Porno aus weiblicher Perspektive

Elfriede Jelinek schildert masochistische Sexualpraktiken

Von Jutta OsinskiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jutta Osinski

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Jelineks Buch "Lust", das ich hier kurz und durchaus provozierend vorstellen will, erschien vor zehn Jahren, 1989. Schon im Vorfeld der Publikation gab Jelinek freimütig Interviews und steuerte damit nicht unbeträchtlich die Rezeption in den Feuilletons. In der Zeitschrift "Profil" zum Beispiel wurde ein Gespräch mit Sigrid Löffler veröffentlicht, das nicht nur Löfflers eigener, sondern auch manchen anderen Rezensionen die Richtung vorgab: Jelinek behauptete, sie habe einen weiblichen Porno schreiben wollen - und der sei ihr mißglückt. Sie sei zwangsläufig gescheitert, weil sie, während der Arbeit am Text habe einsehen müssen, "daß die Männer die pornographische Sprache mehr als jede, sogar mehr als die Kriegs- und Militärsprache, für sich usurpiert haben, und daß dem etwas entgegenzusetzen auf jeden Fall bedeutet, daß man scheitern muß."

Also sei aus dem weiblichen Porno eine Art Anti-Porno geworden, der Erfahrungen einer kollektiven Verachtung der Frau thematisiere und zeige, daß Sexualität in einer konventionellen Ehe Gewaltausübung des Mannes über die Frau sei. Diese könne ihr Begehren nicht realisieren - denn in dem Moment, in dem sie selbst aktiv ein Objekt ihrer Begierde suche, lösche sie das Begehren des Mannes am sichersten aus. Es sind die trostlosen sexuellen Verhältnisse, die nach Jelinek weibliche Lust zur Qual werden lassen - und auch zur Leerstelle: Denn die Lust der Frau kann ja nicht beschrieben werden, wenn der Mann allein die Sprache der Lust beherrscht und die Frau weder sexuell noch sprachlich Subjekt ist. Daß sie es nicht ist, hat nicht nur geschlechtsspezifische, sondern auch soziale und ökonomische Gründe: Die sexuelle Ausbeutung der Frau entspricht der ökonomischen Ausbeutung der Arbeiterklasse im Kapitalismus - so jedenfalls Jelinek. Sigrid Löffler griff deren Selbstdeutungen auf und rezensierte das Buch positiv, indem sie ihm ein mimetisches Schreibverfahren im Sinne Luce Irigarays attestierte. In Ermangelung einer eigenen Spreche für weibliche Pornographie habe Jelinek die männliche Sprache imitiert und so vorgeführt, daß die Gewalt, auf der sie beruhe, sichtbar geworden sei; weibliche Lust als das ganz andere werde so zwar nicht gestaltet, aber doch als Mangel sichtbar und damit indirekt eingeklagt. Ich gestehe, daß ich Jelinek nicht glaube, Löfflers Verweisungen auf die écriture féminine allzu bemüht finde und das Buch "Lust" als einen gelungenen Porno lese - der allerdings nur bestimmte Zielgruppen erotisieren dürfte. Zunächst: Eine Handlung hat "Lust" eigentlich nicht. Es geht um den Fabrikdirektor Hermann, der ein Sexualprotz ist und sich, aus Angst vor Aids, ganz seiner armen Ehefrau Gerti widmet. Er "ißt jetzt zu Hause, wo's am besten schmeckt": Was einem gehört, wird auch benutzt, und "unermüdlich aufgestachelt von seinem Fleisch", will "der Mann seinen wilden Karren in den Dreck der Frau fahren"; diese kann kaum etwas tun, "um seinem krachend ins Unterholz ihrer Hose einbrechenden Schwanz zu entgehen". Es gelingt der armen Gerti nicht, sich besagtem Körperteil zu entziehen, und der Fabrikdirektor vergewaltigt sie Tag und Nacht, uriniert und kotet auf sie und in sie, zerreißt ihr die Kleider, zwickt ihr die Brustwarzen, quält und demütigt sie, wo er kann - und er kann immer. Der Student Michael, den sie sich selbst aussucht und mit dem sie ohne Rücksicht auf Aids schläft, ist keinen Deut besser; ich erspare mir zu zitieren, wie er die arme Gerti peinigt und in ihr herumwühlt. Schließlich steht er oben am Fenster und onaniert, während sie unten vom Fabrikdirektor, der gekommen ist, um sie abzuholen, und nun plötzlich alle Angst vor Aids vergessen hat, in der offenen Autotür wieder einmal vergewaltigt wird. Zum Schluß erstickt sie ihr Kind mit einer Plastiktüte, und der letzte Satz heißt: "Aber nun rastet eine Weile!" Der Rast bedarf man nach der Lektüre in der Tat. Ich denke, es handelt sich bei "Lust" um einen Porno, weil nur der erniedrigende Sexualakt in unzähligen Varianten im Vordergrund steht; es geht nicht um Beziehungen, Verhältnisse, die Psychologie von Figuren und so fort; es geht auch nicht um Erotisches im Sinne des Andeutenden, die Phantasie Beflügelnden. Und ich denke, es handelt sich um einen gelungenen Porno, weil gerade die Dauererniedrigung der armen Gerti in abstoßenden Sexualakten so lustvoll und sprachgewaltig vorgeführt wird, daß die variationsreichen sadistischen Praktiken viel größeres Interesse auf sich ziehen als eben die arme Gerti. Der Roman entlarvt nicht den männlichen Blick auf weibliche Sexualität, sondern thematisiert weibliche Sexualität aus der Perspektive einer Masochistin, die nach Erniedrigung verlangt. Die arme Gerti käme in große Identitätsschwierigkeiten, wenn ihr Hermann sie plötzlich zärtlich streichelte; sie ist keine psychologische Figur, sondern sexuell gequältes Objekt - und sonst nichts. Ebenso wenig ist Hermann ein Charakter mit Tiefendimension. Das Paar führt sadomasochistische Sexualpraktiken nach allen Regeln der Kunst vor, als ein lustvolles Spiel, in dem beide aufgehen. Genau dies und nichts darüber hinaus wird sprachmächtig veranschaulicht; die Metaphern und Metonymien, die aus den Bereichen Wirtschaft, Handel, Haushalt, bürgerlichen Freizeitvergnügen usw. entnommen sind, verweisen nicht auf sozial - oder ideologiekritische Hintergründe, die Bedingungen sexueller Gewalt erhellen können, sondern verbildlichen den Sexualakt selbst- sonst nichts. Ein Beispiel: "Sein Gebein erbebt, und er verschwendet seinen ganzen Inhalt, viel mehr als er an Geld einzunehmen vermochte, an die Frau, wie könnte sie nicht gerührt sein von diesem Strahl. Ja, jetzt enthält sie den ganzen Mann, soviel sie tragen kann, und der erhält sie, solange er an ihrem Interieur und den Tapeten noch Gefallen findet. Er wirft ihr Vorderteil in die Badewanne und spreizt als Geschäftsführer dieses Lokals und ähnlicher Lokale ihr Hinterzimmer. [...] Bald wird er sich schreiend erleichtert haben, dieses riesige Pferd, das seinen Karren mit verdrehten Augen und Gischtflocken am Gebiß in den Dreck zerrt."

Das ist vielleicht nicht geschmackvoll, aber deutlich, was die metaphorische und metonymische Vorführung des Sexualakts betrifft: Der Karren landet unausweichlich im Dreck, und im Dreck die Lust. Es geht nicht darum, sie zu beheben, sie zu begründen oder gar zu erklären - es geht darum, sie schreibend und lesend erfahrbar zu machen. Sowohl sprachlich als auch thematisch liegt die Lust von "Lust" auf masochistischen Sexualpraktiken aus weiblicher Perspektive; Qual ist hier Lust, und der sadistisch Quälende gehört dazu. Daraus folgt, daß die Frage nach Subjekt und Objekt in den Sexualakten nicht zu entscheiden ist - die arme Gerti ist auch Subjekt ihrer Lust, und Hermann ist auch Objekt der Begierde. Mein zweites Fazit: Ich glaube nicht, daß es eine männliche und eine weibliche Sprache für Sexualität gibt - es gibt unterschiedliche Erfahrungen, Sexualpraktiken und Perspektiven, die aber nicht unbedingt geschlechter-spezifisch sein müssen. Es gibt ja auch männliche Masochisten und sadistische Dominas; der Sadomasochismus ist eine spielerisch geregelte Sexualpraktik, die auf Konsens beruht und die nicht moralisierend beurteilt werden sollte. Eben das macht die kalauernde, ins Groteske übersteigerte Sprache des Romans bewußt gegen Jelineks Selbstinterpretationen, die gängige moralisierende Einstellungen zur Sexualität und zur Geschlechterfrage aufgegriffen und gut bedient haben. Jelineks Selbstaussagen über "Lust" haben dazu geführt, das Buch sowohl zu überschätzen als auch zu unterschätzen: Überschätzt wird es, wenn man in ihm so etwas wie eine kritische Darstellung von Geschlechterverhältnissen an sich sucht, die ökonomisch und ideologisch bedingt seien. Unterschätzt wird es als brillante Darstellung masochistischer Sexualphantasien aus weiblicher Perspektive, die als normal und nicht etwa als individuelle Perversion erscheinen. Wenn ich meine, daß "Lust" als Porno nur bestimmte Zielgruppen ansprechen dürfte, dann aus zwei Gründen: Zum einen ist sexueller Masochismus in dem Maße, wie ihn die arme Gerti ausleben darf, ein immer noch gewöhnungsbedürftiges, noch nicht als normal empfundenes Phänomen. Zum anderen ist die Sprachmächtigkeit eines Buches, das sexuelle Erniedrigung metaphorisch und metonymisch zur Lust universalisiert, so ungewöhnlich, daß man sie ebenso leicht verkennt wie das Thema. Gerti, das behaupte ich, will immer nur das eine , und sie ist in diesem Punkt wie der Marquis de Sade. Jeder nach seinem Geschmack.

Titelbild

Elfriede Jelinek: Lust.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1989.
256 Seiten,
ISBN-10: 3498033239

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