Frankensteins Mutter

Karin Priester über Mary Shelley

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer kennt nicht Frankenstein, das aus Leichenteilen zusammengestückelte Monster? Aber wer kennt auch seinen Schöpfer? So manchem dürfte er unbekannt sein. Doch auch wer das Monster Frankenstein zu kennen glaubt, irrt. Denn Frankenstein ist der Name des Wissenschaftlers, der das - selbst namenlose - Ungeheuer geschaffen hat. Ihrer beider Erfinderin und somit die eigentliche Schöpferin von Frankensteins Monster war eine kaum dem Mädchenalter entwachsene junge Frau, die seinerzeit gerade einmal 19 Jahre alte Mary Shelley. Sie zumindest in Deutschland etwas bekannter zu machen, dazu könnte die ihr gewidmete Biographie "Die Frau, die Frankenstein erfand" von Karin Priester beitragen.

Als Autorin des "Frankenstein" war Mary Shelley nicht nur selbst eine bekannte Persönlichkeit ihrer Zeit, sondern besaß in Mary Wollstonecraft, einer prominenten Feministin der ersten Stunde, und William Godwin, einem anarchistischen Philosophen, ebenso berühmte wie für das angehende 19. Jahrhundert Englands anrüchige Eltern. Als nicht weniger anstößig wurde ihr Gatte Percy Bysshe Shelley in gewissen Kreisen angesehen, ganz zu schweigen von dem geradezu berüchtigten Lord Byron, der zu ihren engsten Bekannten zählte. Mary Shelley war also von einem illustren Personenkreis umgeben (ihre Mutter starb allerdings wenige Tage nach ihrer Geburt im Wochenbett), und ihre Biographin lässt keinen Zweifel daran, wie sie ihre Sympathien und Antipathien verteilt. Letztere gelten vor allem William Godwin, dem sie "Dreistigkeit, Intrigantentum und Heuchelei" bei gleichzeitigen "hohen moralphilosophischen Ansprüchen" bescheinigt, sowie dem "titanischen Übermenschen" Lord Byron. Sympathien hingegen kommen ihrer Protagonistin und deren Gatten zu, wobei sie beider Fehler und Schwächen allerdings nicht übersieht, sondern sie ganz im Gegenteil mit gelegentlich ermüdender Redundanz wiederholt. Dass Percy Bysshe Shelley zwar großzügig aber konfliktscheu war, mag man nach dem dritten Mal ebenso wenig noch ein viertes Mal lesen, wie man auch nicht immer wieder darauf hingewiesen werden möchte, dass Godwin ein kleingeistiger Familienpatriarch gewesen ist.

Befremdlich wirkt, dass die Autorin sämtliche Frauen von nicht gerade gänzlich beiläufiger Bedeutung beim Vornamen zu nennen pflegt: Mary (Shelley) und Mary (Wollstonecraft) ebenso wie M. Shelleys Stiefschwester Claire (Clairmont) und P. B. Shelleys erste Frau Harriet. Die Männer hingegen werden mit dem Familiennamen und gegebenenfalls dem Titel angesprochen: Godwin, P. B. Shelley, Lord Byron. Obwohl Barbara Hahn bereits vor zehn Jahren darauf aufmerksam gemacht hat, dass mit diesem Usus den Frauen gegenüber eine "familiale Intimität" suggeriert wird, von der die Männer verschont bleiben, scheint Priester kein Gespür für die implizite Herabsetzung des weiblichen Geschlechtes zu besitzen. Etwas ärgerlich und der beschriebenen Zeit unangemessen ist zudem ihr oftmals allzu legerer Stil: etwa wenn sie eine verlassene Frau als "abgehalfterte Freundin" bezeichnet, Byron "mit einem ausgewachsenen Tripper im Gepäck" anreisen lässt oder P. B. Shelley als "immer ein wenig vergammelt aussehenden Jungen" charakterisiert. Letzteres passt auch nicht ganz zu der bereits eine Seite weiter zu lesenden Beschreibung P. B. Shelleys als "elegant, wenn auch mit der nötigen aristokratischen Nachlässigkeit". Und was eine "ausgebuffte Jungmädchenphantasie" ist, weiß vermutlich nur die Autorin. Kurz, dem Buch hätte ein aufmerksameres Lektorat gut getan. Dann wären wohl auch einem Schauerroman vielleicht angemessene, hier jedoch unfreiwillig komisch wirkende Stellen zu vermeiden gewesen, wie etwa diejenige, in der die Autorin sich selbst und den Lesenden das baldige Ableben in Aussicht stellt: "Wir werden Harriet bald wiederbegegnen - als Tote."

Priester beschreibt Mary Shelley als "moderne Gestalt", "die mit heutigen Lesern, eher noch Leserinnen, mehr gemein hat als mit ihren Zeitgenossinnen". Als alleinerziehende Mutter und Schriftstellerin sei sie "radikal auf sich gestellt" gewesen, ohne dass sie auf "metaphysische Sicherheiten früherer Zeiten", "familiäre Bande" oder die "Schutzräume von Tradition und Herkommen" hätte zurückgreifen können. Als "Ehefrau und mehrfache Mutter", die einerseits in einem "künstlerischen Ambiente" lebte, "das sexuelle Freizügigkeit, Libertinage und Dreiecksbeziehungen toleriert", andererseits aber in einer Gesellschaft, die diese unbürgerlichen Lebensformen "ächtet und verfemt", sei sie einem kaum zu bewältigenden Rollenkonflikt ausgesetzt gewesen, der sie ungewollt zur "mehrfachen Außenseiterin" gemacht habe. Dabei sei sie "keine Kämpfernatur" gewesen, "keine Frau, die um ihre Selbständigkeit und Emanzipation" gerungen habe. All das versteht Priester überzeugend darzustellen und zu belegen. Doch in einer Frage zeigt sie wenig Einfühlungsvermögen für ihre Protagonistin: Sie pathologisiert sie immer wieder als paranoid und an "depressivem Verfolgungswahn" leidend. Als Beleg hierfür zieht sie unter anderem heran, dass Mary Shelley fürchtete, der Gigolo Gatteschi, in den sie sich in ihren letzten Jahren verliebt hatte und der sie bald mit ihren Liebesbriefen erpresste, könne ihr nach dem Leben trachten. Das ist als Beleg für eine paranoide Erkrankung wenig überzeugend. Doch Priester wundert sich über die "Maßlosigkeit", mit der Mary Shelley "die Dinge verzerrt", und spricht von der "Beharrlichkeit ihrer Paranoia". Angesichts der "depressiven Lebensschwäche", die sie Mary Shelley attestiert, fragt man sich, wie es ihr gelingen konnte, all die Widrigkeiten ihres von familiären Problemen sowie finanziellen Nöten geprägten und dem Tode mehrerer Kinder und ihres Gatten überschatteten Lebens zu meistern.

Der zeitliche Schwerpunkt der Biographie liegt jedoch weit vor ihrer Bekanntschaft mit Gatteschi, in den acht Jahren von 1816 bis 1822, der Zeit, die Mary Shelley gemeinsam mit ihrem Mann verbrachte und an deren Anfang der Sommer am Genfer See stand, an dessen Ufern die Wette geschlossen wurde, der "Frankenstein" zu verdanken ist, und die nach sechs Jahren nomadischen Lebens in England, der Schweiz, in Deutschland und zuletzt in Italien mit P. B. Shelleys tödlichem Segelunfall endete. "Shelley war nicht der Mann für dauerhafte Zweierbeziehungen", konstatiert Priester lapidar und Mary Shelley hatte entsprechend darunter zu leiden. Doch nach seinem Tode konstruiert Mary Shelley nicht nur "einen Heiligenschein", sondern übernahm auch sogleich "die Rolle als Nachlassverwalterin" seiner Werke. Nach einer ersten Veröffentlichung untersagte Shelleys Vater jedoch jegliche weiteren Publikationen der Werke des 'missratenen' Sohnes ebenso wie etwaige Biographien über ihn. Als Druckmittel setzte er die finanziellen Zuwendungen ein, die er seinem Enkel Percy Florence zukommen ließ. Diese waren zwar denkbar gering, doch war Mary Shelley auf sie angewiesen. Erst im Jahre 1839 wurde das Verbot aufgehoben. Zwölf Jahre später, 1851, erlag Mary Shelley nach längerem Leiden im Alter von 54 Jahren einem Hirntumor.

Priester beschränkt sich erfreulicherweise nicht auf die Beschreibung von Shelleys Lebensumständen, sondern unterzieht neben "Frankenstein" auch eine Reihe weiterer Romane der Autorin einer näheren Lektüre. Darunter neben der historischen Erzählung "Valperga" insbesondere den im 21. Jahrhundert handelnden Roman "The last Man". Ein, wie Priester schreibt, "apokalyptisches Buch", an dessen Horizont jedoch "kein neues Reich Gottes" auftauche, "keine erlöste Menschheit und kein goldenes Zeitalter der Versöhnung aller Widersprüche".

Titelbild

Karin Priester: Mary Shelley. Die Frau, die Frankenstein erfand. Biographie.
Herbig Verlag, München 2001.
368 Seiten, 20,40 EUR.
ISBN-10: 3784428169

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