Kampf der Giganten

Ein Vergleich von "Microsoft Encarta 2001 plus" und "Brockhaus multimedial 2001 premium"

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mindestens auf einem Gebiet haben die Silberlinge bedrucktes Papier so gut wie abgelöst: bei Nachschlagewerken. Wozu viel Geld in ein teures und vor allem wertvolle Regalmeter kostendes Lexikon investieren, wenn man für weniger Geld eine viel schneller und gründlicher zu durchforstende, dank monatlicher Updates aus dem Internet stets auf dem letzten Stand befindliche Enzyklopädie auf bierdeckelgroßer CD-ROM erstehen kann?

Kein Wunder, dass der Markt für Multimedia-Lexika boomt. Die Bilder und Grafiken auf den voluminösen Verpackungen locken genauso wie die immer höheren Zahlen an Artikeln, Stichwörtern, Animationen, Interaktivitäten und Web-Links. Marktführer und Hauptkonkurrenten sind die Jahr für Jahr umfangreicher werdenden Premiumausgaben aus den Häusern Brockhaus und Microsoft. Ein Vergleich zwischen beiden scheint zunächst eindeutig zugunsten von "Brockhaus multimedial 2001 premium" auszufallen: Stolze 98.000 Artikel stehen nur 45.000 auf Seiten der "Encarta Enzyklopädie 2001 plus" gegenüber. Doch die Zahlen täuschen. Was Brockhaus als "Artikel" verkauft, sind, von Ausnahmen abgesehen, gewöhnliche, meist nur wenige Zeilen lange Stichworteinträge, wie man sie von Buchlexika her kennt. Also abschreckende Abkürzungen, staubtrockener Stil und aufgezählte Fakten. Die "Artikel", die die Encarta anbietet, sind tatsächlich welche, nämlich zwischen einer und mehreren Seiten lange, perfekt vernetzte, mit einem leserfreundlichen Layout versehene, von Akademikern, Fachjournalisten und einer deutschen Redaktion erstellte Aufsätze, deren Informationswert und Qualität erstaunlich sind. Beispiel "Gerhard Schröder": dürren 12 Zeilen auf Seiten des Brockhaus stehen satte 89 in der Encarta entgegen. Da macht das Lesen einfach Spaß.

Immerhin: gegenüber seinen Vorgängerversionen hat sich der Brockhaus gemacht. Ein Facelifting und der neue "computergenerierte Wissenskontext", der die von einem Stichwort allseits ausgehenden Querverbindungen aufzeigt, sind deutliche Verbesserungen. Doch bleiben die grundsätzlichen Differenzen zwischen beiden Nachschlagewerken bestehen. Auch mit noch so vielen Videos und Animationen kann der Brockhaus seine Herkunft vom traditionellen Lexikon nicht verleugnen. Auf der anderen Seite knüpft die Encarta mit ihren Artikeln an die Tradition der Enzyklopädien der Aufklärung an.

Wem das zu hoch gegriffen erscheint, vergleiche einfach die Einträge zu beliebigen Stichworten. Natürlich sind solche Stichproben der jeweils hinter dem Multimediadesign dargebotenen Wissenssubstanz stets etwas willkürlich und spiegeln meist die Interessen des Kritikers wider. Kann man es dem Brockhaus vorwerfen, wenn ihm zu "Aktivismus" nicht mehr einfällt als eine u. a. von Nietzsche vertretene philosophische Denkrichtung? Umgekehrt freilich ist es für einen Literaturenthusiasten geradezu entzückend, wenn ihm die Encarta hinreichend über dieses um 1920 von Kurt Hiller, Robert Müller, Robert Musil und anderen, vorwiegend expressionistischen Autoren vertretene Literaturprogramm Auskunft gibt.

Problematischer scheinen die Wissenslücken zu aktuellen Themen: zur CDU-Spendenaffäre fällt dem Brockhaus kaum mehr als ein Satz ein, um den sein Helmut-Kohl-Eintrag aktualisiert wurde. In der Encarta dagegen wurde Kohls Biographie umfassend auf den neuesten 'dunklen' Stand gebracht. Zum Kosovo-Krieg findet sich im Brockhaus immerhin das Nötigste, in der Encarta dagegen ein ausführlicher Überblick, der auch die historischen Ursprünge der ethnischen Konflikte Jugoslawiens beleuchtet.

Überraschend erhellend, gerade was die Aufregung über diverse "Prügel"-Fotos Joschka Fischers angeht, ist ein Blick auf die Einträge zum Außenminister: Demnach scheint der Brockhaus multimedial vorrangig bei den Politikern aus den Reihen der Opposition Verwendung zu finden. In ihm beginnt nämlich Fischers politisches Leben mit seinem Beitritt zu den "Grünen" 1980. Für Encarta-Nutzer ist Fischers militante Vergangenheit in der Frankfurter Hausbesetzerszene dagegen ein alter Hut.

Titelbild

Der Brockhaus multimedial 2001 Premium. 5 CD-ROM f. Windows.
Bibliographisches Institut, Mannheim 2000.
91,50 EUR.
ISBN-10: 3411069058

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Microsoft Encarta Enzyklopädie Plus 2001. 3 CD-ROMs für Windows. Art.-Nr. : UMB0574379.
Microsoft Press, Unterschleißheim 2000.
99,99 EUR.

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