Das Unsichtbare und das Unbegreifbare

Über Hans Herbjørnsruds Erzählband "Die blinde Tür"

Von Stefanie Regine BrunsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Regine Bruns

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hans Herbjørnsrud gilt in Norwegen schon lange als Meister der Kurzgeschichte. Seine Erzählungen gewinnen regelmäßig Auszeichnungen und werden zu Recht hoch gelobt. Der Norweger ist ein großartiger Erzähler, der in einem kraftvollen, kühlen, beunruhigenden Ton unheimliche, kafkaeske Geschichten schreibt. Die vorliegenden drei Erzählungen spielen im weiten, ländlichen Norwegen. Diese abgeschiedene Welt ist der Schauplatz rätselhafter, schauerlich schöner Begebenheiten, wie eine Sagenwelt aus einer anderen Zeit.

In "Abdrücke" hat sich die Geliebte von Bauer Martin, eine post-moderne Architektin, auf einer Landzunge ein Haus ganz aus Glas gebaut, eine "Cyberspace-Welt aus Glas und Luft und Licht". Als Martin eines Tages aus der kalten, kristallischen Glaskugel tritt, um auf seinen verlassenen Bauernhof zurückzukehren, beobachtet er kopfschüttelnd die Bauern, die ihre Äcker vom Pfarrer segnen lassen. Zu Hause entdeckt er, dass die uralten Steinplatten im Hof zersprungen sind und merkwürdige Abdrücke von etwas Gewaltigem, unsagbar Schwerem tragen.

In der Titelgeschichte "Die blinde Tür" geht es um eine geheimnisvolle Tür, die schon seit einem halben Jahrhundert verschlossen ist. Der Ich-Erzähler lässt eine Schlosserin kommen, die die Tür öffnet. Hinter der Tür muss sich ein schreckliches Geheimnis verbergen, denn der Ich-Erzähler ist von einer panischen Angst besessen. Im Gespräch mit der Schlosserin erinnert er sich schließlich an Dinge, die mehrere Generationen zurückliegen und die er längst verdrängt hatte.

Die letzte Erzählung "Iks und Zett" kehrt das Verhältnis von Literatur und Wirklichkeit um. Der Schriftsteller Zett beklagt sich darüber, dass die Menschen in seinem Dorf sich nicht so benehmen, wie er es gern in seinen Büchern hätte: "Sein Roman sollte einen Auftakt, eine Steigerung, eine Krise und eine Klimax haben. Doch die Bauern in Weer komponierten ihr Leben nicht dergestalt, sagte er. In dieser Gemeinde finde er keine Handlung, keine Entwicklung, keine Peripetie und keine Katharsis. Was er finde seien bloß Verwirrung, Auflösung, Zusammenbruch und Leere auf Leere auf Leere, die sich in Leere auf Leere auf Leere entleere, sagte er. Wolle er der Wirklichkeit treu bleiben, müsse er über die Wirklichkeit lügen." Doch irgendwann beginnt die friedliche Dorfwirklichkeit Zetts Geschichten zu folgen: Liebesbeziehungen entstehen, Intrigen werden gesponnen, Kriminalfälle ereignen sich. Außerdem versucht Zett sich schreibend seiner eigenen Probleme zu entledigen: "Zett hat seine eigene Nekrophilie auf Ku übertragen, seinen Alkoholismus auf We, seine Beziehungsprobleme auf Pe und Eff, seine Phobien auf Be, seine Sodomie auf Ka, seine Aggressivität und seinen Sadismus auf Eß, seine Migräne auf Te und seine Depression auf En." Der einzige, der sich dieser "Poetokratie" widersetzt, ist der schweigsame Bauer Iks.

Herbjørnsruds Erzählungen sind spannend und mitreißend. Was hat es mit der unsichtbaren Macht auf dem Bauernhof auf sich? Was mag sich hinter der verschlossenen Tür verbergen? Mysteriöse, schauerliche, streckenweise sehr komische Geschichten ereignen sich da in der beschaulichen norwegischen Landschaft.

Titelbild

Hans Herbjornsrud: Die blinde Tür. Erzählungen.
Übersetzt aus dem Norwegischen von Siegfried Weibel.
Luchterhand Literaturverlag, München 2000.
202 Seiten, 15,20 EUR.
ISBN-10: 3630870694

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