im Berufsalltag gegenüber dem verbreiteten Antisemitismus. Da die Autorin ihre Arbeit an der Schnittstelle von Disziplingeschichte und Emigrationsforschung positioniert, hätte vielleicht auch die Frage gestellt werden können, ob und welche politischen Sensorien die emigrierten Kunstwissenschaftler für die New-Deal-Order der dreißiger Jahre entwickelt hatten. Das Roosevelt-Programm markierte ja nicht allein ein soziales Krisenbekämpfungsprogramm, sondern darin integriert auch ein gewaltiges, auf Beschäftigung und öffentliche Geschmacksbildung zielendes Förderprogramm für Künstler aller Richtungen.

Titelbild

Karen Michels: Transplantierte Kunstwissenschaft.
Akademie Verlag, Berlin 1999.

ISBN-10: 3050032766

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