Kegel, Kult und Koitus

Metzlers Spurensuche nach untergegangenen Frauenwelten der Antike

Von Sabine KlomfaßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sabine Klomfaß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Thomas Späth und Beate Wagner-Hasel, Herausgeber und Herausgeberin des Buches "Frauenwelten in der Antike - Geschlechterordnung und weibliche Lebenspraxis", haben sich keine leichte Aufgabe gestellt. Sie wollen aufzeigen, dass die Frau in den antiken römischen und griechischen Kulturen des Mittelmeerraums als Plural zu denken ist. Dieser Plural sollte die traditionell-abgegriffenen Geschlechteroppositionen, wie z. B. Frau-Natur und Mann-Kultur dekonstruieren. Ein Problem dabei ist es, dass fast die gesamte überlieferte griechisch-römische Literatur von Männern geschrieben worden ist. Als Erstes muss also die Perspektive des Autors abstrahiert werden, der (wie z.B. Ovid) bestimmte männliche Vorstellungen und Ansichten in seine Texte eingewebt hat. Wie weit kann überhaupt von Texten auf gelebte Realität geschlossen werden? Diese Frage sollte bei der Lektüre des Buches fortwährend beachtet werden, da sie vor allem durch die unterschiedlichen Zugangsweisen der Autoren und Autorinnen nicht pauschal beantwortet werden kann. So finden sich diskurstheoretische oder literaturgeschichtlich-philologische Ansätze neben ereignis- oder sozialgeschichtlichen Beiträgen. Demgemäß sollte dieses Buch ausdrücklich auch als "Arbeitsbuch" verstanden werden: Die einzelnen Aufsätze der 14 Autorinnen und vier Autoren sind mit umfangreichem und gut ausgewiesenem Quellenmaterial in Form von Abbildungen und zweisprachigen Texten verbunden, die zur eigenen Interpretation einladen.

So wäre es eine interessante Alternative, wenn die LateinschülerInnen ein Priapus-Gedicht zu übersetzen hätten: "Nec mihi sit crimen, quod mentula semper aperta est: / hoc mihi si telum desit, inermis ero." ("Nun denn, verübelt mir auch nicht mein groß zur Schau gestelltes Glied: ich wäre wehrlos, wenn man diese meine Waffe mir entzieht!") Das lässt auch heutzutage noch tief blicken. "Erotik und Sexualität" ist allerdings nur das letzte der sechs Kapitel, aber zumindest hier lässt sich sagen, dass die Frau für den Mann unverzichtbar zu sein scheint, während sie sonst durchweg eher darum zu kämpfen hat, vom Mann (in Bezug auf ihre Rechte und Fähigkeiten) überhaupt wahrgenommen zu werden. Das mag zum Teil daran liegen, dass hier ein Bereich angesprochen ist, zu dem Männer und Frauen gleichermaßen Zutritt hatten, während die Lebenswelten von Männern und Frauen streng voneinander getrennt zu denken sind. Diese Ansicht vertritt auch Beate Wagner-Hasel, wenn sie schreibt: "Will man das Verhältnis der Geschlechter auf einen Begriff bringen, so bietet sich anstelle der Vorstellung vom Patriarchat das Konzept der komplementären und getrennten Räume der Geschlechter an. [...] Diese Aufteilung entspricht keineswegs der modernen Unterscheidung zwischen einem privaten, häuslichen und einem öffentlichen, politischen Bereich." Dass wir heutzutage die Frauen der Antike als defizitär oder unterdrückt beschrieben finden, könnte dann in gewisser Hinsicht daran liegen, dass die europäische Geschichtsschreibung wiederum mit einem männlichen Blick weitgehend einseitiges Interesse an antiken Männerwelten entwickelt hat. Diesem Missstand begegnen Herausgeber und Herausgeberin mit einem Zitat Theodor Fontanes: "Ich sehe nicht ein, warum wir uns immer um die Männer oder gar um ihre Schlachten kümmern sollten; die Geschichte der Frauen ist meist viel interessanter."

Im ersten Kapitel wird die Funktion der Heirat in der Antike thematisiert. Der Mann ist zwar der eigentliche Machthaber innerhalb eines "Hauses" (der kleinsten sozial-ökonomischen Einheit der antiken Gesellschaft), aber die Frau stellt gewissermaßen ein "taktisches Pfand" dar: Sie hat Zugang zu zwei Familien, nämlich der ihres Vaters und der ihres Mannes, die sich so ein Stück weit verbinden und stabilisieren können. Daher wurden Ehen hauptsächlich aus ökonomischen Gründen geschlossen, im babylonischen Großreich (ca. 1800-1500 v. Chr.) übrigens dadurch, dass der Mann der Frau nach Zahlung der Brautgüter einfach einen Schleier über den Kopf warf. Ähnlich unproblematisch verlief eine Scheidung: Der Mann muss der Frau nur vor Zeugen ihren Kleidersaum abreißen, begleitet von den Worten: "Du bist nicht meine Ehefrau." Wenn allerdings die Frau die Scheidung wünschte, konnte sie das unter Umständen das Leben kosten, da es vorkam, dass sie in Erwartung eines "göttlichen Richtspruchs" gefesselt in einen Fluss gestoßen würde. Aber schon damals gab es auch Eheverträge (ausgehandelt zwischen Ehemann und Vater), in denen auch die potentielle Scheidung vereinbart wurde. In diesem Falle konnte die Frau ihren Mann mit Geld abfinden.

Im zweiten und dritten Kapitel geht es um die Kultpraktiken und den Anteil der Frauen an Wissen und Kunst in Griechenland und Rom. Pythagoras zum Beispiel soll in seiner Ethik von einer Frau namens Themistokleia oder Aristokleia maßgeblich beeinflusst worden sein. Versuchte eine Frau allerdings selbst (und nicht als Hetäre) in den Kreis der Philosophen aufgenommen zu werden, musste sie mit Widerstand rechnen. So erzählt Henriette Harich-Schwarzbauer von Eumetis, die ihr anerkanntes Wissen in Form von Rätseln weitergibt, vom Symposium in Plutarchs "Gastmahl der Sieben Weisen" jedoch ausgeschlossen war: "Im Reich der Philosophie hat die Philosophin keinen Platz", obwohl oder weil die Philosophinnen sich weitgehend mit anderen Themen (insbesondere innerhalb der Ethik) beschäftigten als der herrschende Wissensbetrieb.

Welchen Einfluss die Frauen auf Machtstrukturen und Politik hatten, wird im vierten Kapitel untersucht. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Frauen nur im Ausnahmefall in diesen Gebieten Bedeutung erlangt haben, wie zum Beispiel die römische Kaiserin Livia Augusta, die von ihrem Mann Augustus im Jahre 35 v. Chr. von der Geschlechtsvormundschaft befreit, und darüber hinaus von ihm durch Adoption zur eigenen Erbin gemacht wurde. Allerdings, wie Thomas Späth schreibt, ist das, was eigentlich für die römische Gesellschaft "Politik" bedeutet, eine öffentliche und rein männliche Angelegenheit, zu der Frauen keinen direkten Zugang hatten.

Im fünften Kapitel "Arbeitswelt und weibliche Geselligkeit" findet sich ein bemerkenswerter Aufsatz von Wolfgang Christian Schneider zur Kommunikationsfunktion der Frau im Hellenismus. Hauptsächlich in Bezugnahme auf den Dichter Herondas beschreibt er die Rolle einiger Frauen als Vermittlerinnen von Geschäften. Gegen eine Provision empfehlen diese Frauen bestimmte Warenhersteller ihren Freundinnen weiter. Dabei spielen ihre gesellschaftlichen Fähigkeiten eine entscheidende Rolle: Nur wenn die Vermittlerin zugleich auch vertrauenswerte "Freundin" ist, kann die Anbahnung des Geschäftes funktionieren. Ähnlich spielen sich Vermittlungen von Liebesbeziehungen ab. Eine so genannte "Kupplerin" muss innerhalb der Gesellschaft sowohl über Kontakte zu "liebesbereiten" Männern verfügen, als auch einen hinlänglich guten Ruf genießen, um Zugang zu den unverheirateten jungen Mädchen zu bekommen. Außerhalb der traditionellen Ehevereinbarungen zwischen Vater und potentiellem Ehemann fungiert sie so als Kontaktperson zwischen den eigentlich berührungslosen Männer- und Frauenwelten. Ungeachtet dessen, was letztendlich vermittelt wird, gewährleisten diese Frauen dem Autor zufolge zum einen "weite Bereiche des sozialen Austauschs" zwischen den Geschlechtern und zum anderen stellt ihre Tätigkeit ein "wesentliches Element der normentsprechenden geselligen Kommunikation und des gesellschaftlichen Handelns der Frauen untereinander" dar. Dabei lässt es sich Schneider nicht nehmen, in einer Fußnote auf die bis heute fortwährende Bedeutung des "sozial-kommunikativen Vertriebswegs" von Frauen z. B. in Form von "Tupperware-Parties" zu verweisen. Man sieht, antike Geschlechterforschung muss nicht "trocken" sein, sondern kann durchaus witzige Elemente enthalten.

Titelbild

Thomas Späth / Beate Wagner-Hasel: Frauenwelten in der Antike. Geschlechterordnung und weibliche Lebenspraxis.
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2000.
494 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-10: 3476016773

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