Heute ist man Handwerker

Die "Generation Berlin" über ihr Schaffen

Von Sebastian DomschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sebastian Domsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Renaissancen, sofern sie von Kunstrichtern zu solchen ausgerufen werden, finden in Gruppen statt. Ein einzelnes Genie oder gar nur Talent macht noch lange keine Erneuerung einer Kunstrichtung aus. Dafür müssen sich schon ein paar mehr finden, die alle irgendwie irgendetwas gemeinsam haben, was dem Publikum die Möglichkeit gibt, auch noch andere unter ihren Hut zu bringen.

Derzeit erleben wir die Wiedergeburt der jungen deutschen Literatur - oder vielleicht besser: der lesbaren jungen deutschen Literatur. Denn mit dem Schreiben hat das Land der Dichter und Denker ja nie aufgehört, nur lesen hat es niemand je gewollt. Das ist jetzt anders, denn es wird wieder erzählt, spritzig, frech, poppig. Für die Austauschbarkeit des schubladenhaft Kategorisierten sorgt vor allem die Presse, die immer wieder vereinzelte Autoren unter einem Leerbegriff wie dem der Popliteratur zusammentreibt, und die manchmal vergessen zu haben scheint, dass es sich bei Benjamin von Henning-Kracht um mehrere Personen handelt.

Von so viel Zusammengehörigkeitsgefühlsseligkeit eingeschüchtert haben die gern verspotteten Elfenbeinturmbewohner längst selbst ihr Heil in der Gruppe gesucht. Was interkünstlerische Kommunikation angeht, ist das Internet salonfähig geworden. Auch wenn sich bis jetzt noch so gut wie kein Autor auf das Wagnis digitale Literatur einlässt, rotiert die Diskursmaschine im Netz, wenn sich das Forum der Dreizehn, die Pool-Gemeinde oder die zum Null-Projekt Eingeladenen am virtuellen Stammtisch treffen. Dass man in einem solchen Haufen ununterscheidbar werden könnte, scheint niemand zu fürchten.

Der Quadriga Verlag nun macht das Beste aus dem Trend zur Autorenbündelung: er anthologisiert die Herren und Damen Schriftsteller, und zwar gleich in zwei Bänden. Die werden dann mit dem Reihentitel "Generation Berlin" bedacht, merke: eine Gruppe kann sich auch als Generation tarnen, und Berlin ist ohnehin das hippste, was Deutschland dieser Tage zu bieten hat. Die Herausgeber haben sich für diese Bände die zwei wohl unbeliebtesten Fragen, die im Anschluss an eine Dichterlesung gestellt werden können, herausgesucht und damit wild auf alles gezielt, was jung ist und schon mal ein literarisches Buch veröffentlicht hat. Dazu gehören unter anderen Katharina Hacker, Ingo Schulze, Zoë Jenny, Norbert Niemann, Georg M. Oswald und Sonja Ruf. Gefragt wurde einerseits nach den literarischen Vorbildern, nachzulesen in dem von Jürgen Jakob Becker und Ulrich Janetzki herausgegebenen Band "Helden wie ihr"; dem hier besprochenen Band "Schraffur der Welt", den der Schriftsteller Perikles Monioudis herausgegeben hat, liegt die Frage zugrunde: "Wie entsteht ein Text?" Das Ergebnis ist ein deutliches Plädoyer gegen die Gruppe und für den einzelnen Autor.

Ein Argument dafür ist der Umstand, dass sich die um Beiträge gebetenen Autoren immer wieder der Aufgabenstellung verweigern. Während das bei manchen so wirkt, als hätten sie nur tief in den Dateienordner hineingegriffen, um die Anthologie zur Resteverwertung zu nutzen (Copy und Paste sind eben nicht nur ein Segen), wird bei anderen deutlich, dass sie die Fragestellung zwar als Ausgangspunkt nehmen, sich jedoch ihren Weg und ihre Antworten nicht vorschreiben lassen.

Marcel Beyer ist so ein Fall, er erzählt, wie eines seiner Gedichte trotz jahrelangen Bemühens nicht entstehen konnte, oder Steffen Kopetzky, der in der ihm eigenen umständlichen Art eine Hommage an das Nachtkonzert verfasst und dabei das eigene Schreiben aufscheinen lässt. Der Beitrag von Joachim Helfer hingegen verweist neben seiner Liebe zu schlechten Kalauern vor allem auf die Weigerung, den eigenen Text nach dem Verfassen zumindest einmal noch durchzulesen. Auch Ulrike Draesner glänzt durch Hermetik, als wolle sie damit sagen, dass sie eben keine Poetik habe. Nun, sie wäre nicht die Erste, die automatisches Schreiben zum poetischen Prinzip erhebt. Auch der im Vorwort vollmundig als "einer der meistdiskutierten metaliterarischen Entwürfe des ersten Nachwendejahrzehnts" angekündigte Text "Stil als Befund" von Ingo Schulze wartet zwar mit einigen interessanten Gedanken und dem zeitgemäßen Vergleich des Schriftstellers mit einem Techno-DJ auf, ist jedoch mehr ein Ansatz als ein Ergebnis.

Also doch eher eine neue Unübersichtlichkeit in Sachen Generation Berlin? So vielseitig die Texte in ihrer Art und Qualität sein mögen, sind zwei deutliche Übereinstimmungen nicht von der Hand zu weisen. Es scheint, als haben die Genies erst einmal ausgedient: Heute ist man Handwerker, und man bekennt sich dazu. Texte wollen erarbeitet werden, überarbeitet, nicht als Geistesblitz auf das Papier geworfen. Hendrik Rost schreibt seine Gedichte in "zahllosen Versionen" auf, bei Stefan Beuse durchlaufen die Texte "zahllose Metamorphosen", und Katharina Hacker, die jüngst mit ihrem Roman "Der Bademeister" Furore gemacht hat, klagt gar: "Oft wünschte ich, ich würde hastig schreiben, überstürzt - es geschieht fast nie. Stundenlang sitze ich über einem Satzanfang, verärgert, verzagt, ganz sinnlos und griesgrämig und grau." Wenn dann doch einmal die Inspiration als aktive Kraft auftaucht, dann ist das eher negativ wie bei Katrin Dorn: "Mit einem Wort: Meine ersten Gedichte sind mir widerfahren."

Zum anderen arbeitet der Schriftsteller sich wieder an Realität und Authentizität ab. Nachdem er über Jahrzehnte hin, bestärkt durch Legionen von französischen Hochtheoretikern, die Unmöglichkeit der Wirklichkeitsabbildung von Anfang an in ihre literarische Produktion mit einbezogen hat, suchen die neuen Jungen wieder nach dem treffenden Wort. Da Sprache heute eigentlich kein Problem mehr sein darf - schließlich muss endlich wieder "erzählt" werden - wird sie wieder problematisch. "Das Wortwirkliche ist nicht das Reale."

Die Neuen werden immer wieder gern gelobt, weil sie endlich wieder erzählen können, und das wird auch in diesem Band deutlich, denn die aufschlussreichsten Texte befinden sich im zweiten Teil, wo unter dem Titel "Vom Schreiben erzählen" sechs Erzählungen versammelt sind, die eine Poetologie gleichzeitig andeuten und anwenden. Der Herausgeber hätte allen Autoren eine solche Aufgabe des kreativen Schreibens geben sollen, denn die reine Selbstreflexion ist der Generation Berlin, mit einigen Ausnahmen, nicht gegeben.

Titelbild

Perikles Monioudis (Hg.): Schraffur der Welt. Junge Schriftsteller über das Schreiben.
Quadriga Verlagsgesellschaft, Weinheim 2000.
158 Seiten, 14,30 EUR.
ISBN-10: 3886793435

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