Das Musische als frühkindliche Zumutung

Michael Hofmanns Gedichtauswahl "Feineinstellungen"

Von Alexander MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexander Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vor sechs Jahren stellte der bekannte Lyriker und Essayist Durs Grünbein den englischen Dichter und Übersetzer Michael Hofmann vor, der in Freiburg geboren ist und den es schon in jungen Jahren nach London verschlug, wo er noch heute mit seiner Frau, der Schriftstellerin Lavinia Greenlaw, lebt. Von dort konnte kein Lockruf ihn zurückholen. Durch seine Verse teilt Hofmann ein bedrückendes Schicksal mit, das sich in einem prekären Verhältnis zum Vater, dem renommierten Romancier und Hörspielautor Gert Hofmann (1931 - 1993), fokussiert. Grünbein sieht in dessen "Erziehungsfehler", dem Musischen als "frühkindliche Zumutung", den Grund für Hofmanns Flucht bzw. dessen Akt der Notwehr, der sich gegen die eigenen Ursprünge und Ideale richtet. Das Ergebnis sind eindrückliche, kühl sezierende und doch niemals gefühllose Texte. Grünbein apostrophiert ihren unterschwelligen Zorn als so "konsonantisch, daß man glaubt, die Schalen von Krustentieren aneinander reiben zu hören."

Der zweisprachige Gedichtband "Feineinstellungen" enthält eine Auswahl aus drei Gedichtbänden: Die ersten beiden Abteilungen stammen aus "Acrimony" (1986), Abteilung III aus "Corona, Corona" (1993) und die letzten aus dem jüngsten Werk "Approximately Nowhere" (1999). In seiner Tätigkeit als Übersetzer hat Hofmann unter anderem Klassiker wie Brecht, Tucholsky und Kafka, aber auch zeitgenössische Autoren wie Herta Müller, Patrick Süßkind oder Joseph Roth einem englischsprachigen Publikum zugänglich gemacht. Seine eigenen Texte wurden von Marcel Beyer übersetzt, der vor allem mit seinem Roman "Flughunde" (1995) für Aufsehen sorgte.

Es ist dem Verlag zu danken, dass er eine zweisprachige Ausgabe publizierte. Denn wie es sich bei Lyrikübertragungen oft verhält, so ist es auch hier: Marcel Beyers Übersetzungen bieten eine gute Lesehilfe: Sie schwanken zwischen selbständiger, doch nie vom Original zu weit abweichender Dichtung und einer nah beim Text verharrenden Interpretation. Gewiss lässt sich nicht jede Nuance des Englischen ins Deutsche retten. Doch Beyer gelingt dies in der letzten Strophe des Gedichts "Ancient Evenings" beispielhaft, die mit den Zeilen anhebt, "My humour was gravity, so I sat us both in an armchair / and toppled over backwards". Die polysemantische "gravity" des Humors, die sich offenbar noch auf das Niedersetzen des lyrischen Ichs auswirkt, bleibt in dem einfachen Satz "Ich neigte zum Vorwitz" im Verb erhalten. Weniger gelungen ist es, wenn etwa die ausdrückliche Erwähnung eines Reggae-Stücks in "Open House" in Beyers Übertragung als "Dancehall-Killer" durchgeht, oder wenn gar die Schlusswendung von "Withdrawn from Circulation", die sich auf die selbstreferentiellen Nachrichtenbilder einer RAF-Entführung bezieht ("He was news that stayed news"), im Deutschen mit einer Anspielung auf eine überaus erfolgreiche Anzeigenkampagne der Frankfurter Allgemeinen Zeitung doch etwas befremdlich ausgelegt wird. Marginalien freilich, die dem Vergnügen an der Lektüre keinen Abbruch tun.

Hofmanns Lyrik selbst ist eine Lyrik der Zeugenschaft, eine Lyrik der Mitteilungen an einen Niemand, gleichwohl um Verständnis ringend. Das Sprachspiel begnügt sich bei ihm stets mit einer dem Inhaltlichen untergeordneten Rolle. Unter seinen Gedichten finden sich viele Reisebilder, Einzelbeobachtungen, Künstlerportraits (z. B. von Marvin Gaye und Max Beckmann), Reflexionen über das Schreiben, die Familie, und dies häufig eingebunden in einen geheimen oder offenbaren Dialog mit dem verstorbenen Vater, dessen ewig laufendes Radio in zahlreichen Texten zu vernehmen ist: "Why did God give me a voice", heißt es im titelgebenden Gedicht "Fine Adjustements", "if you always keep the radio on?" Es ist Ausdruck der fehlenden Kommunikation, einer gescheiterten Beziehung, deren Zuspitzung ein andermal mit der bitteren Frage eingeleitet wird, ob das alles sei, zwei, drei Wochen im Jahr dem Vater am Abendbrottisch gegenüberzusitzen. Eine Frage, die wiederum mit der Spekulation darüber beantwortet wird, zu welchem Ende dies alles führen könnte, denn alle Optionen umfassen eine Einschränkung: "Als wäre mein halbes Leben ungeschehen". Trotzdem gibt es Hoffnungsschimmer und Annäherungen zwischen Vater und Sohn, wenn das lyrische Ich beim Deutschlandbesuch stolz ein Exemplar der Novelle "Die Denunziation" (1979) erwirbt - neben "Der Kinoerzähler" (1990) sicher Gert Hofmanns bekanntestes Werk -, um einmal dem Vater etwas auszuzahlen auf die ersten zwanzig Lebensjahre. Dieses Spannungsverhältnis ist halb Nachruf, halb Anklage, bis der rationalistische Geist sich gegen den Autor selbst wendet. Und diese Ambivalenz durchdringt auch Hofmanns Schreibweise. Seine Gedichte sind niemals aufdringlich, obwohl sie bisweilen mit einem Schock beginnen; sie gehören nicht zum Zeitgeist, auch wenn sie ganz ihrer Zeit verhaftet sind. Vor allem kommen sie ohne kunstgewerblichen Zierrat aus, sind gleichwohl stets präzise formuliert, manchmal erzählerisch, nähern sie sich dem poème en prose. Die zahlreichen Enjambements verstärken nur die Neugier auf den nächsten Vers, und die Neugierde zu wecken, das ist sicher eine der Stärken von Hofmanns Lyrik. Selbst wenn der Blick schmerzhaft ist, bleibt die Sprache dabei distanziert und lakonisch.

Titelbild

Michael Hofmann: Feineinstellungen. Gedichte. Lyrik. Zweisprachig.
Übersetzt aus dem Englischen von Marcel Beyer.
DuMont Buchverlag, Köln 2001.
220 Seiten, 20,30 EUR.
ISBN-10: 3770147588

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