Die Dame Luzifer im Zerrspiegel der Rezeption

Die Wiederentdeckung Caroline Schlegel-Schellings in der DDR-Literatur

Von Manuel BauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manuel Bauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Caroline Schlegel-Schelling zählt zu den faszinierendsten Frauen der deutschen Literaturgeschichte. Bekannt ist sie vor allem durch ihre Schlüsselrolle im Kreis der Frühromantiker in Jena. Dort bildete sie, in zweiter Ehe mit August Wilhelm Schlegel verheiratet, den Mittelpunkt einer avantgardistischen literarischen Gruppe von jungen Intellektuellen, bestehend aus den Schlegel-Brüdern, Novalis, Ludwig Tieck, dem jungen Schelling und Friedrich Schleiermacher.

Der Kreis verlor sich unter anderem deshalb, weil Caroline es vorzog, ihren Mann zu verlassen und den zwölf Jahre jüngeren Philosophen Schelling zu heiraten.

Doch darf auch nicht die Zeit vergessen werden, die sie an der Seite des deutschen Jakobiners Georg Forster in Mainz verbrachte und dort die Mainzer Republik miterlebte.

Bei allen bedeutenden Namen, die in ihrer Biographie vorkommen, sollte ihre eigene literarische Stimme nicht überhört werden. Ob unter dem Namen ihres Mannes August Wilhelm in Aufsätzen für die berühmte Zeitschrift "Athenäum" oder vor allem in ihren Briefen: stets schrieb sie mit einer ungewöhnlich spitzen Feder, weshalb sie - von keinem Geringeren als Friedrich Schiller - bald mit dem Namen "die Dame Luzifer" bedacht wurde.

Liegt also nun mit Franziska Meyers "Avantgarde im Hinterland" eine Untersuchung vor, die sich mit Schlegel-Schelling, ihrem Leben, ihrem Werk und ihrem Einfluss auf Georg Forster auf der einen und die Dichter und Theoretiker der Frühromantik auf der anderen Seite beschäftigt? Mitnichten. Vielmehr interessiert sich Franziska Meyer für die "funktionale Bedeutung der Neurezeption einer weiblichen Figur der Frühromantik in den DDR-Literaturverhältnissen."

Nicht die historische Figur Caroline steht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, sondern anhand dieser Figur wird nach der "spezifischen Einschreibung von Weiblichkeitskonzepten in die sich historisch wandelnde diskursive Formation der Frühromantikrezeption" gefragt.

In besonderem Maße finden dabei die eigentümlichen Umstände der DDR-Literatur Berücksichtigung. Dies macht die Autorin an einzelnen Rezeptionsmustern fest, etwa wenn Caroline, völlig anders als im Westen, zu einer frühen Revolutionärin stilisiert wird. Der gesamte Mainzaufenthalt an der Seite Forsters wird, so Meyer, von den Rezipienten der DDR teleologisch beurteilt, stets im Hinblick auf die Zeit im Jenaer Kreis.

Während mit Bettina von Arnim eine andere bedeutende Frau der Romantik bereits in den 50er Jahren Beachtung in der DDR fand und seitdem im erbpolitischen Kanon der DDR-Literaturgeschichte verankert war, wurde Caroline Schlegel-Schelling erst in den späten 70ern ins literarische Rampenlicht gerückt. Diese Wiederentdeckung ist vor allem Autorinnen und Autoren wie Sigrid Damm, Volker Ebersbach, Klaus Günzel oder Brigitte Struzyk zu verdanken, die Caroline Schlegel-Schelling in ihren Darstellungen auf ihre je eigene Art rezipiert haben. An der Stelle der jeweiligen Besonderheiten setzt Meyers Untersuchung an.

Die Konstruktion eines der DDR eigenen Caroline-Bildes wird anhand von Briefstellen Schlegel-Schellings und deren Verwendung durch die DDR-Literaten aufgezeigt und für den Leser transparent gemacht. Durch solche Vergleiche gelingt es Meyer, Verfälschungen als "Projektion" der Biographen zu entlarven. Ebenso kann Meyer anhand von Einzelbeispielen wie beispielsweise der häufig aufgegriffenen Problematik um die Personenkonstellation Georg Forster, Therese Forster und Caroline zeigen, wie es zu gegensätzlichen Meinungen in der Sekundärliteratur kommt. Dabei deckt sie zwar, wie sie zu Recht sagt, "Schwarz-Weiß-Raster" auf. Dies geschieht jedoch um den offenbar billigend in Kauf genommenen Preis, den Leser mit der Offenlegung dieses Rezeptionsmusters allein zu lassen, obwohl man sich an solchen Stellen eine Klärung wünschte, wie es denn 'wirklich' war.

Es gelingt Franziska Meyer mit einer gut lesbaren Sprache und meist nachvollziehbarer Argumentation, uns die Verklärung und die Konstruktion der Idealfigur "Caroline" zu vergegenwärtigen. Dabei verdeutlicht sie nicht nur, dass Caroline ein "Opfer der Trivialliteratur" wurde, sondern zeigt auch einige Geschmacklosigkeiten auf, wie etwa in einem historischen Roman Volker Ebersbachs. Dass es "zwischen ihren Schenkeln kochte", als sie den jungen Schelling erblickte, schreibt Ebersbach über seine Titelheldin Caroline.

Ein Hauptaugenmerk richtet Meyer auf das Weiblichkeitskonzept, das Caroline Schlegel-Schelling von den verschiedenen Autoren untergeschoben wurde. So ist es frappierend zu beobachten, wie die weiblichen Vertreterinnen der Frühromantik im Gegensatz zu den männlichen Autoren nur mit ihrem Geschlecht, nicht mit ihren Texten gleichgesetzt werden. Und doch wurden in der fiktionalisierten Figur Caroline Grundfragen der DDR-Emanzipation artikulierbar.

Es ist zunächst nicht schlüssig, wieso eines der bekanntesten Ereignisse in Carolines Leben - die Aufsehen erregende Heirat mit dem zwölf Jahre jüngeren Schelling - keine Beachtung findet. Doch überrascht dies insofern wenig, als der Leser wenig über die ,wirkliche Caroline' erfährt und sich sein eigenes Bild aus den Kolportagen der Rezeption zusammenstellen muss. Über Caroline oder gar die Frühromantik im Allgemeinen bietet das Buch wenig Neues und Aufschlussreiches.

Wer jedoch an einer beispielhaften Untersuchung zur Funktionalisierung von literarischer Weiblichkeit sowie zur gesellschaftspolitischen Fruchtbarmachung literaturhistorischer Phänomene in der DDR interessiert ist, dem sei Franziska Meyers exemplarische Arbeit empfohlen.

Titelbild

Franziska Meyer: Avantgarde im Hinterland. Caroline Schlegel-Schellung in der DDR-Literatur.
Peter Lang Verlag, Frankfurt a. M. 1999.
258 Seiten, 50,60 EUR.
ISBN-10: 082043924X

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