Rechtschreibung - Reform - Verstaatlichung

Die Diskussion um die Rechtschreibreform geht weiter

Von Kurt AlbertRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kurt Albert

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nur dem Anschein nach ist es um die neue Rechtschreibung ruhig geworden, nachdem die Presse, wenn auch mit Abweichungen, sie sich 1999 zu eigen gemacht hat und ihr viele Verlage sowie der Wissenschaftsbetrieb gefolgt sind. Die Diskussion um die neuen, ministeriell betriebenen und durchgesetzten Schreibregelungen hat nicht aufgehört, was etwa im letzten Jahr für alle sichtbar geworden ist, als die "FAZ" wieder zur traditionellen Rechtschreibung zurückkehrte. Es gibt nach wie vor eine rege Internetdiskussion (siehe www.rechtschreibreform.com), und in Fachkreisen wird weiterhin heftig um Pro und Contra gestritten. Vor kurzem hat die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung angekündigt, im Herbst eine Wörterliste vorzulegen - Ziel kann nur sein, auf die bekannten Schwächen und Widersprüche der neuen Regelungen vom Sommer 1996 zu antworten und sinnvollere Schreibungen durchzusetzen.

In dem neuesten Buch Theodor Icklers, des schärfsten und hartnäckigsten Kritikers der Rechtschreibreform - Regelungsgewalt. Hintergründe der Rechtschreibreform - wird nicht nur ein Zwischenstand dieser Debatte skizziert, sondern der Autor versucht (wie im Untertitel ersichtlich), die Motive und Taktiken zur Durchsetzung der neuen Orthographie aufzuspüren, und dies unter dem Aspekt des staatlichen Zugriffs auf die Schriftkultur, ihrer Verstaatlichung (worauf der Haupttitel hinweist). Zentrale Passagen Icklers kreisen um diesen Punkt: Ist es legitim, daß staatliche Regelungsansprüche auch auf die allgemeine, im kulturellen Prozeß sich selbst regulierende Orthographie ausgedehnt werden sollen/dürfen, ist hier nicht vielmehr Staatsferne, ja "Entstaatlichung" angemessen? Mit Blick auf Schule und Deutschunterricht betont er das praktikable Konzept, daß weiterhin die herkömmliche und die Schriftkultur bestimmende Rechtschreibung gelten solle und für ihre schulische Umsetzung Unterrichtsanweisungen genügten. Es sei doch widersinnig, daß nach dem Interesse von Grund- und Mittelstufe simplifizierende, zum Teil eigens erfundene Schreibweisen (Portmonee, Tollpatsch, Leid tun, selbstständig, so genannt u. v. a.) zum Maßstab für alle Schreibenden gemacht werden.

"Regelungsgewalt" ist in sieben Abschnitte gegliedert, wovon der erste ("Propaganda und Wirklichkeit") als ein lesenswerter Abriß von Icklers ausgereifter und differenzierter Kritik der geänderten Orthographie gelten kann. Der zweite Abschnitt ist etwas uneinheitlich und unübersichtlich, aber glücklich mit "Einzelheiten" betitelt; hier bringt der Autor etliche Miszellen unter. Der dritte Teil ist eine fulminante Antikritik: "Ablenkungsmanöver. Eine Replik auf Gerhard Augst/Burkhard Schaeder: Rechtschreibreform - Eine Antwort an die Kritiker". Ickler entgegnet auf eine in der ersten Phase des Protestes (1996/1997) weitverbreitete und von den Reformern selbst stammende Veröffentlichung. Nebenbei: Sein Buch kann in mancher Hinsicht auch als Kontrapunkt zu den beflissen apologetischen Dokumentationen des Reformers Hermann Zabel verstanden werden ("Keine Wüteriche am Werk" und "Widerworte", Hagen 1996 und 1997.)

Brisant sind die beiden nächsten Kapitel. "Die Mannheimer Anhörung im Januar 1998": Hatte sich 1996/1997 schnell gezeigt, wie unausgereift die Neuregelung im Ganzen ist und wie verfehlt und ungrammatisch in vielen Einzelheiten, so beeilte sich die neue amtliche Kommission für die deutsche Rechtschreibung (beim Mannheimer Institut für Deutsche Sprache angesiedelt), Verbesserungsvorschläge auszuarbeiten - sie durften nach dem Willen der Kultusministerien allerdings nicht in Kraft treten. So steht die Schreiböffentlichkeit seitdem - sofern sie sich nach der Neuregelung richten will - vor dem Dilemma, sich mit verfehlten und eigentlich überholten Lösungen befassen zu müssen. Viele Wörterbücher allerdings sind mittlerweile zum Teil zu den revidierten Schreibungen übergegangen. Als nächstes äußert sich Ickler "Zum Rechtschreib-Urteil des Bundesverfassungsgerichts" (vom Juli 1998). Auch hier verbieten mir leider Art und Raum der Rezension, auf die Texte wirklich einzugehen. Gleiches gilt für den nächsten Abschnitt: "Die Presse". Es geht da um die Verfahrensweise der Nachrichtenagenturen und der Zeitungen, die mit dem 1. August 1999, zwar modifiziert (und recht fehlerhaft), doch ohne alle Not, sozusagen in freiwilligem Gehorsam die neuen Regelungen angewandt und damit die Schreiböffentlichkeit gravierend verändert haben, und dies, wie alle Einsichtigen bemerken können, nicht zum besten. Es ist alles in allem ein Absinken des orthographischen Niveaus zu konstatieren, was auf Jahre hinaus die Schriftkultur belasten wird. Dasselbe dokumentiert Ickler für die Lexika im letzten Abschnitt: "Die Wörterbücher". Hier sind Rezensionen gesammelt, die der Autor in den letzten Jahren zu den orthographischen Regelbüchern von Bertelsmann und Duden, aber auch zu anderen Lexika verfaßt hat, akribisch, detailliert - und, wie viele seiner Texte, aber auch polemisch, lebendig, glänzend geschrieben und vielfach vergnüglich. Es wäre reizvoll, den Stoff weiter zu entfalten und viele seiner Sätze zu zitieren - belassen wir es bei der Empfehlung, Ickler zu lesen.

Ickler überzeugt nicht zuletzt dadurch, daß er bei seiner (vernichtenden) Kritik nicht stehenbleibt, daß er - was er sicherlich nicht müßte - seinerseits ein orthographisches Wörterbuch vorgelegt hat. Dieses Buch, im vergangenen Jahr erschienen, sei hier in aller Kürze seiner Streitschrift an die Seite gestellt:

"Nach dem Ende des sogenannten Dudenprivilegs stellt sich die Frage, wie die deutsche Einheitsorthographie gerettet werden kann" ("Vorwort").

Warum aber ein neues orthographisches Regelbuch? Es gilt "zu unterscheiden: Die Rechtschreibung selbst war nie dasselbe wie ihre Darstellung im Duden. [...] ließ auch die Orientierung des Duden an der Sprachwirklichkeit zu wünschen übrig. [...] In dieser Situation lag folgende Lösung nahe: Solange niemand eine sowohl stimmige als auch allgemeiner Zustimmung gewisse Rechtschreibreform vorzuschlagen vermag, sollte man bei der herkömmlichen Orthographie bleiben. [...] Der Plan einer vom Duden unabhängigen Neudarstellung des wirklichen Schreibgebrauchs wurde rasch verwirklicht und das Ergebnis als 'Entwurf' in einigen hundert Exemplaren veröffentlicht ['Deutsche Einheitsorthographie']. Die zahlreichen, zum Teil sehr ausführlichen Verbesserungsvorschläge [...] habe ich in der nunmehr vorliegenden Fassung dankbar berücksichtigt."

Icklers "Rechtschreibwörterbuch" ist gegliedert in: 1. Kurze Anleitung zum rechten Schreiben; 2. Die Hauptregeln der deutschen Orthographie (29 §§); 3. Glossar (sprachwissenschaftliche Fachausdrücke); 4. Benutzungshinweise zum Wörterverzeichnis; 5. Wörterverzeichnis. Dies ist an sich kaum nennenswert; interessant und mehr als das, erhellend und weiterführend ist die orthographische Darstellung des Wortschatzes im "Wörterverzeichnis", dem - wie der Autor mit Recht festhält - Kernstück einer jeden Orthographie. Horst Haider Munske (einer der beiden unter Protest aus der amtlichen Rechtschreibkommission ausgeschiedenen Sprachwissenschaftler) hat das Buch in der "FAZ" vom 11. 9. 2000 unter dem schönen Titel "Das wohltemperierte Wörterbuch - Einfach weise: Theodor Icklers sanft reformierte Orthographie" zutreffend besprochen.

Resümee: Wer sich ein vertieftes Bild von der Rechtschreibreform und ihrer Durchsetzung seit 1995 machen und tatsächlich in die Materie eindringen will, muß Icklers "Regelungsgewalt" studieren. Wer nicht nach der unausgereiften und widersprüchlichen neuen amtlichen Regelung schreiben will, sollte sich - nach dem Fall des Dudenmonopols und angesichts der hastig wechselnden und sich widersprechenden neuen Wörterbücher aus den Häusern Bertelsmann/Duden/Langenscheidt - nach Icklers Rechtschreibwörterbuch richten (wie es der Rezensent in diesem Text tut). Seine Darstellung der Orthographie ist derzeit eindeutig die beste. Daß Icklers Rechtschreibbuch existiert, hilft schon die Lage zu klären und zerreißt den Schleier der Endgültigkeit, die die ministeriell getragenen Reformer aufgezogen haben. Das heißt zugleich, daß Ickler den tatsächlichen Schreibgebrauch zur Geltung kommen läßt und damit der Verstaatlichung der Orthographie entgegenwirkt.

Titelbild

Theodor Ickler: Das Rechtschreibwörterbuch. Sinnvoll schreiben, trennen, Zeichen setzen. Die bewährte deutsche Rechtschreibung in neuer Darstellung.
Leibniz Verlag, St. Goar 2000.
519 Seiten, 15,20 EUR.
ISBN-10: 3931155145

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Titelbild

Theodor Ickler: Regelungsgewalt. Hintergründe der Rechtschreibreform.
Leibniz Verlag, St. Goar 2001.
312 Seiten, 14,80 EUR.
ISBN-10: 3931155188

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