Von Hobbynutten, Trinkern und Begattern

Gedichte wider den Schein, vorgestellt von Thomas Münzer

Von Viola HardamRSS-Newsfeed neuer Artikel von Viola Hardam

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Literatur liefert nicht abstrakte Themen zu, sie erzählt Geschichten von lebendigen Menschen." Dieser Ausspruch von Werner Liersch könnte eine kurze Beschreibung von Thomas Münzers Gedichtband "Geklauter Käse schmeckt besser. Gedichte wider den Schein" sein. Denn Münzers gesamte Aufmerksamkeit gilt hierin den traurigen Außenseitern unserer Gesellschaft. Seine Figuren sind gescheiterte Existenzen, Versager, Ausgestoßene, Trinker, liebeshungrige, frustrierte Frauen - Erscheinungen unserer Tage, die keine Hoffnung mehr auf eine Lebensveränderung in der Zukunft haben.

"Natürlich / will ich aufhören / zu trinken / sagt er / Aber / er will auch aufhören / verheiratet zu sein / arbeiten zu gehen / dieses Haus / dieses verdammte Haus / abzubezahlen / Aufhören / mit all dem / wovon er nicht mehr weiß / warum er es tat / und immer noch tut / Und warum er trinkt / denken wir jetzt alle / zu wissen..."

Dort, wo man Familienidylle, Harmonie und Liebe vermutet, entdeckt Münzer Gefühlskälte und Heuchelei. Eine traurige Realität kommt hinter den Kulissen zum Vorschein - ein dahinsiechendes Dasein ohne Ziel und Zukunft.

"Unser Leben lang / versuchen wir / nicht zu werden / wie unsere väter / und doch / heiraten wir... / großstadt / - egal welche / nach hause - müde / glotze an / - doch nur zugezogen / sie ist geschafft / berufstätig mitunter / ungeheure gastlichkeit / doch freundschaft / freundschaft verträgt das / möchte man meinen / wie soll ich schlafen können... / alles so mechanisch / kontrolliert und nüchtern / wir drücken beide / beide augen zu / und schlafen / schlafen neben mutter ein..."

Gibt es ein Entrinnen? Oder gehören all jene unangenehmen Umstände zum Leben dazu? Hat unsere Gesellschaft Trinker, Drogensüchtige und "Hobbynutten" akzeptiert? Oder drückt sie selber "beide augen zu"?

"Kokst du wieder / du Arschloch? / Du bringst dich noch um / Du arbeitest nicht / säufst den ganzen Tag - Wodka / und kokst / du dealst nicht / - ich wüßte nicht wann / keine Sau würde je was von dir kaufen / und auf Pump gibt's nichts mehr / Wo du immer das Geld her hast? / Vor die Tür / gehst du nur / wenn du keinen Stoff mehr hast / du kaufst Wodka und Koks / Ich kaufe ein / für dich / du würdest sonst verhungern / Ich mache sauber / für dich / wische deine Kotze auf / verleugne dich am Telefon / - bin dein einziger Freund / Ohne mich / wärst du längst / vor die Hunde gegangen / Mal sehen, wie lange du es noch machst / Glaubst du / ich könnte keinen anderen haben / keinen Besseren als dich? / Jeder andere ist besser als du / jede Menge könnte ich haben / reichere, schönere, muskulösere... / ich hätte dich längst / verlassen sollen / Du bist ein Schwein / und du weißt das / Ich liebe dich nicht / und... / fick mich jetzt / und fick mich gut / ich warne dich!"

Es ist die Suche nach Liebe, Anerkennung und Geborgenheit, Dinge, die so simpel erscheinen und scheinbar doch so schwer zu bekommen sind. Es ist das Streben nach Glück im Wissen, der eigenen Hölle niemals entrinnen zu können. Die Resultate sind traurig, deprimierend, anekelnd.

Thomas Münzer, heute freischaffender Künstler in seiner Geburtsstadt Karlsruhe, eröffnet die Diskussion um heile Scheinwelt und traurige Realität. Entpuppt er sich womöglich als neuer "revolutionärer Kirchenapostel", der auf die Missstände unserer Gesellschaft aufmerksam machen will? 1524 hatte sich bereits sein Namensvetter gegen die schlechten Verhältnisse der Unterschicht aufgelehnt und eine provokante Diskussion mit Luther, der katholischen Kirche und den Landesfürsten angezettelt.

Provozierend-realistisch, anklagend, in den freien Rhythmen der Verse manchmal etwas holpernd, nimmt Münzer kein Blatt vor den Mund. Vielleicht ist es ja das Erbe seines Namens, das ihn diese Tabus thematisieren lässt, vielleicht aber auch nur die Stimme eines Künstlers, deren Studienobjekt die Menschen sind. Auf jeden Fall aber sind die Gedichte ein Spiegel von Teilen unserer Gesellschaft, die zum Selbststudium anregen.

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Thomas Münzer: Geklauter Käse schmeckt besser. Gedichte wider den Schein.
Frieling Verlag, Berlin 1999.
64 Seiten, 6,50 EUR.
ISBN-10: 3828009123

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