Ein Fall für menschliche Neugier

Hansjörg Schneiders Roman "Tod einer Ärztin"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Für Hansjörg Schneider ist es eine Ehre, immer wieder mit Friedrich Dürrenmatt verglichen zu werden. Doch längst hat sein Kommissär Peter Hunkeler ein ähnlich scharfes Profil gewonnen wie Dürrenmatts Ermittler Bärlach und Matthäi. Sein neuer Roman reicht weit über die abgesteckten Genregrenzen des anspruchsvollen Krimis hinaus und begibt sich auf unterhaltsame Weise in philosophische Sphären. Liebe und Tod (durchaus in dieser Reihenfolge) sind die Kardinalthemen in Schneiders neuem Roman. Dass er auf diese Weise seinem vordergründig als Krimi daherkommenden Werk neue Perspektiven eröffnete, hat einen traurigen biografischen Hintergrund: den Krebstod von Schneiders Ehefrau, den er im letzten Jahr in dem unter die Haut gehenden Band "Nachtbuch für Astrid" bereits literarisch thematisierte.

Der stets ein wenig missgelaunte Kommissär Hunkeler muss sich mit dem Mord an seiner Hausärztin Christa Erni auseinander setzen: eine unverheiratete Alt-68erin und rührige Lokalpolitikerin mit ausgeprägtem Faible für die Kultur. Zunächst werden die Basler "Junkies" verdächtigt, die das Opfer im Rahmen eines Methadon-Programms betreut hatte - zumal der Medikamentenschrank in der Praxis beschädigt ist. Doch eingefleischte Schneider-Leser wissen sofort, dass dies nur eine geschickt ausgelegte falsche Fährte ist. "Dies ist kein Fall für Spurensicherung und Informatik. Es ist ein Fall für menschliche Neugier", weist Protagonist Hunkeler den nach wissenschaftlichen Methoden arbeitenden Staatsanwalt zurecht, der über "sozialpsychologische Segmente des Täterbildes" sinniert. Hunkeler ist darauf angewiesen, das private Umfeld des Opfers auszuleuchten. Nach und nach entsteht ein kompliziertes Figurenpuzzle mit diversen Verdächtigen und plausibel erscheinenden Motiven: "Wo er hingriff in diesem Fall Dr. Erni, stieß er auf Liebe." Kaum jemand wusste, dass die angesehene Ärztin einen unehelichen Sohn hatte, der sich als Dealer durch den Basler Drogensumpf laviert und sich von seiner Mutter ungeliebt fühlt. Vor allem aber durchleuchtet Hunkeler das Testament der Ärztin, da sie über ein beträchtliches Vermögen verfügte. Ihr zwielichtiger Kompagnon Dr. Knecht, eine Laborantin und ein befreundeter Maler sind die Haupterben. Dieses Trio gehört damit ebenso zum Kreis der Verdächtigen wie die zahlreichen Liebhaber der vermeintlich "soliden" Ärztin. Wie auch eine Lesbe, die ihre Lebensgefährtin vermutlich durch einen Behandlungsfehler des Opfers verloren hat, und ein wichtigtuerischer Schriftsteller namens Rüfenacht, dessen zentrales Thema die Liebe ist ("Leben ohne Liebe ist nicht möglich.") und der unbedingt mit Hunkeler ins Gespräch kommen will.

So ist nicht nur von Liebe und Tod, sondern auch immer wieder von Sünden die Rede. Und eine solche wäre es, dem Kommissar hier vorzugreifen. Hansjörg Schneider gelingt es, durch ausgeklügelte Menschenbilder einen großen Kreis von potenziellen Tatverdächtigen aufzubauen. Über den Binnenhandlungsstrang hinaus, der um die Tat und deren Aufklärung kreist, hat er ein subtiles Gesellschaftsbild gezeichnet. Mit kräftigen Farben leuchten Liebe, Tod, Sünde und verletzte Gefühle als zentrale Bausteine aus diesem Wortgemälde heraus.

Titelbild

Hansjörg Schneider: Tod einer Ärztin. Roman.
Ammann Verlag, Zürich 2001.
259 Seiten, 18,40 EUR.
ISBN-10: 3250104272

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