Von der Nebenrolle des Begehrens

Evelyn Schlag erzählt von unsichtbaren Frauen

Von Christina KalkuhlRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christina Kalkuhl

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eigentlich hatte ich ganz andere Erzählungen erwartet. Werke, die in der Stadtbücherei unter dem Schlagwort 'Frauenliteratur' zu finden sind, sind tendenziell 'betroffen', eine Art Bekenntnisliteratur der Unterdrückung des Wesens der Frau, eine Literatur, die nahezu ausschließlich von der Geschlechtsspezifik und nicht einem Zusammenspiel von Aussage und Ästhetizität getragen wird. Und ich suchte, wie ich gestehen muß, nach geeigneten Zitaten für einen spöttischen Artikel über diese These.

Der Standort des Buches hat mich - zum Glück - getäuscht. Statt banales Material zu finden, habe ich wunderschöne Erzählungen über Frauen gelesen, die im Leben des geliebten Mannes nur eine Nebenrolle spielen - 'unsichtbar bleiben'.

Die Affäre der Anglistin Gundrun Koch mit dem erheblich älteren, verheirateten Professor Joachim Frank wird von den Partnern unterschiedlich erlebt: Ihm gefällt der Zustand der flüchtigen Begegnungen neben seinem durchaus erfüllten Eheleben. Gudrun hingegen erkennt die Farce ihrer Liebe, deren Sehnsüchte Joachim nie erfüllen wird. Die scheinbar alltägliche Geschichte erfährt ihre literarische Überhöhung durch den Verweis auf Marina Zwetjanas einseitige Liebe zu Rilke, namensgebend für die Erzählung ("Rilkes Lieblingsgedicht"). Joachim zitiert die unglückliche Dichterin - "'Du sollst leicht an mich denken/ Und sollst mich leicht vergessen.' - - Das ist wunderbar, sagte er." Gudrun erkennt die Parallelen zu ihrer eigenen Beziehung: "Sie traute ihm zu, sich mit einer solchen Zeile an ihr vorbeischmuggeln zu wollen, wenn es darauf ankäme."

In der zweiten Erzählung ("Alzesheimer") besuchen die Literaturwissenschaftler Hermann Widmer und Linda Görtz die heimliche Geliebte des fiktiven Dichters Hermann Richter, zu dessen 100. Geburtstag eine Biographie erscheinen soll. Sie hoffen, dabei Aufschluß über ein rätselhaftes Elchsgedicht zu bekommen, das, so stellt sich heraus, aus der Feder der Geliebten stammt: "Sie glauben doch nicht, Hermann wäre je auf den Satz 'verkreuzt mich ein Elch' gekommen?" Die Erzählung ist eine äußerst treffende Satire auf den biographischen Voyeurismus und die vorgebliche Akribie philologischen Wissenschaftsbetriebes, denn: "Widmer fürchtete, Else Bartsch könnte ihm ein paar Monate vor Fertigstellung seiner Standartbiographie noch alles durcheinanderbringen."

Mit Catharina Regina von Greiffenberg wendet sich die Autorin in der dritten Erzählung ("Die lustwandelnde Schäferin") einer historischen Figur zu. Sie schildert die Dichterin im Spannungsfeld zwischen drei Männern: ihr alternder Ehemann ist sich selbst mit seinen männlichen Idealen vom Krieger genug und teilt sein Leben eher mit seinen Pferden als mit seiner Frau. Der berühmte Dichter Sigmund von Birken, Catharinas "Innig-Freund", ist ihr seelenverwandt, bekennt sich trotz reger Brieffreundschaft jedoch nicht zu ihr. Und Wilhelm, der katholische Knecht der protestantischen Adelsfrau, der in Catharinas religiösen Dichtungen ihr unterdrücktes erotisches Begehren entdeckt, ist von seiner Herrin durch soziale Herkunft und Konfession unüberbrückbar von ihr getrennt.

Evelyn Schlag spricht besonders in der ersten und letzten Erzählung von weiblichem Begehren, das aufgrund der herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse unerfüllt bleibt, denn diese richten sich nach männlich bestimmten Strukturen. Dabei ist die Autorin weit entfernt davon, die Sexualität und Attraktion zwischen Mann und Frau wie etwa Elfriede Jelinek zu entmystifizieren oder wie Marlene Streeruwitz als frustrierend und lebensleer darzustellen. Trotz ihrer Kritik spinnt sie eine erotische Atmosphäre, der sich ihre Leser und Leserinnen nicht entziehen können. Gudruns erotisches Begehren wird durch nahezu indiskrete Nähe begreiflich gemacht, ohne daß die Erzählerin die Grenze zur Pornographie überschreitet: "Er hatte die Augen geschlossen. Sie lehnte ihren Kopf mit den hochgesteckten Haaren an den Rand der Wanne. Kein Laut außer dem Seufzen des Wassers, wenn einer von ihnen ein wenig rutschte. Er faßte nach ihrem Bein, hob es, verlagerte sich zwischen ihre Beine. Sie drückte mit den Fersen gegen einen Rippenkorb, er hielt ihre Wade. Seine Fußsohle suchte nach ihr, stemmte sich weich gegen ihre Scheide. Sie überließ sich ganz diesem Druck, diesem fremdartigen Gruß. Es war, als küßte seine Sohle sie."

Die körperlich erfüllte Sexualität täuscht jedoch nicht über die Leere hinweg, die für Gudrun mit jeder Trennung folgt. In den Schilderungen der körperlichen Liebe legt die Autorin bereits Brüche an, die auf Gudruns Erkenntnis verweisen: "Sie grub sanft nach ihm, spürte einen Puppenarm in ihrer Hand liegen, hielt ihn fest. Ihre Finger drückten unregelmäßige kleine Melodien, eine stumme Musik. In ihm horchte etwas auf. Etwas reckte sich (...) Wenn sie die Hand für einen Augenblick hob, stieß er nach. Schloß sie die Finger wieder um ihn, spürte sie, wie er Maß nahm an ihrer Hand. (...) Sie legte beide Hände um sein Drängen, sein Fragen, seine Bekräftigung. Er seufzte, zog Luft ein, atmete alle Vorschläge ein, die ihre Hände machten. (...) Ein sausender, jagender Schmerz trennte ihre rechte Hand plötzlich vom Unterarm ab. Sie öffnete und schloß sie ein paarmal. "Ein Krampf", sagte sie. "Schreck dich nicht." (...) Er bemerkte gar nichts, schien mit allen Sinnen zu schlafen außer dem einen, der ihrer linken Hand hörig war."

Lebt die Erotik dieser Erzählung von der geschilderten Nähe am sexuellen Akt, lebt die erotische Spannung zwischen Catharina und Wilhelm in der dritten Erzählung von der expliziten Nicht-Körperlichkeit. Wilhelms Blicke, Wilhelms ruhige, stetige Nähe und seine beunruhigenden Gedanken zu ihren Gedichten ziehen Catharina in seinen Bann: "'Ich hab so in Besitz dies Himmel-Herz genommen, / Ich will auch nicht daraus noch tot noch lebend kommen.' Ich habe mir, verzeihen Euer Gnaden, vorgestellt, das gelte einem Herz mit Namen! (...) 'Kann sich doch verstecken/ und zu ihrem Freund/ kriechen in die Hecken/ wo ihr manche Liebe Stunde/ Ihm zu küssen ist vergönnt! (...) und plötzlich denke ich:kriechen in die Hecken ... da muß sich jemand erinnern, wie die Dame zu ihm gekrochen ist, wie sie sich, verzeihen Euer Gnaden, bücken mußte und er die Zweige des Geißblatts für sie hochgehalten hat, und dabei ist eine Blüte auf ihrem Haar hängengeblieben, und die duften doch so gut nach Vanille, und dann hat die Dame so gut nach Vanille geduftet ... das fällt ihm alles ein, während er das liest ... das gehört doch dazu, dieser nicht hingeschriebene Vanilleduft!" Und die "nicht hingeschriebenen" Gedanken Wilhelms und Catharinas sind es, die das erotische Verhältnis der beiden tragen. Evelyn Schlag gestaltet hier Begehren durch Aussparung. Kunstvoll steigert sie die Spannung, indem sie Catharina fast das Unaussprechliche denken läßt: ""Wie er manchmal mit Worten umgeht ... als forme er sie und bestimme über ihre Bedeutung ... dann aber wäre er..." Sie straffte den Rücken."

Die Andeutung beherrscht die Autorin vollkommen, die Erzählung bricht ab, ehe sich die aufgebaute Spannung entlädt. Ungleich stärker zieht dieses erotische Verhältnis den Leser in seinen Bahn als dies die Körperlichkeit der ersten Erzählung vermag. Eine eigene Sprache für das weibliche Begehren zu finden, ist die Kunst Evelyn Schlags, ohne dabei den Blick für die realistischen Verhältnisse im Spiel der Geschlechter zu verlieren und ohne die Magie der Erotik dabei zu negieren.

Obwohl diese Reszension keine Neuerscheinung bespricht, die Erzählungen wurden 1995 publiziert, handelt es sich für mich doch um eine Neuentdeckung. In Marburgs zahlreichen Bibliotheken fand sich nur dieses Werk der Autorin und es bleibt zu wünschen, daß Evelyn Schlag von vielen weiteren Lesern und Leserinnen entdeckt und gewürdigt wird.

Titelbild

Evelyn Schlag: Unsichtbare Frauen. Drei Erzählungen.
Residenz Verlag, Salzburg 1995.
197 Seiten, 19,40 EUR.
ISBN-10: 3701709718

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