Auf großer Ketzertour

Der Barbier von Bebra geht in die Fortsetzung

Von Torsten GellnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Torsten Gellner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was haben wir gelacht, als im August 1996 der Vorabdruck des Romans "Der Barbier von Bebra" in der "tageszeitung" erschien und sich die beiden namhaften Literaturkritiker und Satireexperten Konrad Weiß und Vera Lengsfeld zu Wort meldeten, mit der Mission, die Nation über das böse Buch der bösen Buben Droste und Henschel aufzuklären. Der Roman sei "faschistisch", lautete ihr fachgerechtes Urteil, taz-Boykott inklusive. Während Lengsfeld und Weiß als Realsatiriker brillierten, hatten die beiden Autoren selbst gut lachen, denn der plötzliche feuilletonistische Rummel um ihre kleine Satireschrift schlug sich in ordentlichen Verkaufszahlen nieder.

Aus Fehlern wird man klug und so schweigen sich die moralischen Kontrollinstanzen bislang über die jetzt erschienene Fortsetzung "Der Mullah von Bullerbü" aus, obwohl das Autorenduo nicht minder ruppig mit den garantiert "frei erfundenen Personen" des Romans umgeht. Rudolph Scharping als profilneurotischer Fahrraddieb, Waffenfetischist Dagobert Lindlau, ein inhaftierter Musikus namens Hans-Olaf Henkel, der erfolglose Fußballcoach Günter Grass sowie der Papst persönlich spielen mit, doch die Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen, seien sie auch noch so frappierend, sind natürlich rein zufällig. Umrahmt wird die dubiose Geschichte ganz klassisch von einem "Prolog im Himmel" und einem "Epilog im Orbit" und was sich dazwischen abspielt - die Leser des "Barbiers" werden es ahnen - verdient die Bezeichnung: "nur bedingt kohärent".

Nachdem die Puhdys samt der Fleisch gewordenen Spreewaldgurke Achim Menzel auf dem Berliner Alexanderplatz von einem auf bärtige DDR-Bürgerrechtler spezialisierten Serienmörder öffentlich frittiert wurden, brach ein innerdeutscher Krieg aus und Deutschland ging den Bach runter. Niemand hätte nach dem apokalyptischen Finale des ersten Teils ernsthaft an eine Fortsetzung denken können, doch völlig unverhofft kamen die Sozis an die Macht und "dann hatte Gerhard Schröder in Nullkommanichts alles wieder aufgebaut." Jetzt musste auch Deutschlands schönste Polizistin, Gisela Güzel, wieder ihren Dienst antreten und gleich in einem neuen, mysteriösen Fall ermitteln: Der Vorsitzende der Stiftung Weltethos und "Ketzer des Monats" Hans Küng ist im Auftrag seines schärfsten Konkurrenten Eugen "Pullover-Lover" Drewermann entführt worden. Eine heiße Spur führt zu dem skrupellosen Wäschegrossisten Bernd Fritz, der sowohl ranghohe Kleriker als auch Ketzer zu seinem Kundenstamm zählt. Doch er kann fliehen und sich in Bagdad absetzen. Unterdessen geht der nunmehr konkurrenzlose Drewermann zusammen mit Dorothee Sölle auf große Ketzertour und Manfred Kanther wird von Otto Schily nach Afrika abgeschoben. "Der schneidige Beau aus Fulda" wird größenwahnsinnig und schießt seine selbstgebastelten "V-Manni-Raketen" unkontrolliert in der Weltgeschichte herum.

Kurzum, das Konzept des Vorläufers wurde weitgehend beibehalten. Ein hohes, wohl kalkuliertes Provokationspotential, eine völlig abstruse Story und möglichst viele bekannte Gesichter - das dürfte die Fans glücklich stimmen. Scherze wie über das islamische Zeitschriftenspektrum ("Frau ohne Spiegel, Gegen Sie und Brigitte im Kartoffelsack") oder über die Arabischen Wochen bei McDonald's ("gegrillte Fötenpfötchen gingen als 'Kinderteller Rudolph Scharping' zu Dutzenden über den Tresen") sind haarscharf an der Grenze. Ja, an welcher Grenze? Der des guten Geschmacks, der politischen Korrektheit, des Zumutbaren? Nein, nicht Droste und Henschel sind geschmacklos, sondern die Moralapostel, die in den offensichtlichen Überspitzungen des Romans ein ideologisches Wunschszenario der Autoren zu erkennen meinen.

Stilistisch bleibt auch alles beim Alten, man trifft wieder auf schöne und ausdrucksstarke Neologismen wie "fagottete" oder "pirouettete", und der undogmatische Umgang mit Konjugationen ist sowieso legendär. Manchmal muss man auch genauer hinsehen, um den eigentlichen Sinn hinter den auf den ersten Blick nicht über das Niveau von RTL-Kalauern hinausgehenden Zoten zu erfassen. Wenn Otto Schily z. B. fordert: "Es muss Schluss sein mit den rechten Ecken" und daher überall runde Fenster einsetzen lässt, erscheint das zunächst wenig originell und nur bedingt witzig. Tatsächlich erinnert dieser Jokus verdächtig an die Hilflosigkeit der Herrschenden im Umgang mit dem Rechtsradikalismus. Runde Fenster gegen rechte Ecken finden ihr gesellschaftliches Äquivalent im "Aufstand der Anständigen", der High-Society, die sich bei Kaviar und Prosecco zu einem total protestmäßigen Udo-Lindenberg-Konzert zusammenfindet, ein bisschen telegene Empörung raushängen lässt, um dann reinen Herzens wieder zur Tagesordnung überzugehen.

Mit etwas gutem Willen kann man diesen hintersinnigen Humor entdecken, aber in erster Linie ist "Der Mullah von Bullerbü" einfach ein lustiges Buch, ein bisschen Kindergeburtstag für Erwachsene mit destruktiven Neigungen und unverzagter Lebensfreude.

Titelbild

Wiglaf Droste / Gerhard Henschel: Der Mullah von Bullerbü.
Edition Nautilus, Hamburg 2000.
154 Seiten, 14,30 EUR.
ISBN-10: 3894013524

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