Genüsse im Grünen

Warum "Zu Gast bei Verdi" viel mehr als nur ein Kochbuch ist

Von Alexis EideneierRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexis Eideneier

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer sich für die großen Arien aus "Rigoletto" oder "La Traviata", den Triumphmarsch aus "Aida" oder den Gefangenenchor aus "Nabucco" begeistern kann, der wird in der Regel auch ein opulentes Mahl nicht verschmähen. Opernfreunde sind zumeist Genießer und nur selten Kostverächter.

Legt man diese Erkenntnis zu Grunde, bedürfte es kaum eines Gedenkjahres, um in dem Bildband "Zu Gast bei Verdi" einen Verkaufserfolg zu vermuten. Durch die gekonnte Kombination aus Fotoalbum, Rezeptbuch und Biografie wäre dieses Werk wohl auch jenseits saisonaler Marketing-Koordinaten ein echter Renner.

Was auf den ersten Blick wie ein Kochbuch erscheint, erweist sich näherer Betrachtung als überaus vielschichtiges Werk. So beeindruckt dieser Band vor allem durch den neu geschaffenen Zugang zum Privatleben eines gesellschaftsscheuen Genies: Schon in jungen Jahren erfolgreich, hätte Giuseppe Verdi in jeder europäischen Stadt ein glamouröses Leben führen können. Doch als Sohn eines Dorfwirts lag ihm das Salonleben fern. "Io sono un contadino", bekannte er, "ich bin ein Bauer", und zog sich in die Emilia zurück, eine unberührte Landschaft zwischen der Adria und dem Apennin. In der Einsamkeit von Busseto in der Provinz Parma erwirbt Verdi das große, heruntergekommene Herrenhaus Sant' Agata. Er beweist handwerkliches Geschick bei der Sanierung und betreibt sein Anwesen über Jahrzehnte hinweg als Gutshof. Er richtet eine Molkerei ein, züchtet Geflügel, kümmert sich um Bewässerungsanlagen und Dreschmaschinen.

Obwohl der berühmte Komponist sein Leben geschickt vor der Öffentlichkeit verbarg (damals gab es in Italien wohl noch keine Paparazzi), lässt sich seine Biografie heute ausführlich illustrieren: Wie in einer Ausstellung sind in diesem Band zahlreiche historische Fotografien versammelt. Zudem fangen meisterliche Landschaftsaufnahmen von Isolde Ohlbaum die sattgrünen Hügel und die einsamen Höfe der Po-Ebene stimmungsvoll ein. Doch die Einsiedler-Idylle trügt: Verdis abseits gelegener Palazzo bietet zwar die für schöpferische Arbeit nötige Ruhe, aber die Stille dieser vergleichsweise öden Gegend wirkt bisweilen auch erdrückend.

Verdi ist ein Eremit, der das Alleinsein nicht mag. Er findet Trost im Bewirten von Gästen, die teils monatelang bei ihm logieren. Auf seine ländliche Tafel kommen Spezialitäten der Emilia, die als der "Bauch von Italien" gilt: Parmaschinken, Würste aus Modena, Lambrusco-Wein, Pasta, Risotto und immer wieder Parmesan und Aceto balsamico. Doch der Meister kocht nicht nur höchstpersönlich für seine Gäste, sondern verwendet sogar überwiegend eigene Zutaten. Es gibt Geflügel aus eigener Zucht, Fisch aus eigenen Gewässern, Nudeln aus eigenem Mehl, Käse aus eigener Produktion, ja sogar Wein aus eigenen Trauben. 57 Rezepte enthält dieses Buch, von denen unklar bleibt, ob sie tatsächlich von Verdi überliefert oder einfach nur typisch für die Region sind. Wie auch immer dem sei: Den Leser erwarten simple, rustikale Zubereitungen - Hausmannskost im besten Sinne.

Es verwundert daher nicht, dass der Heyne-Verlag für diesen Band keinen Spitzenkoch zu engagieren brauchte. (Kochstar Alain Senderens entwickelte die Rezepte für "Zu Gast bei Marcel Proust" und in "Zu Gast bei Claude Monet" schreibt der nicht minder berühmte Joel Robuchon immerhin ein Vorwort.) Nun hat in der Emilia jede Hausfrau ihre eigenen Rezepte und der Wettstreit um die beste Pasta hält dort schon seit Jahrhunderten an. Deshalb wäre es interessant gewesen, ob die Zubereitungen in diesem Buch aus jenem Ristorante in Busseto stammen, das in der Danksagung erwähnt ist. Jedenfalls wirkt Barbara Lutterbecks Foodfotografie hochgradig appetitanregend.

Wie alle guten Coffeetable-Books bietet "Zu Gast bei Verdi" nicht nur eindrucksvolle Fotos, sondern auch einen ausführlichen, lesenswerten Text. Der stammt aus der Feder von Eva Gesine Baur, die ausgebildete Opernsängerin ist und zugleich als die wohl profilierteste deutsche Lifestyle-Journalistin gelten darf. Zwischen Tortelloni alla zucca und Costolette alla milanese untersucht sie Verdis eigenwillige Persönlichkeit und entwickelt so eine stimmige Psychografie des großen Komponisten. Ein "Who is who" der wichtigsten Personen und ein Opernverzeichnis machen diesen Band überdies zu einem hilfreichen Nachschlagewerk.

Es beeindruckt, wie euphorisch Baur Verdis Genius rühmt und wie ungeschönt sie gleichzeitig seine Freundschaften und Frauengeschichten analysiert. Sie zeigt, dass der Meister nicht nur humorvoll und gutmütig war, sondern im Umgang mit Familie und Personal auch stur, unzugänglich und jähzornig sein konnte, dass er nicht nur bescheiden und sparsam, sondern mitunter ein rechter Geizkragen war, der seinen schlechten Ruf bewusst in Kauf nahm.

Mit anderen Worten: Eva Gesine Baur gelingt hier eine der einfühlsamsten und intelligentesten Biografien, die wohl je über Giuseppe Verdi geschrieben wurden. Daher sei dieser in jeder Hinsicht kulinarische Band auch all jenen Opernfreunden empfohlen, die sich nichts aus gutem Essen machen. Doch wie anfangs erwähnt, dürften das ja nicht allzu viele sein.

Titelbild

Eva Gesine Baur / Isolde Ohlbaum: Zu Gast bei Verdi. Leidenschaft für die Musik, Lust am Genießen. Mit 57 Rezepten.
Heyne Verlag, München 2000.
232 Seiten, 34,80 EUR.
ISBN-10: 3453176847

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch