Der Jurist als Politiker

Dirk Blasius stellt Carl Schmitt als historische Figur vor

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

So unterschiedlich die Meinungen über den Staatsrechtler Carl Schmitt sind - seine Bedeutung bezweifelt kaum jemand. Auch nach dem Verlust seiner Professur 1945 behielt Schmitt, so sehr er selbst sich als Opfer sah, erheblichen Einfluss. Nicht nur über seine Schüler wie Ernst Forsthoff und Otto Kirchheimer, sondern auch durch die ununterbrochene Rezeption seiner Schriften blieb er in der Diskussion präsent. Der Meister schillernder Definitionen lieferte linken Parlamentarismuskritikern um 1968 ebenso Argumente wie später neurechten Propagandisten eines starken, ethnisch homogenen Staates. Ebenso aber lassen sich das Gerede von wehrhafter Demokratie und die Praxis der Berufsverbote gegen angebliche oder wirkliche Extremisten ohne viel Mühe auf Schmitts Freund-Feind-Unterscheidung als die grundlegende Definition des Politischen zurückführen.

Offensichtlich fand Schmitt Formeln, die mit sehr unterschiedlichen Inhalten gefüllt werden können. Der Historiker Dirk Blasius begnügt sich nicht mit dieser Erkenntnis, sondern geht den Weg, der seiner Profession entspricht: Er unternimmt eine geschichtliche Verortung der Texte Schmitts zwischen 1932 und 1945. Dabei kann er zeigen, dass besonders in dieser Phase Schmitt sich als politisch Handelnder begriff, der pragmatisch seine Thesen den jeweiligen Zwecken anzupassen wusste.

Das gilt bereits für Schmitts ersten Auftritt vor einer breiteren Öffentlichkeit. Am 20. Juli 1932 setzte die rechtskonservative Reichsregierung Franz v. Papens die sozialdemokratisch geführte preußische Landesregierung ab. Die amtsenthobene Regierung klagte beim Staatsgerichtshof gegen dieses putschartige Vorgehen, bekam jedoch nur zum Teil Recht und konnte praktisch ihre Arbeit nicht wieder aufnehmen. Damit war eine wichtige Bastion gegen die Machtübergabe an die NSDAP fast ohne Kampf weggefallen.

Blasius widerlegt die spätere Rechtfertigung, es sei beim Preußen-Schlag darum gegangen, einen gegen jeden Extremismus handlungsfähigen Staat zu erhalten. Carl Schmitt als Prozessvertreter der Reichsregierung legitimierte deren Vorgehen damit, dass die preußische Regierung ihre politische Neutralitätspflicht verletzt habe. In der Tat hatte die Landesregierung beim Reich immer wieder ein schärferes Vorgehen gegen SA und SS angemahnt. In Schmitts Sicht gehörte jedoch die NSDAP zu den legalen Parteien, vor denen zu warnen nur den Blick auf die "wirklich staatsfeindlichen Parteien" verstellte, vor allem also auf die KPD.

Zwischen dem Prozess vom Oktober 1932 und der Kanzlerschaft Hitlers vom 30. Januar 1933 finden sich keine stichhaltigen Äußerungen Schmitts. Blasius' Vermutung, Schmitt habe den Staatsnotstandsplänen enger Mitarbeiter distanziert gegenübergestanden und bereits im Dezember und Januar innerlich für die NSDAP optiert, bleibt spekulativ. Umso eindeutiger ist Schmitts Auftreten nach dem 30. Januar. Im Mai 1933 wurde er Parteimitglied; zu diesem Zeitpunkt arbeitete er bereits an Gesetzen, die die staatliche Verwaltung dem faschistischen Zugriff gefügig machen sollten. Er übernahm zentrale Funktionen im Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen, kontrollierte mit der Deutschen Juristen-Zeitung ein wichtiges Publikationsmedium und konnte so, auch durch seine Begabung zur prägnanten Formulierung, der faschistischen Rechtspolitik brauchbare Stichwörter liefern.

Nicht zuletzt wurde er Mitglied im Preußischen Staatsrat, einem 1933 vom neuen preußischen Ministerpräsidenten Göring berufenen Gremium. Praktisch dürfte dieses repräsentative Spielzeug Görings nur von geringer Bedeutung gewesen sein. Dennoch verweist das Faktum erneut auf das Verhältnis von Reich und Preußen, das für Schmitt immer wieder eine Rolle spielte; Blasius' Studie trägt ihren Untertitel: "Preußischer Staatsrat in Hitlers Reich" zu Recht.

So wie der Preußische Staatsrat an das monarchische Preußische Herrenhaus erinnern sollte und wie Göring für die Nazis eine Brückenschlagsfunktion zu nationalkonservativen Kreisen besaß, instrumentalisierte auch Schmitt in mehreren seiner Schriften nach 1933 die preußische Geschichte, um den neuen Machthabern den Anschein historischer Legitimität zu verleihen. Dieses Vorgehen war rein ideologisch. Nicht nur weist Blasius Schmitt vielfach Geschichtsklitterungen nach; auch die staatstheoretischen Grundsätze, die Schmitt nunmehr propagierte, widersprachen deutlich der Idealform einer preußischen Tradition. So behauptete Schmitt einen "Dreiklang Staat - Bewegung - Volk", in dem er der Bewegung, also der faschistischen Partei, die führende Rolle zubilligte. Damit zerstörte er die traditionelle Staatsraison, die vorgab, über Einzelinteressen zu stehen.

Man könnte deutlicher als Blasius herausarbeiten, dass die Neutralität des preußischen wie auch jedes anderen Staates immer schon Fiktion war. Blasius zeigt zwar, wie die alten Eliten nicht nur verführt wurden, sondern aus eigener Neigung den Vorgaben der Nazis folgten; dennoch klingt, wo er Schmitt kritisiert, ein Missbrauchstheorem an, das vom instrumentellen Charakter jedes Staates bis heute nichts wissen will.

Im Folgenden radikalisierte sich Schmitts Position. Hatte er schon 1933 als Beschluss seiner "Fünf Leitsätze für die Rechtspraxis" dekretiert: "Der nationalsozialistische Staat ist ein gerechter Staat", so rechtfertigte er 1934 die Morde im Gefolge des angeblichen Röhm-Putschs und kam 1936 so weit herab, führend auf einer Tagung über das "Judentum in der Rechtswissenschaft" aufzutreten. Blasius beweist, wie Schmitt Terror legitimierte und niederste antisemitische Parolen verkündete. Widersprüchlich bleiben jedoch seine Aussagen darüber, ob Schmitt nur die Wirklichkeit von Staat und Recht nach 1933 in Worte fasste oder ob er der Wirklichkeit voraus schrieb und zur Radikalisierung der Politik beitrug.

Ende 1936 verlor Schmitt seine öffentlichen Ämter, behielt allerdings seine Professur. Seine führende Rolle war zu Ende; nicht aber, wie Blasius überzeugend zeigt, wegen inhaltlicher Konflikte zum Regime, sondern weil er ohne eigenes Verdienst in einen Konflikt des NS-Rechtspolitikers Hans Frank und Görings mit der mächtigeren SS geraten war. Obwohl unterliegend, konnten Frank und Göring gleichwohl ihrem Schützling Lehr- und Publikationsmöglichkeiten erhalten. In den folgenden Jahren nahm Schmitt, unfreiwillig, eine nur noch vergeblich ratende und kommentierende Funktion ein, keine politisch lenkende. Sein Versuch, mit Hilfe von völkerrechtlich verankerten Großraumtheorien die Anfangsphase der deutschen Expansion abzustützen, konnte erneut die konservativen Eliten beruhigen. Schmitt musste jedoch auch auf außenpolitischem Gebiet vor der Radikalität der tatsächlichen Aggression, die keinerlei rechtliche Bindung anerkannte, kapitulieren. In der Kriegszeit kappte das faschistische Regime jede Verbindung zu konservativen Traditionen. Anders als viele seiner politischen Freunde näherte Schmitt sich dennoch nicht dem rechten Widerstand an, sondern blieb bis 1945 treuer Propagandist des Regimes. Ein Teil des Widerstands allerdings bezog sich, wie Blasius nachweist, auf Arbeiten Schmitts: Die Verfassungspläne für die Zeit nach einem Umsturz knüpften dabei nicht an die Zeit unmittelbar vor dem 30. Januar 1933 an, sondern an die erste Zeit danach.

Schmitt sah nach 1945 die preußische Tradition und sich selbst als Opfer der Geschichte. Blasius' Darstellung lässt indessen keinen Zweifel daran, dass Schmitt selbst zum Ende des überkommenen Staates nach Kräften beigetragen hat. Sein Buch hat zwar Schwächen: Punktuell finden sich widersprüchliche Wertungen, die Argumentation ist zuweilen allzu sprunghaft und erschließt sich nur in wiederholter Lektüre. Seine zentralen Thesen indessen belegt Blasius überzeugend, und so wird die zeitgeschichtliche Funktion der Texte Schmitts nachvollziehbar.

Die Frage bleibt, ob Schmitts Theorien damit erledigt sind. Zumal für den politisch ehrgeizigen Juristen fallen Analyse und Normbildung meist in eins: Wer eine Rechtslage feststellt, sagt dadurch, dass nach dieser Erkenntnis zu handeln sei. Der heutige Leser dagegen kann diese Verbindung lösen und Schmitts Texte nicht als Appell, sondern als Analyse lesen - als Analyse nicht nur der NS-Politik, sondern überhaupt staatlicher Politik in der Neuzeit. Es wäre wenig klug, auf dieses Instrument zu verzichten: Neben dem historischen Zugriff behält auch eine aktualisierende Lektüre Schmitts ihr Recht.

Titelbild

Dirk Blasius: Carl Schmitt. Preußischer Staatsrat in Hitlers Reich.
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001.
250 Seiten, 30,60 EUR.
ISBN-10: 352536248X

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