Ein Sommer mit der Fledermaus

Sarah Withrows Roman "Fledermaussommer" oder wie aus Außenseitern Freunde werden

Von Janine BachRSS-Newsfeed neuer Artikel von Janine Bach

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Zeiten haben sich geändert. Kinder- und Jugendbücher im Stil von "Hanni und Nanni" oder den "Kindern von Bullerbü", in denen Kinder im Mantel einer intakten Familie aufwachsen und sich ihr Abenteuer meist losgelöst von familiären Verhältnissen vollzieht, gehören der Vergangenheit an.

Die aktuelle Jugendliteratur bezieht ganz bewusst soziale Verhältnisse von heute in die Geschichten mit ein. Geschiedene Eltern, sozialer Abstieg, Arbeitslosigkeit und der Umstand, sich selbst überlassen zu sein, formen die Helden des Jugendromans am Anfang des 21. Jahrhunderts.

Terrence und Lucy sind die Helden des Erstlingswerkes "Fledermaussommer" der Amerikanerin Sarah Withrow. Der 12-jährige Terrence, aus dessen Perspektive die Geschichte erzählt wird, lebt ohne Vater und mit einer ständig abwesenden Mutter. Lucys Eltern leben zwar noch zusammen, können aber den Frust über Arbeitslosigkeit und sozialen Abstieg nur schwer bewältigen, so dass auch Lucy die meiste Zeit auf sich alleine gestellt ist. Auf den ersten Blick ist das sicher nichts Ungewöhnliches, ein Schicksal, wie es tausenden von Jugendlichen tagtäglich erfahrbar ist und trotzdem führt die elterliche Misere bei den Protagonisten zu erstaunlicher Andersartigkeit, frühzeitiger Reife und Wahrhaftigkeit.

Eigentlich versucht Terrence, seinen eigenen Mangel an Familienleben und Geborgenheit damit zu kompensieren, dass er am Leben seines besten Freundes Tom partizipiert, der seinerseits in intakten familiären Verhältnissen aufwächst, der bei den Schulfreunden beliebt und anerkannt ist und der in diesem Sommer ein Kanu-Camp besuchen darf. Nicht so Terrence: seine Mom kann sich so etwas nicht leisten und hört schon aus diesem Grund meistens nur mit halbem Ohr hin, wenn es um die Wünsche und Bedürfnisse ihres Sohnes geht. Ihm steht ein langweiliger Sommer bevor, immerzu beschäftigt mit der Frage: "Was sollte ich einen ganzen Monat lang ohne Tom anfangen?"

Doch dann lernt er auf dem im Sommer verlassenen Spielplatz Lucy kennen. Lucy, das Mädchen mit roten, störrisch vom Kopf abstehenden Haaren, Lucy, die stets einen Fledermausumhang zu tragen und ihr Gesicht mit grellen Textmarkern zu bemalen pflegt. Sie behauptet, eine Fledermaus zu sein und flüchtet sich so in ihre eigene kleine Phantasiewelt, in der die Gesetze der Fledermäuse gelten: in Lucys Augen haben die nachtaktiven Tiere ein feines Gespür für die Dinge, wozu man keine Augen braucht, sie gelten im Tierreich als Außenseiter und halten untereinander doch immer fest zusammen. Alles Attribute, die sie auch sich selbst zuschreibt. Zwischen den beiden 12-Jährigen entwickelt sich trotz des Unverständnisses anderer eine tiefe Freundschaft. Zusammen mit Lucy erfährt Terrence, dass man nicht cool zu sein braucht, um Spaß zu haben, akzeptiert zu sein, um sich zu verstehen - und dass das Steigenlassen von selbst gebastelten Drachen im Sonnenschein viel aufregender ist, als dem coolen Tom auf Schritt und Tritt hinterherzulaufen. Nicht länger hat Terrence das Gefühl, sich verstellen zu müssen, um cool und angesagt zu sein; er kann endlich ganz er selbst sein.

Manchmal fragt man sich in diesem Zusammenhang allerdings nach der Realität: würden 12-Jährige in ähnlicher sozialer Lage als Einzelgänger tatsächlich derartig aufgeschlossen reagieren und sich zu Freunden zusammenschließen, um so ihrem Außenseitertum zu entkommen? Wahrscheinlich nicht, spricht doch aus Withrows Geschichte immer wieder die amerikanische Mentalität des so genannten can-do-spirits. Wenn man nur wirklich will und die Sache selbst in die Hand nimmt, geht alles, ist alles möglich. Wirklich?

In dieser Geschichte vom Fledermaussommer gibt es in der Tat ein Happy End und es ist auch gar nicht Ziel des Buches, reale und oft traurige Schicksale junger Menschen darzustellen. Sprachlich wie inhaltlich spricht das Buch direkt Leser im Alter der Protagonisten an und bietet Anreize für Kinder, genauer hinzuschauen, wenn andere ausgegrenzt werden, und sich zu fragen, ob der beschimpfte Außenseiter wirklich so blöde ist.

Gleichwohl ist Sarah Withrows "Fledermaussommer" ein Buch, welches Jugendliche und Erwachsene begeistern kann, da es zeigt, wie zwischen zwei Außenseitern tiefe Freundschaft und Stärke erwächst.

Titelbild

Sarah Withrow: Fledermaussommer.
Übersetzt aus dem Englischen von Anna Melach.
Jungbrunnen Verlag, Wien 1999.
174 Seiten, 12,70 EUR.
ISBN-10: 3702657088

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