Verbrechen, die sich lohnen

Das Magazin "Tintenfass" gibt überforderten Intellektuellen Einblicke in die düsteren Machenschaften der Krimiautoren

Von Bettina AlbrechtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Bettina Albrecht

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Diogenes Verlag präsentiert sein einmal jährlich zur Frankfurter Buchmesse erscheinendes Magazin "Tintenfass" inzwischen zum 24. Mal. Die Pressestimmen sind sich in ihrem Urteil einig: Das "Tintenfass" sei "Fundgrube und zugleich Verführung, in den Büchern der vorgestellten alten und neuen Autoren weiterzulesen", ein "Mammut-Appetizer". Es ist sozusagen der Rettungsring in der Neuerscheinungsflut des Frankfurter Buchmessenherbstes.

Während die 23. Ausgabe des Magazins noch scheinbar heiter unter dem Motto "Macht Liebe krank?" stand, widmet sich die aktuelle Ausgabe dem Genre der Kriminalgeschichte und den unterschiedlichsten Arten von "Verbrechen, die sich lohnen". Lohnend ist dieses Tintenfass aber nicht nur für eingefleischte Krimifans. Es mag erstaunlich klingen, aber auch alle anderen Leser werden das Magazin nicht nach der dritten oder vierten Geschichte und damit dem dritten oder vierten Mord gelangweilt weglegen: Wer das Buch einmal aufschlägt, wird von ihm an den Lesesessel gefesselt werden.

Den Herausgebern ist es nämlich wieder einmal gelungen, eine außerordentlich abwechslungsreiche Mischung zusammenzustellen. Ernste, ernüchternde oder blutrünstige Beiträge werden geschickt mit unbeschwert-komischen oder informativen kombiniert. Wie etwa den Überlegungen Somerset W. Maughams zum "Niedergang und Verfall der Detektivgeschichte". Aufgelockert wird die Ausgabe nicht nur durch die geistreich-makaberen Zeichnungen von Tomi Ungerer. Die "faits-divers", Artikel aus der "Zeit" und der "Welt", stellen den Bezug zur Wirklichkeit her. Einer Wirklichkeit, die nebenbei gesagt nicht weniger unglaublich und erschreckend wirkt, als die unglaublichsten Einfälle der Schriftsteller.

Unter den ausgewählten Autoren findet sich die crème de la crème des Fachs, von modernen Klassikern wie Raymond Chandler, Jim Thompson, Cornell Woolrich oder Patricia Highsmith bis zu Jakob Arjouni, Ingrid Noll oder Donna Leon. Neben ihnen stehen vielversprechende Talente, die noch auf ihren Durchbruch hoffen.

Immer wieder wird der Leser von ihnen in einen neuen, spannenden Fall verwickelt. Einen Großteil der Beiträge machen allerdings kurze Romanauszüge aus. Obwohl die meisten davon in sich abgeschlossen sind, wecken sie im Leser die Neugier auf das "richtige" Ende der Romane und werden damit ihrer Aufgabe als Appetithäppchen gerecht.

Die Handlungsorte der Geschichten sind so verschiedenartig wie ihre Themen und Blickpunkte. Immer und überall scheint das Verbrechen zu lauern, ob in der Ukraine, der Schweiz, in Chile, Italien oder Griechenland. Zum Glück gibt es Kommissare wie Brunetti oder Maigret, die selbstverständlich auch in dieser Sammlung vertreten sind. Wer die bereits erschienenen acht Fälle von Brunetti bisher nicht gelesen hat, der wird Donna Leons sympathischen Commissario in diesem kurzen Ausschnitt aus seinem neunten Fall, der voraussichtlich im Juni 2001 erscheint, kennen und lieben lernen. Näher geht das Tintenfass auf Georges Simenons berühmten Kommissar Maigret ein: Die neuentdeckte Maigret-Geschichte wird durch Magdalen Nabbs fiktiven Brief und Nachruf auf Georges Simenon ergänzt. Außerdem erzählt Gabriel Garcìa Márquez von seiner Suche nach einer speziellen Maigret-Geschichte.

Wie Dorothy Sayers in der aufschlussreichen Zitatencollage "Meinungen und Reflexionen zur Kunst des Kriminalromans" zitiert wird, ist es "ein Glück für die Kriminalgeschichtenfans, dass man zwar nach dem, was man heute weiß, nur auf eine Art geboren, aber auf unendlich viele Arten umgebracht werden kann." Doch nicht nur diesem Umstand ist es zu verdanken, dass selbst in den vielen Beiträgen, in denen der Leser das Geschehen aus der Sicht des Verbrechers miterlebt, jedes Mal alles ganz anders ist. Nichts scheint sich zu wiederholen. Mal geht der Mörder fest von seiner Verhaftung aus, mal wähnen sich er und der Leser in absoluter Sicherheit.

Und dann wiederum gibt es weder einen Mord noch sonst irgendein als solches zu bezeichnendes Verbrechen, wie in dem außergewöhnlich friedlichen Beitrag von Ingrid Noll: Für gewöhnlich morden Nolls Heldinnen munter, bis alle unliebsamen Gefährten aus dem Weg geräumt sind. Eine Überraschung ist auch, dass Noll ausnahmsweise aus der Sicht eines Mannes schreibt, auch wenn ihr "Held" typischerweise der Schuft und Verlierer und das entscheidende Bisschen dümmer als seine weiblichen Gegenspielerinnen ist.

Selbst wer schon viele Krimis kennt, darf sich also auf einige Überraschungen und Entdeckungen gefasst machen. Alle anderen werden Blut lecken.

Titelbild

Daniel Kampa / Winfried Stephan (Hg.): Tintenfass. Das Magazin für den überforderten Intellektuellen Nr. 24. Verbrechen, die sich lohnen.
Diogenes Verlag, Zürich 2000.
272 Seiten, 5,10 EUR.
ISBN-10: 3257220243

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