Dasein ist Freisein

Günter Figal liefert den fehlenden großen Kommentar zu Heideggers "Sein und Zeit"

Von Sabine KlomfaßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sabine Klomfaß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zwölf Jahre ist es her, seitdem die erste Auflage des Buches "Martin Heidegger. Phänomenologie der Freiheit" des Tübinger Philosophen Günter Figal erschien. Seit der Erstveröffentlichung 1988 gilt dieses Buch als Standardwerk, das nun in dritter, weitgehend unveränderter Auflage vorliegt. Eingefügt wurde nur ein kurzes Nachwort zum heutigen Selbstverständnis des Werkes, in dem der Autor die Übereinstimmung mit seinen damaligen Überlegungen bekundet und sein Buch (zu Recht) innerhalb der Heidegger-Forschung als weiterhin aktuell und impulsgebend verortet.

In "Sein und Zeit" beschäftigt sich Heidegger mit der Frage nach dem In-der-Welt-Sein, dem "Dasein". Im Gegensatz zum späten Heidegger, dessen Gedanken die transzendente Frage nach einem "letzten Gott" umkreisen, geht es hier um den immanenten Zusammenhang von Welt und Weltbezug im Handeln und "Verhalten". Die Welt wird verstanden als Raum von Möglichkeiten, die im Dasein erfasst und realisiert werden wollen, und als einmal gefasste Vorhaben interpretiert, rechtfertigt oder verurteilt werden. Dies ist die heideggersche Dimension der Freiheit, die Figal einerseits von Aristoteles' und andererseits von Kants Freiheitskonzept abgrenzt: Es geht weder um die praktische Freiheit des unbeeinträchtigten Handelns, noch um die theoretische Freiheit des Willens, sondern das Freisein ist durch die wesentliche Offenheit der zu ergreifenden Möglichkeiten quasi gleichbedeutend mit dem Dasein selbst. Freiheit spielt sich in der Welt ab, und macht zugleich sich und die eigenen Begrenzungen durch An-stößiges (z. B. unerwartet Unantastbares) sichtbar. Unfreiheit hingegen findet man darin, "dass man die Offenheit der Welt und das Möglichsein des Daseins nicht durchschaut und so in der Unmittelbarkeit vermeintlich sicherer Orientierungen, wie vor allem die Sprache sie bietet, gefangen bleibt."

Obwohl Figal versucht, Heideggers "Sein und Zeit" authentisch zu lesen (d. h. gleichsam mit der rekonstruierten Perspektive Heideggers die Philosophie zu sehen und von dort her dessen Argumentstruktur sichtbar zu machen), versucht der Tübinger Philosoph nicht der Faszination von Heideggers Sprache zu 'verfallen', oder anders gesagt: er will selbst nicht 'heideggern', wie dies vor und nach ihm Heideggerinterpreten getan haben. Figal bemüht sich, stattdessen die Wortneuschöpfungen Heideggers durch ihre Bedeutungen bzw. Übertragungen verständlich zu machen, allerdings fortwährend in Bezug auf seine eigene grundlegende These, dass das Freiheitsproblem von zentraler Bedeutung in "Sein und Zeit" ist.

Daraus resultierend unterzieht Figal die Welt als Feld der Freiheit einer genauen Analyse: Dies ist in erster Linie das "Zeug", das zu etwas dienlich ist und so auf eine Handlung verweist, wie der Stift, der gleichsam "zuhanden" ist, um zu schreiben. In diesem Sinne sind alle Gegenstände zunächst bedeutsam, oder wie Heidegger sagt: Seiendes "hat mit ihm bei etwas sein Bewenden. Der Seinscharakter des Zuhandenen ist die Bewandtnis." Diese "Bewandtnis" kann man mit drei verschiedenen Bedeutungen lesen: Zum Ersten als Verweisung, bei der die Bewandtnis des Stiftes zum Beispiel das Schreiben sei, und zum Zweiten als "Bewenden-lassen", d. h. das Seiende als Zuhandenes auf sich beruhen lassen, es nicht ändern und nicht aus dem Verweisungszusammenhang herausnehmen. Zum Dritten bekommt die Bewandtnis eine ontologische Bedeutung als "Je-schon-haben-bewenden-lassen" und charakterisiert so eine Eigenschaft des Seins der Dinge selbst. Dies geht über die zweite Bedeutung insofern hinaus, als das Bewenden-lassen schon als Teil einer apriorischen Vergangenheit betrachtet wird, die vorausgesetzt werden muss, wenn man das Zuhandene gegenwärtig weiterhin als so und so seiend bewenden lassen will oder auch nicht. Man lässt sich folglich auf das Seiende ein, oder anders gesagt: man gibt es im Verstehen und Interpretieren frei. Das "Wozu" bzw. der Möglichkeitscharakter oder die "Offenheit" des Zuhandenen erweist sich daher ontologisch als wesentlich. So erläutert Figal: "'Welt' ist dann die Offenheit des Seienden in der Weise der Bewandtnis, sofern man in ihr sein kann. [...] Macht man sich noch einmal klar, dass mit der Offenheit des Seienden gemeint ist, 'dass es ist', und liest das zusammen mit Heideggers Bestimmung von 'Dasein' als 'Erschlossenheit' und 'Aufgeschlossenheit', so lässt sich auch einsehen, dass der Ausdruck 'Sein' bei Heidegger gleichbedeutend mit 'Möglichkeit' ist." Daraus ergibt sich wiederum die Bedeutung der Freiheitskonzeption Heideggers in Bezug auf das "In-der-Welt-sein".

Abschließend bleibt zu sagen, dass Figal seinem eigenen Anspruch, nicht zu 'heideggern' nicht ganz gerecht wird und vielleicht auch nicht gerecht werden kann: Die "Bewandtnis" der Sprache bzw. bestimmter Begriffe Heideggers, so wird man beim Lesen feststellen müssen, kann meist nur über das Abschreiten der verschiedenen Möglichkeiten und im Sich-einlassen auf die einzelnen Bedeutungen adäquat gefunden werden.

Kein Bild

Günter Figal: Martin Heidegger. Phänomenologie der Freiheit.
Beltz Verlagsgruppe, Weinheim 2000.
428 Seiten, 24,50 EUR.
ISBN-10: 3895477214

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch