Von der Katastrophe im romantischen Niemandsland

Antonio Skármeta erzählt eine vergessene Geschichte

Von Monika MünchRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Münch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die malizianische Küste der letzten Jahrhundertwende, respektive die Insel Gema, war keine gute Adresse für nationale Wallungen: Hätte man den Bewohnern von Gema nicht irgendwann gesagt, dass sie zu Österreich gehören, sie wüssten es nicht. Für ihre Unabhängigkeit zu kämpfen haben sie lange schon aufgegeben - der Letzte, der es wagte, Josef Coppeta, bezahlte seine Anstrengungen noch in der Nacht der Verhandlungen mit dem Leben.

Zwanzig Jahre nach diesem missglückten Versuch planen die Bewohner Gemas ein spektakuläres Fest: Hieronymus Franck, reichster Mann der Insel und Besitzer des "Kaufhaus Europa", wird Alia Emar, die Schönste im Dorf, ehelichen. Die jedoch fühlt sich zur selben Zeit auf wundersame Weise hingezogen zu dem Träumer Stefano Coppeta - der blauäugige Poet hat so gar nichts geerbt von der kämpferischen Ader seines Vaters, der seinerzeit die Unabhängigkeit erwirken wollte.

Allein diese Konstellation legt ein klassisches Eifersuchtsdrama nahe, oder zumindest eine kitschige, unerfüllte Liebe. Doch so weit lässt Skármeta es nicht kommen, denn wir befinden uns zeitlich kurz vor Ausbruch des ersten Weltkrieges: an die Stelle einer Romanze tritt die tragische Kollision zweier Hemisphären, wenn die österreichische Flotte anrückt, um die jungen Männer der Insel zum Dienst fürs Vaterland zu rekrutieren.

Schließlich vermischt Skármeta im Epilog Autobiographisches und Fiktives, macht den Leser zweifeln, ob sein Werk mehr Legende oder mehr Familiengeschichte sein mag. Freilich: der Autor hat für seinen Roman Geschichten ausgegraben, wie sie die Alten noch erzählen mögen. Skármeta spielt also bisweilen mit den Erwartungen des Lesers, verwirrt ihn gar: für satte Zufriedenheit ist daher am Ende des Romans kein Raum.

Die "Hochzeit des Dichters" schildert den Alltag eines gelassenen Volkes, das sich am Rande des Weltgeschehens behauptet hat und vom Lauf der Zeit vergessen wurde. Das ist es, was Skármeta überzeugend beherrscht: liebevoll Geschichten erzählen, Bilder malen von Menschen, die außerhalb von jedem zeitlichen Zwang leben. Sensibel blickt er in die Seelen seiner Charaktere, schafft sie mit so viel Fingerspitzengefühl, dass sie sogar vor der eigentlichen Handlung dominieren. Darüber schwenkt sein Augenmerk jedoch immer wieder zu Wein, Weib und Gesang: den derben Vergnügungen des Insellebens. Die barsche Sprache, in der Skármeta solche Ausschweifungen vornimmt, passt durchaus nicht immer zu dessen poetischem Blick. Dieses Rauhe, Obszöne, wirkt selten authentisch und fügt sich nur mit Mühe in den Gesamtstil des Romans. Denn das Gros dieser Geschichte kommt, wie wohl alles, wofür die Insel Gema stehen soll, leise daher.

Die Wärme der Darstellung nimmt dem Erzählten den Schrecken: Skármeta berichtet zwar vom tragischen Schicksal eines kleinen Volkes, hält sich aber durchaus nicht mit tragischen Schilderungen auf. Er gebraucht diesen Hintergrund lediglich, um seine poetischen, oft naiven Figuren zu entfalten. Trotzdem ist dies alles nur der Rahmen für eine unerfüllte Liebe, die vielleicht noch tragischer ist als das Schicksal der Insel: Alia Emar und Stefano Coppeta haben nicht nur die Weltgeschichte gegen sich, sondern auch das engmaschige Netz gesellschaftlicher Unmöglichkeiten, an dem sie ohnehin gescheitert wären. Mit anderen Worten, für private Katastrophen braucht es keine Weltkriege.

Titelbild

Antonio Skármeta: Die Hochzeit des Dichters.
Übersetzt aus dem chilenischen Spanisch von Willi Zurbrüggen.
Piper Verlag, München 2000.
312 Seiten, 20,30 EUR.
ISBN-10: 3492042465

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