bin ja mein eigner vogel mimikry

Unentschiedene Gedichte von Norbert Hummelt

Von Judith SchneibergRSS-Newsfeed neuer Artikel von Judith Schneiberg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn Gedichte etwas Schwebendes haben, ist das meist kein Nachteil. Wenn das Schwebende sich aber der Unentschlossenheit verdankt, wird es problematisch. Norbert Hummelts Gedichte hinterlassen vor allem dies: den Eindruck der Unsicherheit, des noch nicht Entschiedenen, und das auf allen Ebenen - in der Sprache, in der Form, in der Thematik und, soweit das erkennbar ist, in der Poetologie.

So geht es Hummelt zwar um Authentizität der Erfahrung, um die Melancholie des erlebten Augenblicks, um die Bewahrung von Erinnerung, aber er hat - von einigen nennenswerten Ausnahmen abgesehen - immer nur (fertige) Bilder, von denen er Bilder macht. Zwangsläufig führt das in den meisten Gedichten dazu, dass sein lyrisches Ich ziemlich porös und gleichzeitig verständnislos gegenüber der Wirklichkeit erscheint, und deshalb muss es viele Worte verlieren und kann nur wenige finden.

Hummelt, Jahrgang '62, hat sich "von so unterschiedlichen Dichtern wie Eichendorff, Gottfried Benn und Ernst Jandl anregen lassen", lässt uns der Verlag wissen. Und er "nimmt sich" die Freiheit, auf Tradition zurückzugreifen oder mit "den gewohnten Formen zu brechen", wenn es seinen Gedichten nützt. Das überzeugt nicht, denn was Hummelts Bildhaftigkeit nicht schafft, leistet auch die Sprache nicht. Seine Interpunktion, seine hastigen Zeilensprünge sind organischer Bestandteil seiner Lyrik, aber "und" als "u." abzukürzen ist bloße Marotte und hat noch nicht einmal den Vorzug, den Textfluss hektischer zu machen. Wo Hummelt Sprache selbst vorführt (in einer Reihe von Stücken, deren Zitatcharakter durch Anführungszeichen schon in den Überschriften deutlich wird), kommen bezeichnenderweise keine Bilder zustande; die vermittelnde Instanz des Lyrikers fällt einfach aus, ohne dass dadurch Erkenntniswert gewonnen wäre. Eichendorff und Jandl sind eine brisante Mischung, die man nicht ungestraft in dasselbe Gedicht sperrt.

Von Gottfried Benn, dessen "Probleme der Lyrik" auch nach fünfzig Jahren noch manche Fehler vermeiden helfen können, hätte Norbert Hummelt lernen sollen, dass Ausdruckswillen oft genug ins "nichtswürdige Vorwölben privater Reizzustände" führt, dass Gedichte aus Sprache gemacht werden und die Beschwörung von Idyllen noch lange nichts Idyllisches ist. Benns Anweisungen bleiben von Hummelt ungehört. Seine Bildhaftigkeit ist vollgesogen mit Naturklischees, seine Sprache ist in Konstruktion und Wortwahl bewusst gehoben und in der Formgebung archaisierend, was manchmal zu grammatikalischen Reibungen führt ("mein herz... kannte / keinen mangel als den zu / stillen noch allein kakao vermag" oder die "tütensuppen / die schon vom datum längst hinüber warn"). Umgangssprachliche Einschübe ("weil jenes meerschwein... hört nur die schließgeräusche...") erzeugen kein Spannungsfeld, sondern eher Irritation.

Lautes Lesen enthüllt auch die Schwäche des wahrscheinlich gelungensten Stücks in dieser Sammlung von Gedichten, die in der Mehrzahl während der letzten drei Jahre entstanden sind. Das längere Gedicht "früchte. Verserzählung" zeigt schon im Titel, dass sein Autor umfangreicheren Texten (in diesem Fall 15 Druckseiten) das Etikett »Lyrik« nicht ohne weiteres zutraut. In der Tat verzagt Norbert Hummelt hier manchmal am Strophen- oder Abschnittsende an der Formkraft seiner Sprache und mindert den geschlossenen Eindruck einer Nacharbeitung der Kindheit und der Suche nach dem Vater. Diesem früh verstorbenen Vater ist der ganze Band gewidmet. Und im langen abschließenden Gedicht sind Elternhaus, Ernährungsgewohnheiten, Details aus dem Leben mit den Eltern wie gemeinsamer Urlaub, einsames Radiohören, Bedürfnisse des pubertierenden Jugendlichen und der Wunsch nach der durch den Tod verwehrten Aussprache des selbständig werdenden Sohnes mit dem Vater in konkreten und poetisch überzeugenden Bildern eingefangen und spürbar gemacht.

Diesem Abschlussgedicht verdankt sich der Eindruck, dass Hummelt eine Bewahrung und Weitergabe der Erinnerung anstrebt, keine Sprachartistik aus Selbstzweck, dass es ihm um biographische Authentizität und deren Mitteilbarkeit geht, nicht um modische Selbstdarstellung im lyrischen Betrieb. Mit solchem Anliegen, wenn es denn richtig erkannt ist, sollte er sich von zeitgenössischen Zwängen und schief verstandenen Vorbildern lösen und dem "ernsten vogel gesanglos", den er von Hölderlin herbeizitiert, seine eigene Stimme verleihen.

Titelbild

Norbert Hummelt: zeichen im schnee. gedichte.
Luchterhand Literaturverlag, München 2001.
104 Seiten, 9,50 EUR.
ISBN-10: 3630620051

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