Intelligenter Grenzgänger

Tom Wolfes Sammlung "Hooking up"

Von Frank HerlitschkaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Herlitschka

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Revolution! Entweder verschwindet der amerikanische Roman ungelesen in der Versenkung oder er rafft sich zu neuer Vitalität auf und beginnt seinen Siegeszug selbst noch gegen den Film. Tom Wolfe weiß, was er seiner Leserschaft (und nicht zuletzt sich selbst) schuldig ist: nicht die Politik der kleinen Schritte, nicht zaghaftes, vorsichtiges Argumentieren ist es, sondern der große Wurf, die gewagte These. Also Revolution, Revolution des amerikanischen Romans zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Ist das Hybris? Ist der Mann größenwahnsinnig? Oder handelt es sich hierbei vielmehr um eine intelligente Provokation eines Schriftstellers, der mit nur zwei Romanen ("Fegefeuer der Eitelkeiten" und "Ein ganzer Kerl") weltberühmt wurde und trotzdem keine Anerkennung von ebenso berühmten Schriftstellern als Romanautor erfährt? Updike, Irving und Mailer - Wolfe nennt sie seine drei Stichwortgeber - formulierten unabhängig voneinander ihre Einwände gegen Wolfes letzten Roman "Ein ganzer Kerl": "Unterhaltungsliteratur" (Updike), "Mega-Bestseller" und "Journalismus" (Mailer), "Er ist kein Schriftsteller" (Irving). Und Tom Wolfe - obwohl er sich viel Mühe gibt, es sich nicht anmerken zu lassen - reagiert gekränkt mit einer Polemik auf diese drei Autoren, um schließlich den neuen Roman des gerade angebrochenen Jahrhunderts auszurufen, einen Romantyp, den eine überwältigende Leserschaft bereits mit "Ein ganzer Kerl" vorgestellt bekommen hat.

Was aber macht diesen neuen Romantyp aus? Das Vorbild ist die Kunst Zolas, die naturalistische Tradition des Romans. Propagiert wird ein etwas bodenständiger Realismus, der auf ausgiebiger Recherche beruht, die soziale Realität der Umwelt berücksichtigt und dem Journalismus nicht ganz fern liegt - ein "Dokumentarroman". Dieser ist all das nicht, woran andere Romane kränkeln. Denn der "Dokumentarroman" ist nicht weltfremd, nicht lebenslos, nicht affektiert; stattdessen ist er mitten aus dem Leben gegriffen. Wem diese Diskussion nicht ganz fremd ist, liegt damit nicht falsch. Seit Jahrzehnten schwappt sie immer mal wieder über die Buch- und Zeitungsseiten. Und das ist gut so. Wenn Schriftsteller um die besseren Konzepte ringen, kann der Leser am Ende nur gewinnen. Und erst recht, wenn jemand wie Tom Wolfe sich an dieser Auseinandersetzung beteiligt. Es ist ein Vergnügen, Wolfes spitze Feder über das Papier schrappen zu hören.

Dabei bietet "Hooking up" auch sonst noch viel Lesevergnügen. Die Essays und kleineren Artikel sind tatsächlich Schmuckstücke der Kunst des Schreibens (und also des Denkens). Wolfe geht nicht in die Tiefe, aber er kratzt an der Oberfläche. "Hooking up", das Essay, dem das Buch seinen Titel verdankt, ist ein leichtfüßiger Spaziergang, eine Bestandsaufnahme am Ende des 20. Jahrhunderts. Es gibt wohl wenige Schriftsteller, die den Bogen vom sich verabschiedenden Proletariat über die Sexualpraktiken der Jugend bis hin zu den veränderten Kategorien in der Philosophie so bestechend elegant zu zeichnen in der Lage sind wie Wolfe. Dabei ist Eleganz kein Widerspruch zur Intelligenz. Das Essay ist also nicht nur lesens- sondern auch nachdenkenswert. Denn wirklich: die Veränderungen der letzten Jahrzehnte sind auf so gut wie allen Ebenen des menschlichen Lebens Umwälzungen im großen Stil. Da bedarf es schon einer großen Könnerschaft, um sich am Gegenstand nicht zu verheben.

Aber auch Fiktion hat die Sammlung zu bieten. Fast ganz zum Schluss bekommt der Leser eine Kostprobe Wolfe'scher Prosakunst. Die Novelle "Hinterhalt in Fort Bragg" ist eine Reise in die Welt des Fernsehens und ihrer Macher. Das ist Spannung pur. Aber darin erschöpft es sich nicht. Wer sich zuvor noch der Illusion hingegeben hat, das Fernsehen könnte mit seinen Magazinen und Nachrichtensendungen tatsächlich zur Aufklärung beitragen, wird es sich nach Lektüre dieser Novelle endgültig abschminken und keinen Pfifferling mehr auf diesen hohlen Gestus geben. Wolfe zeigt, dass es um wenig mehr geht als um persönlichen Egoismus, Sex und Macht - schließlich um nichts anderes als um die Quote, die gelungene Inszenierung. Allein schon dieser Novelle wegen lohnt sich der Kauf des Buches. Wer will, mag Wolfes Revolutions-Getöse an seiner Prosa-Kunst überprüfen. Auch wenn man nicht mit allen übereinstimmen wird - Enttäuschung ist nicht zu befürchten. Dafür ist Wolfe zu intelligent.

Titelbild

Tom Wolfe: Hooking Up. Neuigkeiten aus dem Weltdorf.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Benjamin Schwarz.
Blessing Verlag, München 2001.
352 Seiten, 22,50 EUR.
ISBN-10: 3896671596

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