"Hochzuehrender Professor"

Robert Vellusig über schriftliche Gespräche und Briefkultur im 18. Jahrhundert

Von Hille KückRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hille Kück

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die schriftlichen Gespräche im 18. Jahrhundert sind geprägt von der gesellschaftlichen Entwicklung, veraltete Formvorschriften werden verworfen, der private Briefwechsel wird entdeckt und zunehmend kultiviert. "Das Zeitalter des Briefes", wie man es auch nennt, wird in diesem Buch ausführlich behandelt. Die schriftliche und private Konversation wird, anhand der Briefe von Gellert, Goethe und Lessing, auf strukturelle und funktionale Aspekte untersucht.

Der Autor Robert Vellusig studierte Germanistik und Romanistik und arbeitet derzeit als Vertragsassistent am Institut für Germanistik der Universität Graz. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Literatur- und Medientheorie, von Buchdruck und Aufklärung sowie der Theorie und Geschichte des Erzählens. Vellusig beschreibt ausgehend vom Buchdruck und der Aufklärung umfassend und detailliert die Schriftkultur des 18. Jahrhunderts. Er geht dabei nicht nur auf die Kultur der Schrift und des Briefes ein, sondern auch auf die Logik der Rede.

Der Leser bekommt einen Einblick in die Mediengeschichte der Briefoptik und Rhetorik. In Bezug auf die Rhetorik werden Stilvorschriften, Formeln und Dispositionstechniken näher erläutert. Insbesondere werden hier die Formen der Anrede und des Grußes dargestellt, bezüglich der Sender-Empfänger-Relation wird von der Hierarchie der Stile gesprochen. So empfahl sich beispielsweise der "stilus humilis" für die Bekannten und Verwandten, die mittlere Stillage für Gelehrte sowie Staats- und Hofleute, die "hocherhabene/vornehme Schreibart" für Hochgelehrte, Fürsten und Herren.

Über die Betrachtung von Umgangssprache und Schriftsprache und deren Eigenschaften leitet der Autor über zum Freundschaftsbrief. An diesem Briefgenre als Medium von Intimität untersucht er die schriftlichen Formen des geselligen Betragens. Der private Briefwechsel entwickelte sich zu einer eigenständigen Form, die Abstand nahm von rhetorischen Vorschriften und den Konventionen der Schreibpläne.

Weitere Kapitel behandeln die Brieflehre Gellerts sowie den Briefstil Lessings und Goethes. Anhand von Briefwechseln wird der Eigensinn des Schreibens sowie die Verschriftlichung der inneren Sprache verdeutlicht. Eine maßgebliche Formulierung hat die Theorie des Briefes in den Schriften von Christian Fürchtegott Gellert gefunden: Die Kritik an den traditionellen Briefstellern richtete sich gegen umständliche Briefmuster und sinnreiche Scherze. Der "Stylus curiae" - die Ordnung des Briefes - wird verworfen. Im Wesentlichen geht es Gellert darum, die Eigenlogik des privaten Briefwechsels zur Geltung zu bringen.

Im Gegensatz dazu behauptet Goethe: "Schreibe nur wie du reden würdest, und so wirst du einen guten Brief schreiben". In Goethes Briefen geht es um den Eigensinn des Schreibens und seine spielerischen Erkundungen.

Die Briefkultur des 18. Jahrhunderts wird durch die Auflösung der ständischen Gesellschaftsordnung geprägt. Die neuen bürgerlichen Schichten emanzipierten sich und schufen Stilideale der Natürlichkeit und Leichtigkeit. Und auch die Poesie des Briefes spielt eine wesentliche Rolle. Denn die "Poesie ist die Muttersprache des menschlichen Geschlechts" und gehört zu den zentralen Entdeckungen des 18. Jahrhunderts.

Titelbild

Robert Vellusig: Schriftliche Gespräche. Briefkultur im 18. Jahrhundert.
Böhlau Verlag, Wien / Köln / Weimar 2000.
179 Seiten, 29,70 EUR.
ISBN-10: 3205992059

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch