Unerwünschte Pflicht des Glücks

Eva Corinos lyrischer Widerstand gegen eine gefühllose Gesellschaft

Von Johanna BackesRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johanna Backes

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"hier kommt die Sonne / [...] / scheinen immer scheinen / [...] / das ist die Pflicht", die Eva Corino spürt und die sie zu ihrem Lyrikband "Keine Zeit für Tragödien" veranlasst hat. Schon zu Beginn des Lyrikbandes verdeutlicht die Autorin in ihrem Gedicht "Das A und O", dass sie sich gegen diese Pflicht des Glücks auflehnen möchte. Corino sieht in ihrem Leben Schmerz und Trauer ebenso existieren wie in dem Leben weniger privilegierter Menschen. Sie möchte frei sein von der Oberflächlichkeit eines Glücks, das den Mitgliedern einer Wohlstandsgesellschaft als Plicht gilt. Das Recht auf Gefühle, die tiefer gehen als ein freundliches Lächeln, scheint ihr verloren in einer Zeit, die oft nicht mehr die Muße findet, um den alltäglichen Schmerz und die alltägliche Tragödie zu erspüren.

Corinos Gedichte suchen in schlichten Sätzen den Weg zurück zu Gefühlen. Die fehlende Interpunktion symbolisiert die Unsicherheit der Geh- und Bestehversuche eines jungen Menschen in der Welt. In Verweisen auf Althergebrachtes aus Kunst, Kultur und Religion wird die lyrische und - so dürfen wir annehmen - tatsächliche Umwelt der Autorin in realistisch anklingenden Beschreibungen charakterisiert. Wir finden in ihren Gedichten unsere Welt - Berliner neben anderen Örtlichkeiten -, ebenso wie Erfahrungen des Erwachsenwerdens und Veränderungen im Alltagsleben wieder: "kein Brief mit der Hand / geschrieben leider / [...] / wehe aber ich öffne / das Fenster eine Datei / auf dem Monitor / mit amerikanischem du / dem Apriori von Microsoft".

Gesammelte Erfahrungen verändern den Ton in Corinos Gedichten. Die Sicht des noch nicht erwachsenen Menschen auf Umwelt und Mitmenschen wird in den ersten Teilen der Sammlung in leisen Tönen voller Farb- und Naturmetaphorik dargestellt. Durch die verschiedenen Teile des Lyrikbandes hindurch wandelt sich jedoch der Ton. Mit der größeren Erfahrenheit wird er spitzer, bis sich eine kühle Ironie erahnen lässt. Mit einfachen Worten wird hier ein Prozess der Verhärtung und Entfremdung nachgezeichnet, den der Mensch durch die Konfrontation mit den alltäglichen und banal wirkenden Verletzungen durchläuft. Am Ende hat er die beglückende Fähigkeit verloren, in Dingen und Ereignissen das Einzigartige und Unbezwingbare zu entdecken. Die Welt des Erwachsenen reduziert sich auf eine beschränkte Anzahl wiederkehrender "Exemplare". Mit diesem Wertverlust sieht Corino die Fähigkeit schwinden, Schmerzen zu fühlen und Tragödien zu begreifen. Dagegen: "wie glücklich ist mir / das Unglück zugefallen / da ich ein Kind war".

Am Ende des Bandes hält die Autorin fest: Nicht die Tragödien fehlen unserer Zeit, sondern unser Verständnis für den eigenen Schmerz. Aber die Verletzungen, die hinter, vor allem aber vor uns liegen, lassen sich nicht ausgrenzen: "wie brechen die Narben / der Wege auf / die ich noch gehen muss". Mit diesem Resümee hat eine junge Autorin lesenswerte Worte für das Leben gefunden, das mehr zu bieten hat, als die gerade populäre Spaßgeneration ihm zugestehen mag.

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Eva Corino: Keine Zeit für Tragödien. Gedichte.
Berlin Verlag, Berlin 2001.
144 Seiten, 10,10 EUR.
ISBN-10: 382700389X

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