Über die Leerstelle im Leben

Michael Ebmeyers Erzählungen "Henry Silber geht zu Ende"

Von Frank HerlitschkaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Herlitschka

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ich komme nicht umhin, ich muss diese Erzählungen von Michael Ebmeyer tiefsinnig nennen: schön tiefsinnig. Tiefsinnig ist so ein deutsches Wort, bei dem man zusammenzuckt, weil man das Schlimmste befürchten muss: langweilige Gedankenschwere, die einen erdrückt und die Luft zum Atmen nimmt; schwerfällige Gedankengänge, die im Labyrinth der Innerlichkeit sich verlaufen und nie ankommen (zumindest nicht beim Leser). Das ist nicht der Tiefsinn, den ich meine. Das ist nicht der Tiefsinn Ebmeyers. Der ist ganz anders. Vielleicht spielerisch. Vielleicht ironisch. Jedenfalls nicht witzig, wie der Verlag behauptet, der diese vierzehn Erzählungen - die erste Buchveröffentlichung des Autors - herausgebracht hat. Humor, ja vielleicht ist es Humor, dieses augenzwinkernde Wissen um die Tragödie, die das Leben ist, vielleicht ist es genau das, was die Kurzprosa Ebmeyers so ungeheuer gut lesbar macht. Dieser Autor hat Stil. Und darauf kommt es schließlich an.

Für all diejenigen, die noch etwas mehr wissen wollen: Die Erzählungen handeln ausschließlich von den Schattenseiten des Lebens, von Einsamkeit, von Hilflosigkeit, von Furcht. Es geht um die Leerstelle des Lebens, um das, worüber sich niemand zu reden traut, weil es so schwer fällt. Immer ringen die Protagonisten um etwas: sei es um die Kontrolle des toll geworden Alltags, sei es um ihr Selbstwertgefühl, sei es um ihren Idealismus. Doch soviel erinnerungswürdiges Vergnügen auch die einzelnen Erzählungen bereiten, am Ende ist es ganz entschieden der Gesamteindruck dieses literarischen Mosaiks, der einem nicht mehr aus dem Kopf geht. Es sind zwar vierzehn Erzählungen, aber nur eine Geschichte.

Das bereits zeigt die Reife dieses Autors, der - man will es fast nicht glauben - erst 1973 geboren ist. Ebmeyer leistet sich bereits jetzt etwas, was man heutzutage eigentlich nicht am Beginn einer Schriftstellerkarriere erwarten würde: leise, zurückhaltende Töne. Die Sprache Ebmeyers ist unspektakulär, aber nicht einspurig; klar, aber nicht oberflächlich; manchmal ein unerwartetes Bild, ein überraschender Vergleich. Diese Erzählungen haben so gar nichts marktschreierisches an sich, heben sich so angenehm ab von der aufgeplusterten Zeitgeist-Literatur dieser Generation, so dass man dem Buch schon allein deswegen viele Leser wünscht. "Henry Silber geht zu Ende" ist der Titel. Ein guter Anfang.

Titelbild

Michael Ebmeyer: Henry Silber geht zu Ende. Erzählungen.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001.
199 Seiten, 9,20 EUR.
ISBN-10: 3462029959

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