Spielleiter im Fernsehen

Rolf Parr und Matthias Thiele erforschen eine multifunktionale Telefigur

Von Ralf Georg CzaplaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ralf Georg Czapla

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zwanzig Jahre nach Ausstrahlung der ersten Sendung ist "Wetten dass...?" nun auch der Sprung in den Olymp der Wissenschaft gelungen. Es war zu erwarten, schließlich führt ein Mann durch die Sendung, der sich in den siebziger Jahren zunächst als Geisteswissenschaftler versucht hat. Noch während seines Studiums der Germanistik und Latinistik muss Thomas Gottschalk allerdings seine Medientauglichkeit erkannt haben, sonst hätte er wohl kaum die heitere Philologie und die Aussicht auf ein fraglos schönes Leben als Oberlehrer gegen den tristen Job eines TV-Spielleiters eingetauscht.

Als Moderator der "Telespiele" bestand er beim Bayerischen Fernsehen seine Feuertaufe; 1987 bis 1992 war er als Nachfolger von Frank Elstner Moderator von "Wetten dass...?". Wolfgang Lippert führte die Sendung 1992/93 auf ihren Tiefststand in der Publikumsgunst, Gottschalk ließ die Einschaltquoten wieder steigen. Das Konzept blieb dabei so gut wie unverändert: Die Wettgäste sind so ausgewählt, dass sie einer breiten Schicht von Zuschauern positive Identifikationsmöglichkeit bieten. Das musikalische Begleitprogramm wird mit Leuten bestritten, die bei der jüngeren Generation "in" sind und die die Älteren nicht vergrätzen.

Aber von der geistigen Exklusivität des Lehrstandes ist hier, "Wetten dass...?", nichts zu finden. Die Spielshow ist eher ein Stück Normalität und Tristesse am Samstag, weit entfernt von Hans Rosenthals auch geistig gelenkigen Luftsprüngen in "Dalli Dalli" oder von Wim Thoelkes Feierabend-Quiz "Der grosse Preis", der anspruchsvollen Volkshochschule am Bildschirm.

Die Dortmunder Kulturwissenschaftler Rolf Parr und Matthias Thiele haben im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts "Flexibler Normalismus im Fernsehen" mit den Moderatoren von Quiz-, Game- und Unterhaltungsshows einen Typus von Telefigur untersucht, der bislang keine Beachtung in der Medienwissenschaft gefunden hat - oder allenfalls im Kontext übergreifender Fragestellungen.

Ihr Band "Gottschalk, Kerner & Co." dokumentiert ein Kolloquium vom August 1999. Spielleiter haben, so wird hier deutlich, von den eigenen spezifischen Aufgaben abgesehen, das gesamte Spektrum der speziellen Erfordernisse von Anchorman, Ansager, Kommentator, Moderator und Talkmaster zu erfüllen. Sie stellen daher die komplexeste Funktionsfigur im Fernsehen dar. Ihre Multifunktionalität erklärt vielleicht auch, weshalb sie auf der Beliebtheitsskala des Zuschauers nicht nur zahlenmäßig, sondern auch stets im vorderen Feld rangieren. Der Spielleiter ist der Focus des Zuschauerinteresses, nicht der Kandidat, der um Punkte oder Geld ringt.

Die Auseinandersetzung mit dieser Telefigur wird in den Beiträgen des Bandes mit der Frage nach der Dramatisierungslogik des "Normalen" im Medium Fernsehen und seinen genrespezifischen Operationsbedingungen verbunden, etwa nach dem Verhältnis von dispositiven Faktoren und Formaten des Mediums mit normalistischen Szenarien, Diskursen und Narrationen. Dabei kristallisieren sich drei Befunde heraus: Zum einen werden Spielleiter zu interdiskursiven Gegenständen, die einerseits einzelne, fragmentarisierte Programme und Programmteile, andererseits einzelne gesellschaftliche Bereiche miteinander verknüpfen, die nicht zwingend fernsehnah zu sein brauchen. Zum anderen überlagern typische Spielleiterfunktionen insbesondere solche Formate wie Koch-, Talk- und Sportsendungen, und schließlich konkretisiert sich in der Figur des Spielleiters die Durchbrechung des Alltags und der verschiedenen gesellschaftlichen Normalitäten bei gleichzeitiger Behauptung und Versicherung von allgemeiner Normalität. Herausgearbeitet werden dabei die Strategien von Spielleitern, sich trotz ihres akzeptierten Status als Star gegenüber Zuschauern und Kandidaten doch noch als "natürliche" Personen darzustellen.

Der Sammelband von Rolf Parr und Matthias Thiele bietet nicht nur die erste umfassende Auseinandersetzung mit der Telefigur "Spielleiter" im Horizont von Medien- und Kulturwissenschaft. Er reflektiert darüber hinaus die Interaktion zwischen Spielleiter, Kandidaten, Saal- und Fernsehpublikum und sensibilisiert den Leser für - zuweilen subtile - Strategien der Zuschauerlenkung. Den Band beschließt ein Anhang, der neben einer detaillierten Forschungsbibliographie Register der Fernsehsendungen und Spielleiter enthält, um einen gezielten Zugriff zu ermöglichen.

Keinem Vergleich hält Gottschalk mit Hans-Joachim Kulenkampff stand, dem unerreichten Klassiker gepflegter Fernsehunterhaltung. Mit "Einer wird gewinnen" überschritt er regelmäßig die Sendezeit - neben dem anstößigen Witz eine seiner zahllosen Strategien der Selbstinszenierung. Kuhlenkampff trieb damit alle Lottospieler in die Verzweiflung, welche sehnsüchtig auf die Ziehung der Glückszahlen warteten. Gottschalk aber überzieht noch, wenn die Lottofee längst abgeräumt hat.

Titelbild

Rolf Parr / Matthias Thiele (Hg.): Gottschalk, Kerner & Co. Funktionen der Telefigur "Spielleiter" zwischen Exzeptionalität und Normalität.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2001.
266 Seiten, 11,20 EUR.
ISBN-10: 3518121758

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